Es liegt in der Natur der Politiker zu versprechen. Das kann man ihnen, zumindest theoretisch, nicht übel nehmen. Mittel zum Zweck könnte man es nennen. Immerhin: Die letzten 26-27 Jahre in Rumänien haben gezeigt, dass diese Versprechen nur selten Wirklichkeit werden. Tausende und Abertausende Kilometer von Autobahnen, die inzwischen zu einem Symbol der nationalen Hilflosigkeit geworden sind, große Infrastrukturprojekte, Stadien, Parkplätze, Krankenhäuser, Sporthallen. Alles wird im Wahlkampf versprochen. Und danach wird alles vergessen oder neu verpackt, für die nächste Wahlkampagne.
Etwa 14,5 Prozent der wahlberechtigten Temeswarer haben den neuen-alten Bürgermeister, Prof. Dr.-Ing. Nicolae Robu, im Juni 2016 wiedergewählt. Robu erhielt zwar 53 Prozent aller Stimmen, doch angesichts der Tatsache, dass die Wahlbeteiligung in Temeswar 28 Prozent betrug, fragt man sich schon, wo die 72 Prozent der wahlberechtigten Temeswarer waren, die aus verschiedenen Gründen ihre Stimmen am Wahlsonntag nicht abgegeben haben. Auch als Politiker müsste man sich das fragen, bevor man seinen Sieg ankündigt. Eine so niedrige Anwesenheitsrate ist keine Niederlage für die Demokratie an sich, aber ein klarer Schlag für die Politiker. Premierminister Ciolo{ konnte oder wollte nicht das Wahlgesetz durch Dringlichkeitsverordnung ändern. Es ist auch irrelevant, darüber zu debattieren, ob ein Zwei-Runden-Wahlkampf zu einer besseren Vertretung der Wähler geführt hätte, denn die rumänischen Wahlgesetze sind seit eh und je mangelhaft, es fehlt an klaren Regeln für das Sammeln von Unterschriften, die Wahlbeteiligung von unabhängigen Kandidaten ist restriktiv und die Verteilung der Sitze vom Parlament bis hin zu den Kommunalräten ist für die großen Parteien vorteilhaft. Temeswar, genau wie jede andere Stadt in einer demokratischen, normal funktionierenden Gesellschaft, gehört keiner Partei, auch wenn diese die Wahlen gewinnt. Und das vergessen in Rumänien die Politiker die ganze Zeit - leider auch viele der Bürger und Wähler.
Verwaltung statt Führung
Zurück zu Temeswar, der Stadt, in der „zumindest etwas gemacht wird“, wie die passiven und aktiven Anhänger Robus immer wieder meinen. Das bedeutet zahlreiche, schwach organisierte Baustellen, fehlende Alternativrouten, kilometerlange Staus. Darüber hinaus werden Bäume gefällt. Viele Bäume. Egal, wie viele junge Bäume sich der Bürgermeister rühmt, gepflanzt zu haben, die Realität am neuen Freiheits- oder am Lahovary-Platz ist ziemlich schattenlos. Wer Kritik ausübt, wird schnell als Feind der „kraftvollen Entwicklung“ der Stadt eingestuft. Und das ist keine Paraphrase des ehemaligen rumänischen Diktators und Staatsoberhauptes Ceau{escu, sondern es sind lediglich die Worte des liberalen Politikers Nicolae Robu. Der Liberale, der eines behauptet und das andere tut, wenn es um Transparenz oder Meinungsfreiheit geht. Und der vergessen hat, dass in der Vergangenheit Bescheidenheit eine Tugend war. Man redet fast täglich von Ideen (die uns als Projekte verkauft werden) und Erfolgen. Jemand sollte dem Nicht-mehr-Rektor-sondern-Bürgermeister erklären, welche die Unterschiede zwischen einer Idee und einem Projekt sind, insbesondere ein Projekt, das mit Erfolg für die Akquise von Drittmitteln eingereicht werden kann. Außerdem sind die Straßensanierungsvorhaben nicht Erfolge einer Verwaltung, sondern gehören zu deren Arbeitsaufträgen. Verkehrsmanagement bedeutet weit mehr als viele Ampeln, die durch ein Computernetzwerk verbunden sind. Die fliegenden Pleskavi]a-Kiosks mit Apartment-Klimaanlagen und die fehlenden Terrassen (Temeswar hat wirklich heiße Sommer!) haben nichts mit den Vaporettos aus Venedig oder mit den Barkassen aus Hamburg gemeinsam. Außerdem: Wenn man Bauarbeiten im Stadtzentrum oder woanders durchführt, muss man sichere Alternativrouten zur Verfügung stellen und dabei die Bevölkerung über den Verlauf der Arbeiten und der geschätzten Dauer richtig informieren. Auch entschuldigt man sich für die Unannehmlichkeiten. Denn es ist nicht genug, „zumindest etwas zu machen“, wenn man es nicht richtig tut und den Steuerzahlern gegenüber keinen Respekt vorweist.
Die letzte bis jetzt errichtete Straßenbrücke in Temeswar wurde in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gebaut. Es gab noch Sanierungsarbeiten in den letzten Jahren an drei der Temeswarer Brücken, doch das ist auch alles, was in dieser Richtung getan worden ist. Und das in einer Stadt mit einer stetig wachsenden Verkehrsrate. Der Bedarf an Bega-Überquerungen heutzutage ist unvergleichbar zu jenem aus den 1970-er Jahren. Trotzdem schien das keine der demokratisch gewählten Kommunalverwaltungen zu stören. Professor-Bürgermeister Robu träumt von einer U-Bahn, obwohl er zu vergessen scheint, dass er im Laufe der quasi-ständigen Wahlkampagne vor und nach 2012-2016 von neuen Brücken geredet hat, erstens eine, dann sogar drei bis fünf. Inzwischen ist er wieder gewählt worden und die Versprechen hat man erneuert.
Es kostet natürlich nichts, zu behaupten, dass eine Idee einem Projekt gleich ist. Irgendwann wird vielleicht jemand eine neue Brücke in Temeswar bauen, vielleicht sogar eine U-Bahn, wenn der richtige Zeitpunkt dafür kommen wird. Aber das wird nicht aus Robus Initiative geschehen, sondern aus bescheidener Kompetenz. Man kann nur hoffen, dass man von dieser Verwaltung positiv überrascht wird, obwohl Verspätungen und Finanzierungsprobleme schon längst zur Tagesordnung gehören. Denn es fehlt an Kompetenz in der Verwaltung Temeswars. Die einzige nachgewiesene Kompetenz der aktuellen Stadtverwaltung ist es, Ausreden und Sündenböcke zu finden. Und die sind immer die anderen: die Regierung, die Oppositionsparteien, die Fahrradfahrer, die ständigen Kritiker aus den sozialen Netzwerken oder sogar die Gesetze der Physik, die Robu vor kurzem als Erklärung für das Chaos nach jedem Sommerregen in der Stadt gegeben hat.
Fehlende Dynamik und Kohärenz
Es wirkt wahrscheinlich, als ob hier eine persönliche Attacke an Bürgermeister Robu geführt wird. Die Temeswarer Stadtverwaltung ist zu einer grotesken One-Man-Show geworden, wobei der Bürgermeister sowohl Manager, als auch Sprecher und Spezialist für alle Bereiche ist, von den Grünflächen, bis hin zur Wirtschaft oder Gebäudelehre, um nur einige zu nennen. Man würde gerne auch andere nach Wort und Tat befragen, wie zum Beispiel den City Manager, die Leiter der vielen Ämter im Rathaus, oder den Lokalrat. Aber existieren diese wirklich? Die existieren bestimmt: und zwar als Gehaltschecks. Denn ansonsten ist immer die Partei wichtiger als die Bürger: Führungspositionen sind auf Parteiangehörigkeit angewiesen, was der Parteiboss (lokal oder national) sagt, wird im Rat stets gewählt, mit vielleicht einigen Enthaltungen. Von einer aktiven und effizienten Opposition kann man auch nicht sprechen und ich werde vermeiden, hier irgendeine Partei zu nennen. Denn keine verdient es. Für die, die sich noch erinnern können: Temeswar war immer ein Maßstab, auch wenn das als pathetischer lokaler Patriotismus hier erscheinen möge. Inzwischen kann man klar erkennen, dass es von anderen Städten eingeholt oder sogar überholt wurde.
Die Dynamik von Großwardein, Klausenburg, Karlsburg oder Kronstadt ist klar ausgeprägter als jene Temeswars. Und das ist zumindest an dem Ausmaß der Infrastrukturarbeiten zu erkennen. Auf kultureller Ebene kann ich mich kaum erinnern, wann das letzte neue Museum in Temeswar errichtet worden ist. Vielleicht wird das sogar ein Pluspunkt bei der Entscheidung für die Europäische Kulturhauptstadt, denn es wird auch der Bedarf einer Kommune an neuen Kulturangeboten analysiert.
Temeswar fehlt eine Strategie, und zwar eine, die über Parteiinteressen hinausgeht und die die Kapazität hat, die Bevölkerung zurückzugewinnen. Die 72 Prozent der fehlenden Wähler mit eingeschlossen. Es fehlt an Kohärenz und Vision. Nicht die Vision eines einzigen, sondern eine Zukunftsvision für Temeswar, mit der sich auch die Mehrheit der Stadtbevölkerung identifizieren kann.
Der gebürtige Temeswarer Dr.-Ing. Lucian Blaga lebt aktuell in Hamburg, Deutschland. Er hat die Nikolaus-Lenau-Schule und anschließend die Deutschsprachige Abteilung für Bauingenieurwesen der TU Politehnica abgeschlossen. Aktuell ist er als Wissenschaftler an einem Forschungsinstitut der Helmholtz-Gemeinschaft tätig und einige Zeit war er Mitarbeiter der ADZ/ BZ.