Liebe, Wahnsinn und Tod am DSTT

Das lief im deutschen Staatstheater in der 60. Spielzeit

Wahnsinnig komisch: Alexandru Dabija brachte Bertolt Brechts Satire „Die Kleinbürgerhochzeit“ auf die Bühne des Deutschen Staatstheaters Temeswar. Foto: DSTT

Im Wesentlichen bestehen Theaterstücke aus Liebe, Wahnsinn und Tod. Das meint zumindest der Literaturkritiker und Journalist Gustav Seibt. Und er hat recht, besonders wenn man sich die Premieren der 60. Spielzeit des Deutschen Staatstheaters anschaut. Der Tod zum Beispiel war in fast allen Stücken präsent und zwar ganz prominent. So mussten in William Shakespeares Gewaltorgie „Titus Andronicus“ die meisten dran glauben. Autoren wie George R.R. Martin sind in Vergleich zu Shakespeare kleine Nummern: Frauen werden vergewaltigt und verstümmelt, Männer werden abgeschlachtet und als Speise serviert. Das „schwarze Schaf“ unter den Shakespeare-Stücken ist eine harte Nuss, weshalb es auch sehr selten in Theatern gespielt wird. Da muss schon jemand daherkommen, der sich an das Trauerspiel heranwagen will und es vor den großen Shakespeare-Lieblingen bevorzugt. Der Engländer Brian Michaels hat sich dieser Feuerprobe gestellt und das Grauen auf die DSTT-Bühne gebracht. Damit das Stück dann doch nicht nur von Klagen und Weh dominiert wird, hat der Regisseur dem Trauerspiel viel schwarzen Humor beigemischt.

Der Tod spielte eine zentrale Rolle auch in der ersten Premiere der abgeschlossenen Spielzeit - der Adaption von Herta Müllers Debütprosaband „Niederungen“. Hier wird der Tod als eine Apotheose gehandelt: Regisseur Nikolaus ’Niky‘ Wolcz erzählt den Untergang des schwäbischen Dorfes aus dem Banat und versucht Herta Müllers lyrischen, abstrakten Stil, auf die Bühne zu bringen. Es gelingt dem erfahrenen Schauspieler und Pädagogen nicht immer, schafft dafür aber gespenstische Momente, die an Filme des Russischen Regisseurs Andrei Arsenjewitsch Tarkowski erinnern.

Das russische Theater war in den letzten zehn Monaten öfters präsent im DSTT: Anton Pawlowitsch Tschechows „Die Möwe“ wurde von dem international gefeierten Spielleiter und Pädagogen Yuri Kordonsky inszeniert. Auch in dem Drama in vier Aufzügen geht es in gewisser Weise um den Tod, aber viel mehr geht es um die Liebe. Tschechow selbst nannte es eine Komödie, doch dahinter würde sich vielmehr die „Comédie Humaine“ verbergen. Denn „Die Möwe“ ist ein zutiefst existenzielles Stück über Fragen, die sich auf das menschliche Dasein beziehen.

Und was in der Spielzeit nicht gefehlt hat und sogar in vielen Stücken vorherrschte, war der Wahnsinn. Der Choreograf Florin Fieroiu hat sich zum ersten Mal als Spielleiter am DSTT versucht und das Performance-Stück „derdiedans“ inszeniert. Eine völlig andere Form von Theater, die dem Zuschauer hier geboten wurde: Tanz und Bewegung trifft auf Worte und Laute. Es ist ein sich ständig wandelndes Stück, wo das Zusammenspiel der Akteure im Vordergrund steht und nicht die Handlung.

Wahnsinnig komisch ist auch Bertolt Brechts „Die Kleinbürgerhochzeit“ in der Regie von Alexandru Dabija. Der erfolgreiche Spielleiter hatte das DSTT-Publikum bereits einmal in seinen Bann gezogen mit der Ionescu-Inszenierung „Die kahle Sängerin“. Diesmal tat er es Michaels gleich und widmete sich dem Frühwerk des deutschen Dramatikers Brecht. Noch bevor dieser von Verfremdungseffekt und vom Epischen Theater sprach, übte sich Bertolt Brecht im klassischen Stückeschreiben. Was der junge Brecht mit dem älteren gemein hat, ist der Drang, die sozialen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft zu kritisieren.

Fünf neue Stücke feierten in den letzten zehn Monaten Premiere am Deutschen Staatstheater Temeswar. Das DSTT zeigte sich experimentierfreudig und bereit, auch unkonventionelle Stücke ins Repertoire aufzunehmen. Gemäß dem Motto „Etwas für jeden“ bemüht sich das DSTT weiterhin darum, als Theaterhaus in Rumänien relevant zu sein und sich nicht ausschließlich als ein Kuriosum darzustellen, weil die Stücke im Haus nur auf Deutsch gespielt werden. Man darf auf die nächste Spielzeit gespannt sein und auf die Gastregisseure, die am DSTT inszenieren werden. Vielleicht können wir uns auf ein neues Stück von Bocsárdi László oder Radu Afrim freuen. Immerhin hat das Stück des Letzteren, „Das Mädchen im Goldfischglas“, der jungen Schauspielerin Silvia Török ihren ersten UNITER-Preis beschert – den Oscar des rumänischen Theaters. Eine Auszeichnung, die nicht nur ihr gebührt, sondern auch dem Theater für die Strategie, die es bisher verfolgt hat.