Filme und Videoinstallationen des deutschen Künstlers Harun Farocki (1944-2014), viele davon in Zusammenarbeit mit der Regisseurin Antje Ehmann entstanden, werden derzeit beim Sitz der Stiftung Art Encounters in Temeswar vorgeführt. Die Ausstellung ist die dritte dieser Art in Rumänien, nach Jassy und Bukarest, die 2018 beziehungsweise 2019 stattgefunden haben. Über „Die Wirklichkeit hätte zu beginnen“ – so der Titel der Ausstellung, über Erinnerungen an Harun Farocki, einem der bedeutendsten deutschen Filmemacher, sowie über die Rezeption seines Werks heute sprach Antje Ehmann mit der Redakteurin Ștefana Ciortea-Neamțiu.
„Die Wirklichkeit hätte zu beginnen“ ist der Titel der Ausstellung; er geht auf ein Essay von Harun Farocki aus dem Jahr 1988 zurück. Darin geht es darum, dass Fotografien, die auch zum Messen und Vermessen verwendet werden, manchmal zwar gemacht aber nicht ausgewertet wurden: Die Alliierten hätten – den fotografischen Beweis vor Augen – 1944 die Bahnstrecke Richtung Auschwitz bomben und damit Leben retten können. Dies ist jedoch nicht geschehen. Der Titel ist aktuell. Wie sehen Sie die Aktualität dieses Titels?
Die Betonung liegt hier natürlich auf Wirklichkeit, Realität (vs. Unwirklichkeit, Virtualität). Die Sache, um die es geht, ist nichts weniger als unsere komplette Lebenswirklichkeit, die es in allen Facetten, zu beobachten, zu untersuchen und zu begreifen gilt. Das heißt eben auch Hinschauen, und nicht Wegschauen oder Flüchten; das wäre der Beginn.
Setzt man sich mit Harun Farockis Werk auseinander, das sich ja über Jahrzehnte erstreckt, kann man mit Erstaunen feststellen, dass seine Filme, Installationen, Texte und Radiostücke – stets eine seltsame Aktualität auszeichnet; das gilt auch für die frühen Arbeiten aus den 60er, 70er und 80er Jahren. Ein Grund dafür könnte sein, dass es in Harun Farockis Projekten immer stark um etwas geht. Es gibt keinen Hermetismus, Eskapismus oder Ästhetizismus. Die relevanten Themen ziehen sich konsequent durch die Jahrzehnte: Krieg und Technologie, das Verhältnis von Mensch und Maschine, Arbeit und Industrialisierung, und in all dem geht es auch immer um die Frage nach dem Status des Bildes, der Bildregimes– im Verhältnis von Realität / Abbild / Virtualität.
Dies alles findet im Medium des Dokumentarischen statt; wie viel Wert uns das Dokumentarische ist, kann hier eigens betont werden.
Sie haben viele Jahre mit Harun Farocki zusammengearbeitet, einige der Werke (Filme, Videoinstallationen) werden in der Ausstellung beim Sitz Art-Encounters-Stiftung gezeigt. Welches ist Ihnen persönlich am meisten am Herzen gewachsen?
Natürlich verbindet sich mit jedem Werk, an dem ich, wie auch immer, beteiligt war, eine persönliche Geschichte und ein Bündel guter Erinnerungen. Besonders am Herzen liegt mir vielleicht die Installation „Tropen des Krieges“, da sie im Kontext einer größeren Bestrebung entstanden ist, der wir gerne nachgegangen sind. Es handelt sich um ein Projekt, für das wir unterschiedliche Bezeichnungen verwendet haben: „Kinematographischer Thesaurus“, oder „Bilderschatz“, oder „Lexikon filmischer Begriffe“ .Die Arbeit „Tropen des Krieges“, ist dabei einer(unter vielen anderen möglichen) Einträgen, und setzt sich mit dem Genre des Kriegsfilms auseinander. Die Arbeiten, die sich der Untersuchung filmischer Motive widmen, mag ich besonders gerne. Da gibt es etwa noch Untersuchungen zu den Motiven: „Fabriktor“ (Arbeiter verlassen die Fabrik, 1995), „Hände“ (Der Ausdruck der Hände, 1997) „Gefängnis“, (Gefängnisbilder, 2000), „männlicher Selbstmord“ (Fressen oder Fliegen, 2008).
Bitte erzählen Sie uns über die Entstehung der „Tropen des Krieges“ und die Zusammenarbeit mit Farocki!
Für dieses Werk, das komplett aus Found-Footage-Szenen aus der Filmgeschichte besteht, galt es, aberwitzig viele Kriegsfilme zu sichten, um die relevanten Topoi zu ermitteln und zu sammeln. Diese Fleißarbeit habe hauptsächlich ich gemacht, wobei wir aber zum Glück auch Hilfe von einem gewieften Rechercheur hatten. Die nach ausgewählten Topoi gesammelten Filmszenen sind Harun und ich dann durchgegangen, und wenn eine Szene schlampig gedreht, blöd geschauspielert oder sonst wie nicht gewissen Standards genügte, flog sie aus unserer Sammlung raus. Harun war in so etwas ziemlich streng.
Von allen Arbeitsfeldern, die sich bei der Produktion von Filmen oder Videoinstallationen auftun, hat Harun deutlich am meisten die Montage geliebt. Da konnte er sich bei „Tropen des Krieges“ regelrecht austoben. Und von dem Ergebnis war ich dann schließlich begeistert. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich diese Arbeit irgendwo zeigen kann.
Wie wird Harun Farockis Kunst heute von dem Publikum in Deutschland rezipiert?
Das ist summarisch für mich schwer zu sagen, ich kriege ja nicht alles mit, und weiß in der Regel nicht wirklich, wie die Arbeiten in den Seminarräumen, Museen und Galerien konkret rezipiert werden. Rein quantitativ kann ich mich nicht beschweren. Während des Komplett-Stillstands in der Pandemie, wo es nur Absagen gab, hatte ich plötzlich die Phantasie‚ was, wenn in dieser Krise mit geschlossenen Kunst- und Kinoräumen Haruns Werk in Vergessenheit gerät’? Das war eine merkwürdige Angst-Phantasie. Nun, nach etwa 5 Monaten, geht es aber zum Glück wieder los. In Deutschland und auch international.
Und in Rumänien? Dies ist die dritte Ausstellung nach Jassy und Bukarest, 2018 bzw. 2019.
Dazu kann ich mich nun wirklich nicht äußern. Ich bin jetzt gerade überhaupt zum ersten Mal in Rumänien. Es gibt Interesse, klar, sonst wäre dies ja nicht die bereits dritte Ausstellung in diesem Land. Aber wie die Sachen rezipiert werden, kann ich nicht sagen. Warten wir es ab.