Menschenmassen tummeln sich auf dem engen Weg. Der Geruch von gebratenem Rostfleisch steigt einem in die Nase. Die Händler wollen so schnell wie möglich alles verkaufen und kräftig Gewinn machen. Man fühlt sich wie auf einer Messe – im wirtschaftlichen Sinne, könnte man nicht die Spitze der Kirche schon von Weitem erkennen. Die Menschenmenge - Familien, Freunde, strenggläubige oder einfach Leute, die auf ein Wunder hoffen - hat ein einziges Ziel: den Gottesdienst in der römisch-katholischen Basilica minor von Maria Radna mitzuerleben.
Geschwungene Treppen führen einen hinauf bis zum eindrucksvollen Tor. Es riecht nach Weihrauch und es ist angenehm kühl in der Kirche. Über den Köpfen der vielen Menschen kann man von Weitem den imposanten barocken Altar erkennen. Alles scheint in Gold getaucht. Kommt man näher, so erscheinen die Umrisse der berühmten Ikone immer klarer. Der goldene Rahmen scheint das schlichte Bild der Gottesmutter mit ihrem Kind zu überwältigen: Das Bild an sich sieht wirklich so aus, wie die Menschen erzählen: völlig unversehrt vom Feuer, das vor Jahrhunderten getobt hat und das wundertätige Abbild der Muttergottes mit dem Jesukind unversehrt ließ.
Die Atmosphäre in der Kirche ist friedlich: Keiner drängelt, wie man es von orthodoxen Gläubigen auf Wallfahrten kennt, die alle gleichzeitig die ausgestellten Reliquien eines Heiligen berühren wollen und wo die Gendarmen und Polizisten mit ihren Rufen zur Ordnung ignoriert werden. Auf den Gesichtern der Menschen kann man ein weites Spektrum von Gefühlen ablesen: Ehrfurcht, Trauer, Hoffnung, Erwartung. Einige Menschen machen Fotos, andere sehen sich die kunstvollen Wandgemälde an, doch die meisten sind hier, um zu beten, Einkehr zu halten in ihre Seele. Dass sich die Menschheit von Gott entfernt haben soll, scheint hier doch nicht zu stimmen.
„Der Mensch sucht eigentlich Gott. Es kann sein, dass die Art und Weise, wie der heutige Mensch Gott sucht, ein bisschen anders ist als früher, aber die Sehnsucht nach Gott ist da“, bestätigt Pfarrer Andreas Reinholz, Domherr in Maria Radna. An Mariä Himmelfahrt hat der Priester alle Hände von zu tun, denn Tausende von Menschen pilgern an diesem Tag zur bekanntesten Wallfahrtskirche des Banats. Seit 6 Uhr morgens hört sich der Priester die Beichten der Gläubigen in der Dunkelheit des Beichtstuhls an. „Viele Jugendlichen sagen, dass sie den Glauben brauchen, denn ohne ihn sind sie verloren. Wir brauchen eine Orientierung im Leben“, sagt Pfarrer Reinholz.
Um die 15.000 Menschen sind jedes Jahr am 15. August nach Maria Radna gekommen. Die Zahl der Pilger hat sich jedoch um 20-30 Prozent erhöht, seitdem Mariä Himmelfahrt ein staatlich anerkannter Feiertag und somit ein arbeitsfreier Tag für die meisten Bürger Rumäniens ist. Pfarrer Andreas Reinholz ist überzeugt, dass auch in diesem Jahr eine Rekordzahl von Besuchern erreicht wurde. „Dadurch, dass auch sehr schönes Wetter herrscht, können wir von mindestens 20.000 Menschen sprechen. Viele Menschen besuchen an diesem Tag sogar zwei-drei Wallfahrtsorte“, erklärt der Domherr.
Zu den Menschen, die Jahr für Jahr nach Maria Radna kommen, gehört auch der 33-jährige Markus aus Augsburg. „Es ist eine uralte Tradition bei uns, jedes Jahr hierher zu kommen. Mittlerweile sind es über 20 Jahre“, sagt der junge Mann. Der Feiertag ist für Markus´ Familie nicht nur vom religiösen Gesichtspunkt wichtig. Am 15. August kommt die ganze Familie zusammen, „man ist eben für einander da“. Schon seine Urgroßeltern sind nach Maria Radna gepilgert, erzählt Markus. „Und zwar zu Fuß, nicht so wie wir, in zwei Stunden mit dem Auto. Sie haben dafür Tage gebraucht“, sagt er.
Pfarrer Gottfried Doll aus Rosenheim hat eine Gruppe von 21 Jugendlichen nach Rumänien geführt. Sie besuchen die Caritas aus Lippa/Lipova und wollen auch einen Abstecher nach Hermannstadt/Sibiu und Umgebung unternehmen, aber auch ins Banater Bergland fahren. „Wir wollten den heutigen Tag nutzen, um am größten Marien-Wallfahrtsort in Rumänien den Gottesdienst mitzuerleben“, sagt der Pfarrer.
In der päpstlichen Basilika laden schon die Glocken zur Messe ein. Die Kirche ist nur ein paar Mal im Jahr so voll wie heute. Nicht nur alle Sitzplätze, sondern auch fast alle Stehplätze sind besetzt. Trotzdem kann man sich durch die Menschen bis ganz nach vorne hindurch schlängeln. Am 15. August gibt es Gottesdienste in mehreren Sprachen. Die Heilige Messe um 11 Uhr zelebriert der römisch-katholische Bischof Martin Roos zusammen mit einem Ehrengast aus Großbetschkerek/Zrenjanin im serbischen Banat, dem Bischof László Német. Draußen, hinter der Basilika, gehen die Menschen den Kreuzweg am Kalvarienberg. Einige graben im trockenen Boden nach den Tränen der Gottesmutter. Im Volksmund heißt es, dass in der Nacht vor Maria Geburt die Gottesmutter selbst den Kreuzweg ihres Sohnes mitmacht und dabei weint. Ihre Tränen sollen am Kalvarienberg geblieben sein. Wer sie in Form von weizenkornähnlichen Samen findet, dem sollen bis nächstes Jahr von Krankheit und Sorgen fernbleiben.
Wenn im nächsten Jahr wieder Mariä Himmelfahrt in Radna ansteht, wird ein Gerüst die Kirche einkleiden. Die größte Wallfahrtskirche des Banats soll nämlich bis 2015 komplett saniert werden. Der Finanzierungsvertrag wurde am 1. März unterzeichnet, 47 Millionen Lei aus EU-Mitteln sind für die Sanierungsarbeiten bestimmt. Derzeit läuft noch die Ausschreibungsphase, bei der die Baufirma ermittelt wird, die sich um die Arbeiten kümmern soll. Drei Unternehmen aus Rumänien haben sich für die Endphase der Ausschreibung qualifiziert. „Wir wollen hier nur eine Firma haben, die sich in Maria Radna sofort verliebt, denn ohne Herzblut kann man diese Arbeit gar nicht machen“, betont Pfarrer Andreas Reinholz. Bis an Maria Geburt am 8. September, wenn die Pilgerzahl in Maria Radna ihren Höhepunkt erreicht, soll auch der Bauherr feststehen.