In der fünften Etage des alten Plattenbaus an einem der intensiv durchfahrenen Boulevards in Temeswar/Timisoara herrscht Ruhe. In der Zwei-Zimmer-Wohnung ist es an diesem zu meinem Besuch vorher abgestimmten Nachmittag angenehm, auch wenn es draußen schon angefangen hat zu regnen. Das Wohnzimmer hat einen besonderen Charme und trägt in sich das Gewicht und die Gewichtigkeit der Geschichte und der vieler alten Objekte, die sorgfältig ausgewählt worden sind und die zusammen die Atmosphäre einer einzigartigen Welt verbreiten – die Welt des ehemaligen Dirigenten, Musikprofessors und Musikfachmanns Damian Vulpe.
Für unser Treffen hat sich der Mitte 70-jährige Mann offensichtlich besonders vorbereitet: Frisch gebügelte Kleider und die Frisur hat er sich wahrscheinlich kurz vor meinem Ankommen auch noch schnell retouchiert. Die Gastfreundlichkeit fehlt nicht. Wir versinken jeder in einem bequemen Sessel und lassen den schmalen Kaffeetisch unsere Welten trennen. „Sie wollen über mich schreiben?“ fragt Damian Vulpe eher vor sich hin und meint, er hätte nicht so viel zu erzählen. Trotzdem macht es sich der Mann mit überschlagenen Beinen in seinem Sessel gemütlich, so, als würde er jetzt seine ganze Lebensgeschichte schon vor den Augen haben – oder seine Lieblingsmusik hören.
Dann schaut er sich im Zimmer um und startet. „Was Sie hier sehen, hat alles mit Musik etwas zu tun – Bücher über Musikgeschichte und ihre Komponisten, zum Beispiel, Geschichten aus der Musikwelt“, erklärt er und weist, auf meine neugierigen Blicke hin, vor allem an die ganze Wand hinter unseren Sesseln, die von einer vollgestapelten Bibliothek belegt ist.
Im hellen Zimmer hat das alte schwarze Klavier eine besondere Stelle. Das Klavier aus der Vorkriegszeit wurde an die Wand gegenüber dem Fenster gestellt und wird als eines der wichtigsten Objekte hier im Raum betrachtet. Ein Mitgift, könnte man sagen – „das Paradeklavier meiner Tante“, sagt Damian Vulpe. „Diese Stelle hat das Instrument seit den 1970ern nicht mehr verlassen“, sagt der Musiker. Das Klavier war auch sein Lieblingsinstrument als Kind, lässt er wissen.
Vieles aus dem Wohnzimmer von Damian Vulpe ist als Familienerbe da, darunter das „Quartett“-Bild und die Porträts verschiedener bekannter Komponisten. Damian Vulpe kommt aus einer besonderen Familie. Der Chorleiter, Musikwissenschaftler, Musikkritiker und Musikpädagoge ist der Enkel des Volkskundlers und Schriftstellers Alexander Tietz, sowie mütterlicherseits der Enkel des Komponisten und Dirigenten der Reschitzaer Werkskapelle Peter Rohr. Dass in seinem Leben Musik auf einem hohem Sockel gestellt wurde, das wird allein schon durch diese Genealogie offenbar.
Derselbe Platz in derselben Loge
Der Mann mit silbernem Haar hat wohl in seinem Leben viele Gewohnheiten gesammelt. Als Dirigent hatte er in der Banater Philharmonie eine Loge zugeteilt bekommen. Seit 1961 sitzt er nun in der selben Loge in der Temeswarer Philharmonie, bei allen Freitagskonzerten, den regulären Auftritten der Philharmonie „Banatul“. Aus dieser Loge hat Vulpe bereits unzählige Konzerte und Einzelauftritte erlebt. „Vielleicht zu viele Konzerte waren das, inzwischen. Früher war ich wirklich bei allen Konzerten anwesend. Jetzt, in der letzten Zeit, gehe ich nicht mehr so regelmäßig hin – manche sind mir zu viel des Schlechten“, sagt Damian Vulpe. „Nicht alles fällt grad so positiv aus“, sagt der 75-Jährige nostalgisch. Das Problem liege bei den Musikern – die meistens Musik mehr als einen Beruf machen, statt als eine Leidenschaft. In erster Linie sollte Musik Leidenschaft sein, danach, vielleicht, Beruf.
Dann macht der Mann eine lange Pause, so, als würde er seine Gedanken fassen müssen. Enttäuscht ist der Musikliebhaber auch, dass es in Temeswar kein gemeinsames Philharmonie- und Operfestival mehr gibt. „So ein Festival, wie es ursprünmglich das „Musikalische Temeswar“ war, würde sehr attraktiv sein und würde bestimmt viele Leute anziehen“, weiß er zu schätzen. Dass die Banater Philharmonie auch außerhalb des Hauses ihre Konzerte für sein Publikum zugänglich macht, das findet Damian Vulpe als eine gute Idee. Trotzdem: „Diese Konzerte außerhalb des Stammhauses sind sehr gut, denn man muss immer wieder neues Publikum heranziehen, interessieren. Man darf aber das eigene Haus nie vernachlässigen. Man kann natürlich Konzerte auch an ungewöhnlichen Orten bestreiten, aber zuhause muss es am besten gehen. Und: es gibt leider viel zu wenig Kammerkonzerte im Haus der Philharmonie“, sagt er. „Die musikalische Erziehung ist auch immer noch mangelhaft“, sagt der erfahrene Beobachter der Temeswarer Musikszene. „Es wäre nicht schlecht, neben den wöchentlichen Konzerten vom Freitag abend auch diesbezüglich Infosessionen für Schüler zu veranstalten, Lehrkonzerte. Das kann man nur in Zusammenarbeit mit den Schulen gemacht werden. Niemand hindert diese Schulen daran, selber, von sich aus, mal auf die Philharmonie zuzukommen. Solche Anfragen würden schwer abzulehnen sein“, fügt der ehemalige Dirigent hinzu.
„Ich hätte gern mehr dirigiert“
Seit Mitte der 1960er Jahre hat Damian Vulpe für zwölf Jahre die Programmhefte für die Temeswarer Philharmonie geschrieben. Das war auch der Ausgangspunkt seines Schreibens, meint er. „Ich habe mich durch diese wöchentliche Programmhefte auch in dieser Branche eingearbeitet. Langsam habe ich immer längere Texte und Chroniken geschrieben“, erinnert sich der Musikkritiker. Mittlerweile hat er drei Sammelbände herausgegeben. Diese tragen einen gemeinsamen Namen „Solidar cu...“ (Solidarisch mit...) und die Fortsetzung kommt in den jeweiligen Bänden „Lirica, Podiumul de Concert, Cântarea Corala“ (Solidarisch mit der Lyrik, mit dem Konzertpodium und mit dem Chorgesang). Bald soll nun auch der vierte Sammelband erscheinen. Schreiben tut er gern, lässt Damian Vulpe wissen, doch dirigieren bleibt seine größte Leidenschaft. Trotzdem muss er zugeben, dass sich diese seine Leidenschaften gut miteinander vertragen: „Hätte ich nur dirigiert – wäre´s zu wenig gewesen. Hätte ich nur geschrieben, wäre´s auch zu wenig gewesen. Ich glaube, zusammen ist mehr rausgekommen“, scherzt der Mann. Trotzdem: wenn man die Zeit anhalten könnte und auch noch ihr Zurückspulen möglich wäre, hätte er einiges anders gemacht. „Ich hätte gern mehr dirigiert und vielleicht auch mehr und verschiedene Orchester dirigiert“, sagt Damian Vulpe. In seiner Karriere hat Vulpe mehrere Chöre dirigiert, unter anderem den Chor des Kulturhauses der Gewerkschaften in Reschitza, den Chor des Temeswarer Pionierpalastes, den Chor der Lehrergewerkschaft „Carmine Dacica“ aus Temeswar, den Chor der Handwerkergenossenschaft „Higiena“, den Chor und das Kammerorchester der Temeswarer Universität, aber auch den Chor der Banater Philharmonie und der Temeswarer Staatsoper sowie den Schubert-Chor Temeswar. Nach der Revolution von 1989 gründete und leitete er ab 1990 den Kammerchor der Temeswarer Musikfakultät (Camerata Academica Timisiensis). 1996 leitete Vulpe als deren erster Dekan die neu gegründete Musikfakultät im Rahmen der West-Universität Temeswar. 2004 promovierte er hier zum Doktor der Musikwissenschaft.
Seine Gedanken versinken für einige kurze Augenblicke in Nostalgie. Die Stille des Raumes lässt die Regentropfen, die ans Fenster klopfen, wie Musiktakte ertönen. Dann kommt ihm plötzlich das Lächeln ins Gesicht. Seine Augen funkeln – in die Wohnung stürmt der siebenjährige Enkelsohn. Wie jeder stolze Großvater erfreut sich Damian Vulpe an der Anwesenheit des Kleinen, vielleicht des nächsten Erbeträgers der musikalischen Familie.