Ich selbst kenne Rumänien seit meiner Kindheit. Ich weiß nicht was es ist hier im Osten, das eine solche Faszination auszuüben vermag. Ist es das wärmere Klima und die weiten Landschaften, die eine irgendwie heimatliche Stimmung hervorrufen? Vielleicht die Architektur und repräsentativen Plätze der Innenstädte, oder gar das einfache Leben auf dem Dorf, die mich dieses Land nie als Fremder haben erleben lassen? In jedem Fall ist mir die Nostalgie der Aussiedler verständlich, obwohl ich in Deutschland geboren bin. Beinahe jedes ehemals deutsche Dorf, mit seiner Geschichte, seinen Bräuchen und alten Fotos, lebt virtuell weiter in Form unzähliger Internetseiten. Ebenso wie ich es von meinen Eltern gehört habe, so wird auch dort erzählt von der wunderschönen Kindheit, die man verlebt hat, und einhellig wird berichtet: Das Leben war hart, und doch war es schön.
Woher dieser Drang zur Erinnerung wohl kommt, möchte man fragen. Es ist als habe man in der Vergangenheit etwas erlebt, das einem irgendwie verloren gegangen ist, und man sehnt sich danach, es wiederzufinden. Heimat, Gemeinschaft, ein wohliges Gefühl von Geborgenheit, eine erfüllende Arbeit. Das mag auch die Triebfeder für so viele Publikationen sein, die dieser Nostalgie wieder und wieder Nahrung geben wollen – seien es Bücher mit Gedichten, Kindheitserinnerungen, Kirchenliedern, bis hin zu Mundart und Siedlungsgeschichte. Obwohl die Anzahl der Deutschstämmigen seit der Wende immer weiter zurückgeht, gibt es auch hierzulande nach wie vor Bestrebungen zum Erhalt der deutschen Sprache sowie der schwäbischen Kunst und Kultur in Form von Literaturtagen, Brauchtumspflege, Gastkonzerten, etc.
Ich komme nicht umhin mich zu fragen, was all das Rückblickende und übriggebliebene Kulturgut einem deutschen Neusiedler bringen soll? Und so gebe ich mir einen Ruck, stelle meine Füße ganz fest auf diesen rumänischen Boden – und komme zu einer wenig rosigen Beschreibung der Gegenwart, wie sie meiner Beobachtung und meiner Erfahrung entspricht...
Die große Lektion, die ich seitdem ich mich hier niedergelassen habe, lernen musste, war dass eine Gesellschaft so ist, wie die Mehrheit sie akzeptiert. Als naiver Deutscher könnte man meinen, dass so schädliche Auswüchse wie die Korruption doch von der Allgemeinheit beseitigt werden würden, hätte sie nur die Möglichkeit dazu. Aber so verhält es sich leider ganz und gar nicht, vielmehr spiegeln sich diese eklatanten moralischen Defizite der Menschen in Führungspositionen in der Mehrheit der Bevölkerung wieder. So sieht sich dieses Land in großem Maße der Grundlage einer jeden Gesellschaft beraubt – nämlich der des Vertrauens – , was gleichwohl den Hauptunterschied zu Deutschland ausmacht (und was so viele Menschen nach wie vor zur Emigration drängt). Aufgrund der Inhomogenität der Bevölkerung ist es heute schwer vorstellbar, dieses notwendige Vertrauen von dem ich sprach und ein damit einhergehendes gutes Zusammenleben zumindest im Kleinen, also auf kommunaler Ebene, aufzubauen. Doch gerade hier könnte eine konkrete Chance verborgen sein…
Viele Menschen aus den westlichen Wohlstandsgesellschaften werden immer skeptischer gegenüber einem ständig proklamierten wirtschaftlichen Wachstum, den es natürlich nicht für immer geben kann. Der krude Materialismus, dem man besonders in Rumäniens Großstädten begegnet, scheint im Westen bei immer mehr Menschen überwunden zu sein, und eine Suche nach alternativen Möglichkeiten bahnt sich neue Wege. Es ist der Versuch einer Neudefinition von dem was es eigentlich heißt, gut zu leben, abseits von übermäßigem Konsum, unnötigem Luxus und medialer Ablenkung. Mittlerweile haben sich dahingehend vielfältige Bestrebungen herausgebildet, wie die Suche nach authentischen spirituellen Praktiken, die Diskussion alternativer und nachhaltiger Wirtschaftsformen, Workshops über Gemeinschaftsbildung, ökologisches Bauen, Selbstversorgung, etc., und sogar alles vereint in Ökodörfern. Man sieht hier im Grunde genommen vieles, was früher eigentlich Normalität war. Es geht diesen Menschen nicht darum, die Vergangenheit wieder auszugraben, sondern um eine selbstbestimmte und lebensfreundliche Verbindung des Modernen mit dem „guten Alten“. Einfachheit als Grundlage für das Glück ist dabei oftmals ein ganz zentrales Motiv. Man könnte es sagen mit den Worten des Dichters Christian Morgenstern: „Im Anfang war – Mein Ziel“. Man ist ausgegangen, ist umhergeschweift, um letztendlich doch wieder zu den Anfängen zurückzukehren, nur natürlich viel reifer als man begonnen hat.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass auch ein ärmlicheres Land wie Rumänien seinen Reiz haben kann. Die lang anhaltende Niedrigzinspolitik und der stete Andrang von Menschen haben die Preise in Deutschland explodieren lassen. So beginnt z.B. der Preis für landwirtschaftlichen Grund in Bayern mittlerweile bei 70.000 Euro pro Hektar. Derselbe Anstieg gilt für Häuser, Grundstücke und Mieten. Dem gegenüber sind die Preise in Rumänien nach wie vor für jeden erschwinglich. Die rumänischen Dörfer sind überaltert, ich weiß nicht wie viele Baugrundstücke und alte Häuser mit ihren dazugehörigen landwirtschaftlichen Flächen außerhalb allein in meinem Dorf zum Verkauf stehen. Hinzukommt die schrittweise Erhöhung des Lebensstandards auch auf kommunaler Ebene durch asphaltierte Straßen, Internetzugang, fließend Wasser und verstärkt auch Kanalisation. Zu erwähnen bleibt noch dass die Parzellengröße in den Dörfern historisch bedingt auf Selbstversorgung ausgerichtet ist (so umfasst z.B. allein mein Garten 5.000 m²).
All das bisher Gesagte ist sicherlich nicht mehr als ein Denkanstoß. Und zum Schluss möchte ich das sagen, was schon von so vielen gesagt wurde – es ist schade, dass nicht ein einziges deutsches Dorf mehr verblieben ist in diesem schönen Land!
Eduard Fassel (eigenen Angaben nach, aus einem Dorf bei Lugosch)
(Redaktionelle Bearbeitung: Siegfried Thiel)