Die Verabredung war in ihrem Büro am 4. Stock der West-Universität. Auf den nur wenigen Quadratmetern werden Hunderte von Büchern in Ehren gehalten – wie das Philologen und Buchliebhaber zu tun pflegen. Es herrscht Arbeitsatmosphäre, der nächste Band der „Temeswarer Beiträge zur Germanistik“ soll in den Druck gehen, enge Mitarbeiterinnen sind da. Das letzte Feilen an dem Buch ist eine mühsame Arbeit, nur wer das durchgemacht hat, versteht, was dies bedeutet. Die „Beiträge“ sind eines der Projekte, die Prof. Dr. Roxana Nubert, in deren Büro wir uns befinden, ins Leben gerufen hat, heute widmet sie der Zeitschrift immer noch viel Zeit und Energie. Das Interview führen wir dann in der Österreich-Bibliothek, auch hier schauen uns viele Buchdeckel zu, aber man ist entspannter.
Vor Kurzem hat die West-Universität Prof. Dr. Roxana Nubert den Emeritus-Titel verliehen, hierzulande eine Anerkennung für besondere Verdienste: „Der Titel hat mir nicht viel zu sagen gehabt, sondern eher die Leute, die ihn bekommen haben wie Adriana Babe]i, Pia Brânzeu, Dan Negrescu und andere wertvolle Leute von anderen Fakultäten. Ich habe mir Rechenschaft gegeben, dass die Uni damit die professionellen Verdienste und die Forschungsverdienste ihrer Leute anerkennen wollte. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass diese Diplome von dem Rektor selbst verliehen wurden“.
Prof. Dr. Nubert hat ihre akademische Laufbahn 1981 begonnen, 1993 promoviert – zu Oskar Walter Cisek als Mittler zwischen der deutschen und der rumänischen Kultur („Cisek war meine erste Liebe in der rumäniendeutschen Literatur“) – wurde 1993 habilitiert und war fast zwanzig Jahre lang, zwischen 1996 und 2015, die Inhaberin des Germanistik-Lehrstuhls an der West-Universität. Gastprofessuren in Johannesburg, Cáceres, Innsbruck oder München, Forschungsstipendien in Berlin, Regensburg und Marbach, Riverside und Wien, um nur einige aufzuzählen, die Mitgliedschaft in verschiedenen wissenschaftlichen und kulturellen Vereinigungen – seit 2019 ist sie die Vorsitzende der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens – die Anregung und die Arbeit an wissenschaftlichen Projekten sowie die unzähligen Veröffentlichungen – in Buchform oder als wissenschaftliche Arbeiten, nicht zuletzt die Ehreungen – da soll nur das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst – sprechen von einer Karriere, die man nicht allein in Zahlen zusammenfassen soll.
Rückblickend erklärt sie: „Ich wurde eigentlich von meiner Studentenzeit geprägt, ich hatte phantastische Lehrer. Im Bereich Literatur war ein Maßstab für mich Frau Eva Marschang, was die Mediävistik, die barocke Literatur betrifft, Frau Radegunde Täuber, was das 19. Jahrhundert, vor allem den Realismus betrifft, Dr. Herbert Bockel hat mich in die rumäniendeutsche Literatur eingeführt, mit Walter Engel haben wir phantastische Interpretationen der Literatur im 20. Jahrhundert gemacht. Das sind die Leute, die mich im literaturwissenschaftlichen Bereich geprägt haben. Im linguistischen Bereich muss ich unbedingt Prof. Yvonne Lucu]a und Herrn Peter Kottler nennen, der für mich ein Modell für einen Universallehrer darstellte. Er kannte sich nicht nur in Linguistik, sondern auch in Literaturwissenschaft aus. Herr Kottler war – und das wissen wenige – ein sehr guter Mediävist; wir hatten mit ihm althochdeutsche und mittelhochdeutsche Texte interpretiert. Er hat auch noch lange Zeit, auch als ich den Lehrstuhl geleitet habe, unterrichtet, zugunsten von Generationen von Studierenden“.
Was sie vor allem in den fast zwanzig Jahren als Inhaberin des Germanistiklehrstuhls erreicht hat: „Was ich aufgebaut habe, obwohl ich relativ jung war, als ich den Lehrstuhl übernommen habe: Es war die Idee, dass die verschiedenen germanistischen Fächer gedeckt werden sollen und außer den Kollegen in meinem Alter wie Doz. Dr. Angelika Ionaș, Doz. Dr. Marianne Marki und selbstverständlich Herr Peter Kottler, habe ich mir vorgenommen, junge Leute heranzuziehen, um diese Fächer zu decken. Ich glaube, es ist mir zum Teil gelungen: im literaturwissenschaftlichen Bereich heutzutage Dr. Petra Kory, Doz. Dr. Graziella Predoiu, meine Nachfolgerin Doz. Dr. Laura Cheie; im linguistischen Bereich Dr. Mihaela Șandor, Dr. Alvina Ivănescu, Dr. Alina Crăciunescu – es sind Leute, die ich zum Teil zum Lehrstuhl gebracht habe oder deren Dissertationen ich betreut habe. Trotz der heutigen Entwicklung der Germanistik im heutigen Rumänien in Richtung DaF-Unterricht, ist es uns in Temeswar gelungen, die grundlegenden germanistischen Fächer beizubehalten. Das habe ich als eine Priorität meiner Karriere betrachtet“.
Über ihre Arbeit heute spricht sie und erinnert an den Band, der in den Druck gehen soll: „Wir haben die erste Germanistikzeitschrift nach der Wende herausgegeben, 1996 erschien der erste Band der „Beiträge zur Germanistik“, der in sehr vielen internationalen Datenbanken und in internationalen Bibliotheken im deutschsprachigen Raum ist. Die Zeitschrift erscheint heute noch, der letzte ist der Band 16. Die Bände sind als Folge der Tagungen erschienen, die wir mehr oder weniger, in Abhängigkeit unserer Finanzierungen organisieren konnten. Unsere erste internationale Tagung fand 1996 statt und die letzte 2016, zu den 60 Jahren Temeswarer Germanistik. Wir sind zufrieden, wir sind auch glücklich, zu diesen Tagungen angesehene Germanisten aus der ganzen Welt heranzuziehen und solche Germanisten aus dem Ausland publizieren auch heute in der Zeitschrift“.
Sie will aber auch an das Großprojekt des Lehrstuhls erinnern: „Das erste große Projekt des Lehrstuhls, das aber nicht mir zu verdanken ist, sondern meinen Vorgängern, Dr. Johann Wolf oder Peter Kottler, ist „Das Wörterbuch der deutschen Mundarten im Banat“. Das betrachte ich noch immer als das wichtigste Projekt des Lehrstuhls“.
Sie selbst arbeitet an einem anderen Projekt, „Die moderne Kultur der Deutschen im Banat“: „Das zweite wichtige Projekt für mich war das Projekt der Modernität der deutschsprachigen Kultur im Banat. Es war für mich immer eine Herausforderung, zu beweisen, dass diese Kultur mehr als nur eine provinziell geprägte Kultur war und ich wollte in erster Linie die österreichischen und die deutschen, die mitteleuropäischen Einflüsse unterstreichen. Das ist im Bereich der Presse ersichtlich, im Bereich des Theaterwesens und in der Literatur. Wenn man an Franz Xaver Kappus oder Herta Müller denkt, kann man ohne Weiteres beweisen, dass diese Kultur der Deutschen im Banat – ich vermeide absichtlich das Wort Schwaben – in die europäische Kultur integriert werden kann. Ein Buch ist in diesem Sinne schon erschienen, „Paradigmenwechsel moderner Kultur im Banat“. Es ist ein interdisziplinäres Buch, es entstand in Zusammenarbeit mit Dr. Ileana Pintilie von der Kunsthochschule, die hat die Kapitel über die Urbanistik und Architektur verfasst und ich beschäftigte mich mit der Literatur und Kultur. In Arbeit, leider noch nicht im Druck, aber ich kann sagen, dass spätestens zu Beginn des nächsten Jahres in Wien im Präsens-Verlag ein umfassender Band erscheinen wird und dieser Band enthält dann außer der Kultur und der Literatur die Bereiche Urbanistik, Architektur, Inneinrichtung, Kunst und Musik. Es ist mir gelungen, außer Frau Ileana Pintilie den geschätzten Dr. Franz Metz für Musik heranzuziehen und das Kapitel Musik liegt schon druckfertig vor“.
Ein bisschen sollte der Leser auch aus dem Privaten erfahren, deshalb die Frage nach dem liebsten rumäniendeutschen Autor, den sie gerne wiederliest: „Eine schwere Frage! lese ich immer gerne Herta Müller, vor allem weil ich an einer sehr schweren Arbeit arbeite, eine Parallele zwischen Marlene Streeruwitz und mir gefällt Herta Müller auch wegen der Komplexität ihres Werkes. Sie ist nicht nur eine Autorin von Erzählungen und Romanen, sie ist auch essayistisch sehr begabt. Als Autorin gefällt mir bei ihr das, was man an ihr sehr oft kritisiert hat: Warum sie nur über die Diktatur geschrieben hat. Das ist eben auch die Größe ihrer Texte. Warum hat zum Beispiel Rilke diese Angst vor der Großstadt in „Malte“ beschrieben, diese Angst existentieller Natur? Herta Müller ist es phantastisch gelungen, diese Angst existentieller Natur in der Diktatur festzuhalten, mir gefällt die Offenheit ihrer Standpunkte: Es gefällt mir nicht ein Text wie „Das schwäbische Bad“, das muss ich offen sagen, aber Herta Müller bedeutet nicht nur „Das schwäbische Bad“ in meiner Sicht“.