„Jetzt bin ich in beiden Städten zuhause“.

Interview mit der Journalistin und Schriftstellerin Adriana Cârcu

Adriana Cârcu und Toni Kühn im Innenhof des „Hauses der Künste“. Foto: Zoltán Pázmány

Die in Temeswar geborene, in Deutschland lebende Journalistin und Autorin Adriana Cârcu ist dem Leser aus der Zeitschrift „Orizont“ oder aus anderen Kulturzeitschriften bekannt oder aber durch die fünf bereits veröffentlichten Bücher. Vor dem „Dialog über den Gedanken des Fortgehens“, einer Veranstaltung, zu der das Deutsche Kulturzentrum Temeswar in der ersten Juni-Woche die Autorin eingeladen hatte, nahm sich diese die Zeit, ein Stichwort-Interview der Redakteurin Ștefana Ciortea Neamțiu zu verschiedenen Meilensteinen aus ihrem Leben und Schaffen zu gegeben.

Temeswar.

Das bringt schon vieles hoch! Das Wort „fortgehen“ ist mit Temeswar eng verbunden. Ich trage es überall mit mir. Es kann nicht aus meinem Leben, aus meiner Biographie weggewischt werden. Ich bin erst nach dem Studium nach Deutschland ausgewandert und in Gedanken kehre ich immer wieder zurück. In meinem Schreiben taucht immer wieder diese Nostalgie auf. Deshalb sind zwei meiner Bücher auf Temeswar fokussiert: die Interviews, die ich mit den ausgewanderten Künstlern geführt habe und dann mit denjenigen, die sich entschlossen haben, nicht auszuwandern. Das ist eben Temeswar.

Ich bin vor der Revolution ausgewandert. Innerhalb eines Jahres hat das Leben als solches ganz andere Dimensionen genommen und ich trage mit mir auch die Schuld, nicht dabei gewesen zu sein: Meine Stadt hat eine Erfahrung gemacht und ich habe nicht daran teilgenommen. Das hat mich außerhalb der „Burg“ positioniert. Wir hätten alle hier sein müssen! Ich hatte dieses Pflichtbewusstsein, etwas für meine Stadt machen zu müssen.

Heidelberg.

Heidelberg ist meine neue Heimat. Es ist ein sehr interessanter, mühsamer und schmerzhafter Prozess gewesen. Wenn du auswanderst, wirst du neu geboren, das ist keine Metapher. Der Prozess des „Ankommens“ hat dann angesetzt, als meine Freunde und Bekannten aus Temeswar zu Besuch gekommen sind; dann habe ich bemerkt, dass ich ihnen sagte: „Wir haben das hier…“ Oder: „Schaut mal, wie schön das ist…“ Man fühlt sich so langsam heimisch. Dann wurde ich auch in den Schriftstellerverein aufgenommen und ich hatte auch mein eigenes Projekt, „Literatur an der Straßenecke“, wobei ich mit vier-fünf anderen Schriftstellern Lesungen auf der Straße mache. Dieser Prozess des Heimisch-Werdens ist mir aufgefallen, als ich mit der Straßenbahn gefahren bin: Da war ein Fragment aus einem Gedicht von mir in der Straßenbahn zu lesen, im Rahmen der Aktion „UNESCO-City of Literature“. Ich fuhr an einer Galerie vorbei, wo ich letztes Jahr eine Ausstellung für die Künstlerin Daniela Orăvițanu organisiert habe und dachte: „meine“ Galerie. Und dann bin ich an der Volkshochschule vorbeigefahren, wo ich unterrichte. Da habe ich zu mir gesagt: Mittlerweile bist du eine Heidelbergerin. Jetzt bin ich in beiden Städten zu Hause.

Maria Fels/Maria Ciclova.

Vor zehn Jahren habe ich einen Kulturverein mit Robert Șerban und Călin Beloescu gegründet und seitdem machen wir jedes Jahr etwas. In den ersten fünf Jahren haben wir etwas für Kinder organisiert: Kunst im Garten. Letztes Jahr habe ich eine Ausstellung mit Sax Moradi gemacht, die gestern auch hier gezeigt wurde. In diesem Jahr passiert etwas ganz Schönes: Auf dem Kreuzweg in Maria Fels gab es oben drei Kreuze. Als ich angefangen habe, waren es nur noch zwei, die auch beschädigt waren. Ich bin kein sehr religiöser Mensch, aber es geht um das lokale Patrimonium, das erhalten bleiben soll. Die Künstler Călin Beloescu und Sax Moradi sowie ein Tischler, Herr Nelu, sie alle haben dazu beigetragen, dass diese Kreuzstationen restauriert beziehungsweise neue gemacht wurden. Am 15. August, wenn die Wallfahrt der Böhmen stattfindet, werden die neuen Stationen geheiligt. Das wird ein Event auch für die Künstler. Als wir über Heimat gesprochen haben: Maria Fels wurde eine Option, als ich nirgendwo mehr zu Hause gewesen war. Ich fühle mich sehr wohl in dieser Künstlergemeinde. Es ist eine Art Heimat.

Lektüre. Bücher. Schreiben. Publikum.

Das kam aus einem inneren Bedürfnis heraus. Das Thema „Fortgehen“ taucht immer wieder in meinem Schreiben auf. In meinem letzten Buch gibt es einen Text, „Die letzte Nacht in Curtici“. Es war Kommunismus und das Fortgehen hatte diese tragische Dimension: Ich gehe weg und kehre vielleicht nie wieder zurück. Heute hat das Fortgehen eher eine abenteuerliche Dimension bekommen. Was ich jedoch vermitteln will: Es reicht nicht, wegzugehen, man muss auch ankommen. Und es gibt drei Barrieren, die der Sprache, der Kultur (des Alltags sozusagen und der Geschichte, die du nicht miterlebt hast), und die des Systems und die sitzt verdammt tief. Es sind die guten und die schlechten Einflüsse, die man mit sich schleppt.

Musik. Jazz.

Das ist meine Liebe. Ich bin mit Jazz großgewachsen. Mein allererster Freund war Jazzmusiker, Paul, über ihn kam ich in eine ganz besondere Welt. Das hat sich so entwickelt. Die tollsten Sachen in meinem Leben haben sich ergeben. Ich habe Nils Petter Molvaer (norwegischer Jazz-Trompeter) für eine Weile gehört, dann habe ich mir gedacht, ich will ihn nicht im Backstage ansprechen: „Hi, I am a huge fan of yours“. Also habe ich mich akkreditieren lassen und ein Interview mit ihm geführt. Ich habe Marius Giura gefragt, was ich mit dem Interview anfangen sollte, denn es war wirklich gut. Er zählte mir drei große Zeitschriften auf, davon war „All About Jazz“ die beste. Sie haben das Interview veröffentlicht und mich dann auch engagiert.

Temeswar 2021.

Der Vektor ist da. Ich bin jetzt Mitglied im GEDOK. In diesem Jahr habe ich Austauschprojekte initiiert. Am 30. August kommen Liliana Geiss, Agnes Pschorn und ich nach Temeswar. Wir wollen im nächsten Jahr drei Künstlerinnen nach Heidelberg einladen und im übernächsten Jahr ein gemeinsames Projekt machen. Aber vielleicht lässt sich für 2021 auch etwas im Zusammenhang mit Literatur machen.