Gospel ist gewaltig. Die Kraft von 110 Stimmen, die eine hoffnungsvolle Botschaft verkünden, immer wieder einen Gott erwähnen, der nicht meiner, nicht deiner, sondern unser ist. Unabhängig davon, ob man strenggläubig ist oder Atheist. Man kann den Bezug zu Gott und Jesus Christus als Vorwand nehmen. Sie stünden nur für einen menschlichen Wesenszug, der selbst im 21. Jahrhundert nicht abhanden gekommen ist, wenn sich auch viele von uns das Gegenteil einreden wollen. Denn es ist schwer, unglaublich schwer an das Gute in der Welt zu glauben. Überhaupt davon zu sprechen, fällt schwer. Das klinge so fürchterlich kitschig und albern. So als wisse man nicht, wie der Hase läuft.
Und wir führen immer wieder gerne Argumente auf, die uns in unserem Zynismus bestärken: das Bostonattentat, der Anschlag auf einen britischen Soldaten in London, der Vergewaltigungsskandal in Indien.
Man kann uns aber auch davon überzeugen, dass es anders gehen kann. Dominic Samuel Fritz schafft es seit acht Jahren, erinnert die Temeswarer jedes Jahr erneut daran, dass das Leben nicht nur seine Schattenseiten hat. Das tut er nicht, indem er große Reden schwingt, wie unverbesserliche Politiker, das tut er nicht, indem er sich als Prediger hinstellt und aus der Bibel zitiert. Nein, stattdessen lässt er den Gospel für sich und für uns sprechen und holt sich dafür Verstärkung: Freiwillige lernen über eine Woche lang zusammen mit ihm Lieder wie „Standing in the Need of Prayer“, „Senya Meso Me Ti“ oder „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“ – zeitlose Meisterwerke der afroamerikanischen Musik, die früher auf Sklavenplantagen in den USA gesungen wurden und zwar von Menschen, die in Elend und Armut leben mussten, ohne eigene Rechte und ohne Freiheit. Diese Lieder erinnern uns daran, dass die Nacht am schwärzesten vor der Dämmerung ist.
Darum sind die Gospelkonzerte, die Fritz und seine 110 freiwilligen Choristinnen und Choristen für die Temeswarer halten jedes Mal Therapie für die Seele. Und das jüngste „You Are My Life“ stellte keine Ausnahme dar. Zwei Stunden lang durften Zuschauer ihre Sorgen vergessen. Man durfte lachen, tanzen, weinen, dann wieder tanzen und wieder lachen. Man durfte wieder ein Stück leben, ohne sich um den alltäglichen Stress zu kümmern, der zu viel von unserer Zeit einnimmt.
Und das Beeindruckende daran ist die Tatsache, dass es sich bei den Sängerinnen und Sängern vorwiegend um Laien handelt. Doch wenn Amalia Iordache „Lord I Give You My Heart“ singt, bleibt kein Auge trocken. Auch bei Naomi Bahnaru stockt der Atem oder bei Mona Violeta Şianţiu. Zugegeben die Sängerinnen besitzen mehr oder weniger einen musikalischen Hintergrund, wurden nicht gleich ins kalte Wasser geworfen. Aber das sind Nebensächlichkeiten. Was wichtig ist, ist Fritz’ Gabe unterschiedliche Menschen zusammenzuführen und sie durch den Gospel zu vereinen. Und das tut der 29-Jährige ehrenamtlich. Das Gleiche gilt auch für das Organisationsteam um Ildikó Csöke, rund 20 Frauen und Männer, die Fritz bei der Konzertvorbereitung unterstützt haben.
Inzwischen gibt es auch einen gemeinnützigen Verein, der Fritz’ Gospelprojekte trägt. Die Konzerte selber werden durch Sponsorengelder finanziert. „Alle, die heute hier mitgesungen haben, haben es aus freien Stücken getan und erhalten kein Geld dafür“, betonte Fritz jedes Mal zum Konzertende. Denn auch der Eintritt war frei, dafür aber wurden Spenden für Hospiz für Palliativkrankenpflege „Haus der göttlichen Barmherzigkeit“ gesammelt. Alles für eine gute Sache also.
Darum ging und geht es Dominic Samuel Fritz, der 2003 als Freiwilliger Jesuit nach Rumänien kam, sich in das Land verliebte und darum entschied, seine Leidenschaft für Gospel mit den Menschen hier zu teilen.
Und inzwischen teilt er nicht nur die Liebe zum Gospel mit den Temeswarern, sondern lässt sie auch an seinem persönlichen, kreativen Schaffen teilhaben.
Zu den Höhepunkten des Konzerts gehörte das Lied „Take Us Through the Storm“, das Fritz selbst komponiert hatte. Die Botschaft des ergreifenden Songs fasst noch einmal das zusammen, wofür Gospel stehen kann. Musik kann uns helfen, schwierige Zeiten zu überbrücken und sie kann uns von unserem Zynismus kurieren, uns daran erinnern, dass nicht alles schwarz ist im Leben. Wäre es ein Konzert mit Eintritt, mit professionellen Sängerinnen und Sängern, könnte man der Botschaft widersprechen. Doch so bleibt es eine reine Geste, ein schönes und willkommenes Geschenk in einer Zeit, in der man es braucht, von Menschen für Menschen unter der Regie eines jungen Mannes, der für seine Leidenschaft eine Bühne gefunden hat und bereit ist, diese Bühne mit der Welt zu teilen.