Der illegale Menschenhandel ist in der Europäischen Union ein profitables Geschäft: rund 25 Milliarden Euro pro Jahr Umsatz. Das geht aus einem Bericht des Spiegels hervor, der sich auf ein Papier des Europaabgeordneten Salvatore Iacolino bezieht. In der EU gebe es laut den Statistiken der International Labour Organization (ILO), einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, mehr als 800.000 Sklavenarbeiter. Die Hälfte davon sind Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden. Der Großteil dieser Frauen stammt aus osteuropäischen Staaten wie Rumänien oder Bulgarien. Sie werden unter falschem Vorwand in westliche Industrieländer gebracht, dort nimmt man ihnen die Dokumente weg und sie werden gegen ihren Willen festgehalten.
In England hat eine moderne Oper im Frühjahr für Aufsehen gesorgt: „Anya17“ handelt eben von jenen Frauen, die im Ausland zur Prostitution tagtäglich gezwungen werden. Die von Adam Gorb komponierte Oper erzählt die Geschichte einer minderjährigen Osteuropäerin, die sich in den falschen Mann verliebt und so in den Westen kommt, wo sie ihren Körper verkaufen muss. Das Libretto schrieb Ben Kaye, die Regie führte Caroline Clegg.
Die Rumänienpremiere der Oper fand Mitte Oktober in der Banater Philharmonie statt. Es spielten Master-Studenten von der Royal Northern College of Music mit. Sowohl der Komponist Adam Gorb als auch die Regisseurin Caroline Clegg waren bei der rumänischen Erstaufführung anwesend.
Andrea Tweedale spielt die naive Anya, die sich in den zwielichtigen Uri (Traian Mişcu) verliebt. Er verspricht ihr ein besseres Leben im Westen, woraufhin sie ihr Zuhause verlässt, um mit Uri auszuwandern. In der Ferne gerät sie allerdings an den Menschenhändler Dimitri (Mario Agache). Anya muss schnell erfahren, dass ihr Leben nichts wert ist. Spätestens, als sie die blinde Elena kennenlernt.
Die Menschenhändler haben der Frau das Augenlicht gestohlen und ihr Neugeborenes getötet. In einer bewegenden Arie singt sie davon, wie sie von ihren Peinigern behandelt wurde, wie man sie ihrer Identität beraubt hat. Ein Schicksal, das auch Anya droht, wenn sie weiter in den Fängen von Dimitri bleibt. Hoffnung findet Anya, als sich der junge Gabriel (Traian Mişcu) in sie verliebt und sich darum bemüht, die Minderjährige zu befreien. Doch ehe er einschreiten kann, flieht Anya, nachdem Dimitri ihre Freundin und Leidenspartnerin kaltblütig ermordet.
Wie wenig ein Menschenleben wert sein kann, wie hart und skrupellos Menschenhändler sein können, das zeigt „Anya17“ und wirft gleichzeitig den Spiegel vor und macht nicht allein die Händler für die Misere der jungen Frauen verantwortlich, sondern auch diejenigen, die ihre Geschäfte finanzieren. Kurz, bevor Dimitri an einer Messerwunde stirbt, richtet er seine letzten Worte an das Publikum. Die Botschaft: Ihr wollt es doch. Damit wird Dimitri nur zum Zwischenhändler und die eigentliche Verantwortung trägt die Gesellschaft selbst, die zulässt, das solche Elemente so frei agieren können und junge Frauen wie Anya für ihre Machenschaften ausbeuten können. Das wird durch die aktuellen Statistiken belegt.
Doch noch aussagekräftiger sind die Geschichten der Frauen, die das Gleiche durchgemacht haben wie die 17-jährige Anya und noch leben, um davon zu erzählen.
Was solche Menschen aus jungen Frauen machen, das wird durch Anya eindrucksvoll gezeigt. Sie wird von einem jungen, naiven Mädchen, das von einem besseren Leben träumt und einfach nur das Pech hatte, an den falschen Mann zu geraten, in eine Namenlose, eine Identitätslose, in eine Fantasie für Männer, die es gerne jung mögen und dafür auch zahlen. Am Ende bleibt von Anya nichts außer einer Zahl: 17. Und auch ein Happy End bleibt dem Opfer verwehrt. Denn die ihr zugefügten Traumen machen sie unempfänglich selbst für die Liebe eines ehrlichen und gutmütigen Menschen. Nur mit größter Kraft schafft es Anya schließlich doch, sich an ihren Namen zu erinnern, denn letztendlich ist und bleibt sie ein Mensch mit Träumen und den gleichen Rechten wie alle Menschen.
Die Handlung dieser Oper wurde und wird jeden Tag geschrieben. Nicht in Opern, dafür aber in Zeitungsberichten und Statistiken. Und oft geht es darin auch nur um Zahlen und Prozente. Doch 800.000 ist in diesem Fall nicht bloß eine Zahl. Es sind 800.000 ähnlich tragische Geschichten von Menschen, die Furchtbares durchmachen müssen, weil die anderen wegschauen und das Problem ignorieren. Darum wird aus Anya nur eine 17 und darum ist diese erste Oper über ein so schwieriges und delikates Thema, wie eine Bombe eingeschlagen, sowohl in England als auch in Rumänien. Weil es uns hinter die Statistiken blicken lässt.