Die Massenmigration des Sommers und Herbstes 2015 haben im politischen Verhalten der Europäer Änderungen bewirkt, deren Folgen mit dem Rechtsruck in Österreich, Frankreich und einigen deutschen Bundesländern nur unvollständig beschrieben sind. Die bevorstehende britische Volksabstimmung zum Brexit steht nicht unter europafreundlichen Zeichen und beim Hinterfragen des Wahlkampfs für die Kommunalwahlen vom vergangenen Sonntag muss aufgefallen sein, dass die stimmenfängerischen Parteien auf die rechts-nationalistische Tube gedrückt haben.
Wenn der Deal der (danach ins Taumeln geratenen) Bundeskanzlerin Merkel mit dem nationalistisch-islamistischem Erdogan-Regime in der Türkei scheitert – was die meisten Beobachter für plausibel halten, wenn Europa prinzipienfest bleibt und die Türkei in den wenigen wirklich wichtigen EU-Forderungen nicht einlenkt – dann muss man sich auf ein weiteres Rechtsabdriften der Wählerschaft einstellen, denn der Migrationsdruck auf Europa wird wieder steigen. Und die EU stark ins Wanken geraten. An ihren Rändern wird das Rumoren lauter.
Vorboten der Unruhen hat es schon gegeben: das Knurren der ex-jugoslawischen Staaten, die an der „Balkanroute“ liegen und die zu Rumzuknappen anfingen, was auch darauf hindeutet, dass die Wunden des Sezessionskriegs vom Ende der 1990er Jahre nicht verheilt sind (das ist nicht nur an den als Mahnmale stehen gelassenen Bombentrichtern in Belgrad zu sehen), die nackengesträubten Haare der Italiener und Österreicher bezüglich einer Sperre am Brenner vor der anschwellenden „Mittelmeerroute“, aber auch das Hochschießen von AfD, FPÖ oder Front Nationale sowie den als klein abgetanen Parteien in den Niederlanden, in Belgien usw., die in allen Parteien erfolgreich um Wähler wildern. Nicht zu vergessen die Machtkapriolen der polnischen Rechten oder unseres Nachbarn Viktor Orbán.
Am schwersten voraussehbar spielt im Schicksalspoker die Türkei. Bisher scheint für sie eine Vertragsverpflichtung nur zu gelten, wenn es um Unerhebliches geht. Sobald es sich aber um die Grundeinstellung dieses Staates handelt, der schlafwandlerisch auf eine Diktatur zusteuert, bockt sie und verweigert die Verbriefung demokratiebegünstigender Zusagen.
Die zweite große Migrantenkrise schwebt über uns. Diesmal wird Rumänien seine Verpflichtungen einhalten müssen, wenn es nicht türkeigleich eingestuft sein möchte. Das Solidaritätskonzept, das immer noch die Grundlage des europäischen Baus ist, würde von einer zweiten Migrantenkrise in seinen Grundfesten erschüttert. Und die Autorität der Bundeskanzlerin mit. Doch es gibt niemand, der Angela Merkel gleichwertig ersetzen könnte.
„Wir leben gefährlich“, schreibt „Dilema Veche“, „in Abhängigkeit von einem Vertrag mit einer unvorhersehbar agierenden Türkei“.