„Ohne Roli keine Poli! Der Spruch ist kurz, klar, knapp. Unter den Banater Handballfans wurde er in den siebziger Jahren zum geflügelten Wort. Mit vier Worten wird damit einer der besten Handballspieler der Welt gewürdigt: Ein Siebenbürger Sache, der von den Banater Schwaben assimiliert“ wurde. Der sein halbes Leben mit ihnen verbrachte. Der mit ihnen Freud´ und Leid teilte – Roland Gunnesch, ehemaliger Kapitän von Politehnica Temeswar. Mit Roli, wie Gunnesch von Freund und Feind genannt wird, segelte das einstige Flaggschiff des Banater Handballs, Poli, auf Erfolgskurs. Ohne ihn ging es auf Tauchstation. Mit Wehmut erinnern sich die Banater Handball-Liebhaber an die rassigen Poli-Duelle gegen die Bukarester Spitzenklubs Steaua und Dinamo, an die spannenden Derbys gegen den anderen Banater Erstligisten [tiin]a Lowrin, an die technischen Raffinessen der Poli-Oldboys bei der Banater Handball-„Weltmeisterschaft“, genannt Pipatsch-Pokal.
Er erblickte am 25. März 1944 im siebenbürgischen Denndorf bei Schässburg das Licht der Welt, besuchte dort die ersten vier Klassen der Volksschule. Nach zwei Jahren in Schaas kam er ans Schässburger Berglyzeum – und dort zum ersten Mal mit dem Handball in Berührung. Gunnesch erinnert sich: Handball war bei den Siebenbürger Sachsen nicht so verbreitet wie bei den Banater Schwaben, schon gar nicht auf den Dörfern und nur selten in den Städten.“ Wieso hat´s ihn dann doch zu dieser Sportart verschlagen? „Dafür war meine Körpergröße ausschlaggebend“. Schon als Lyzeaner hatte er ein Gardemaß und auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn brachte er es auf stattliche 1,97 Meter sowie 96 Kilo, bei Schuhgröße 46.
Im Lyzeum in Schässburg wurde Sportlehrer Hans Zuttner auf Gunnesch aufmerksam. Zuttner spielte früher Großfeldhandball bei Steaua Bukarest. Sein geschultes Auge erkannte sofort, dass Roland ein Rohdiamant ist, der nur noch den nötigen Feinschliff braucht. „Völkerball hatte ich schon gespielt, aber von Handball keine Ahnung“. Entdecker Zuttner nahm ihn unter seine Fittiche – und Roli machte rasch Fortschritte. So starke, dass Trainer Gheorghe Buiuc auf ihn aufmerksam wurde und ihn 1960 zu Voin]a Schässburg holte. Drei Jahre später schaffte Voin]a den Aufstieg in die A-Liga und im Oberhaus kreuzten die Schässburger auch mit dem Studentenklub [tiin]a Temeswaer die Klingen und ihr Trainer Constantin Jude wurde auf den wurfgewaltigen Rückraumspieler Roland Gunnesch aufmerksam. Doch auch andere Vereine hatten von dem baumlangen und wurfgewaltigen Gunnesch gehört. Deshalb entwarf Jude einen Geheimplan, um den Sachsen ins Banat zu holen. Er schickte [tiin]a-Spieler Adrian Otoiu in seine Heimatstadt Schässburg, um Gunnesch zu einem Vereinswechsel zu überreden. Otoiu fuhr zum Lyzeum, wo Roli gerade sein Abitur machte. Kaum hatte dieser das Klassenzimmer verlassen, nahm Otoiu ihn auch schon in Empfang – und gleich mit nach Temeswar. Eile war geboten, denn am nächsten Tag tauchte der Trainer von Dinamo Bukarest, Oprea Vlase, in Schässburg auf, um Gunnesch zu verpflichten. Als er ich nicht mehr vorfand, ahnte er sofort, wo er sich aufhielt. Vlase fuhr gleich nach Temeswar weiter. Doch [tiin]a versteckte Roli tagelang, sodass der Bukarester Coach ihn nicht auftreiben konnte. Vlase reiste ab und um sicherzugehen, schrieb sich Gunnesch zur Aufnahmeprüfung an der Elektrotechnischen Fakultät in Temeswar ein. Studieren war schon immer sein Wunschtraum. Klappte es, konnte er bei [tiin]a bleiben, denn laut Reglement des Rumänischen Handball-Verbandes gehörte er bei bestandener Aufnahmeprüfung endgültig zur Studentenmannschaft. Er bestand die Prüfung und seinem Wechsel zur später in Poli umbenannten Mannschaft stand nun nichts mehr im Wege.
1971 beendete er am Polytechnikum der Begastadt sein Studium und wurde im Temeswarer Großbetrieb Electrotimi{ eingestellt. Dort arbeitete der Diplomingenieur im Entwurfsbüro. Eigentlich ungewöhnlich für einen Spitzensportler im kommunistischen Rumänien. Diese hatten zwar alle einen Arbeitsplatz, genossen aber besondere Privilegien. Sie waren für den Sport freigestellt. Nicht so Roland Gunnesch – was für seine Zielstrebigkeit, seinen Fleiß und seine Leistungsbereitschaft spricht. Mit ihm erlebten die Temeswarer ihre Glanzzeit – und die größten Erfolge in der Vereinsgeschichte. Als Spieler wurde er zweimal Vizemeister. Und was ihm als Aktiver nicht gelang, schaffte er als Trainer: Die Phalanx der Bukarester Spitzenvereine Steaua und Dinamo zu durchbrechen – mit dem Gewinn der A-Liga 1991! Es war nämlich zum ersten Mal in der rumänischen Handball-Geschichte, dass eine Provinzmannschaft Meister wurde. Gunnesch bestritt etwa 400 Erstliga-Spiele für Poli, bis 1983, als er seine aktive Laufbahn beendete und von Electrotimi{ als hauptamtlicher Trainer zum Studentenverein wechselte.
Wie kam es zu dem Spruch: „Ohne Roli keine Poli“? Gunnesch im Rückblick: „Es war 1968. Da zog ich mir im Spiel gegen Baia Mare eine schwere Verletzung zu. Weil mich ein Gegner beim Wurf unfair behinderte, renkte ich mir die rechte Schulter aus, musste drei Monate lang pausieren.“ In dieser Zeit lief´s bei Poli ohne Roli nicht so geschmiert wie vorher bei Poli mit Roli und der Perjamoscher Sportjournalist Hans Frank hatte seinen Spruch weg: „Ohne Roli keine Poli“. Die erwähnte Verletzung wirkte sich aber auch noch anders aus. Rolis Schulter wurde nämlich nie mehr so, wie sie mal war. Deshalb musste er in der Folgezeit mehr defensiv agieren – sowohl beim Verein, als auch in der Nationalmannschaft. Doch wie er das tat! Roli spielte so mobil in der Abwehr, dass meistens kein Vorbeikommen an ihm war.
Noch erfolgreicher als bei seinem Klub war Gunnesch mit der Auswahl Rumäniens. Die ist mit vier Titeln Rekordweltmeister. Und bei zweien davon stand Gunnesch mit auf dem höchsten Treppchen: 1970 in Frankreich und 1974 in der DDR.
Roli sammelte weitere Titel wie andere Leute Briefmarken. Hinzu kamen noch WM-Bronze 1967 in Schweden, Olympiabronze 1972 in München sowie Silber 1976 bei der Olympiade in Montreal. Sei seinem Debüt in Oktober 1966 gegen die CSSR in Prag bestritt der „schwäbische Sachse“ insgesamt 230 Länderspiele in zehn Jahren für Rumänien, vorher etwa zwanzig in der Juniorenauswahl. Einen entscheidenden Anteil an dieser glanzvollen Karriere haben Trainer wie Nicolae Nedef, Oprea Vlase, Eugen Trofin und Ioan Kunst-Ghermănescu. Sein schönstes Erlebnis als Handballer? „Das war zweifellos der erste Gewinn der Weltmeisterschaft. Es ist das Größte, was man sich als Sportler wünschen kann. Ich habe vor Freude geweint. Beim zweiten Titel war alles irgendwie schon normal.“ Und seine größte Enttäuschung? „Nur Silber 1976 bei Olympia in Montreal, obwohl wir dort als Superfavorit angetreten sind. Statt uns aufzuwärmen, guckten wir lieber das Spiel um Platz drei zwischen Deutschland und Polen. Die Quittung bekamen wir prompt im Finale. Da führte Russland schon nach sieben Minuten mit 8:2. Diesen Vorsprung konnten wir bis zum Schluss nicht mehr aufholen“.
Kein Problem für ihn, so manch' lustige Anekdote locker aus dem Handgelenk zu schütteln wie einst den Ball bei seinen präzisen Anspielen. An eine Begebenheit erinnert er sich besonders gerne: „Unser Spaßvogel war der quirlige Cristian Gațu. In vielen Hotels, wo wir übernachteten, gab`s Wasserschlachten. Einmal wollte Gațu besonders schlau sein uns zog sich splitternackt aus. Damit man seine Kleider nicht nass machen kann. Doch genau das wollte er mit den anderen tun. So lief er mit einer Schüssel voller Wasser dem Reschitzaer Werner Stöckl durchs Zimmer bis auf den Hotelkorridor nach. Gațus Zimmerkollege Mihai Marinescu schloss jedoch die Tür ab und Cristian musste eine Weile im Adamskostüm draußen warten. Ein anderes Mal füllte er die neuen Schuhe von Valentin Samungi mit Gips auf, weil der nur ein Paar für sich beim Klausenburger Renommierbetrieb Clujeana gekauft hatte und nicht für jeden Spieler eines. Samungi drückten die Schuhe zwar die ganze Zeit, doch erst im Flugzeug schaute er genauer nach und entdeckte den Gips. Geschlafen haben wir nur in kurzen Hosen. Lange Pyjamahosen nahm keiner mit, weil er stets Knoten hinein machte.“
Warum hat er sich bei so vielen Reisen nicht in den Westen abgesetzt? Gunnesch: „Meine Familie hatte die RU-Nummer bereits seit 1956. Einmal wollte ich in Deutschland bleiben. Das war 1975. Doch der Marienfelder Hans–Günther Schmidt riet mir davon ab. Nicht so sehr, weil man mich in Abwesenheit zu vielleicht fünfzehn Jahren Haft verurteilt hätte, sondern wegen der zu befürchtenden Schikanen für meine Angehörigkeit. Hansi setzte sich 1963 in die Bundesrepublik ab, doch seine Schwester durfte erst achtzehn Jahre später raus.“ Aber aufgeschoben war nicht aufgehoben! Im Oktober 1991 siedelte Roli nach 19 Jahren als Spieler und Trainer bei Poli mit seiner Familie nach Deutschland aus und ließ sich in Nürnberg nieder. Dort betreute er zwei Jahre lang die zweite Herrenmannschaft des 1. FC Nürnberg in der Kreisliga, hatte dann aber keinen Spaß mehr am Trainerjob. Viel Freizeit dafür wäre ihm ohnehin nicht geblieben. Denn sein Beruf als Werkstattleiter bei der Firma Deutsche Luftkissensysteme (Delu) in Nürnberg nahm ihn ganz in Anspruch. Ruhe, Kraft und Ausgeglichenheit fand und findet Roli bei seiner Familie.
Mit der alten Heimat dieser verbindet ihn nicht mehr viel. Selbst Poli Temeswar nicht, so überraschend und hart das auch klingen mag. „Das war einmal sehr schön. Doch es gehört der Vergangenheit an“, meint er. Roland Gunnesch ist kein Mann der großen Worte. Er lässt lieber die Taten sprechen. Eine goldene Lebensregel hatte er nie. Seine Devise lautet stets: „Gehe jedem Streit aus dem Weg, das bringt sowieso nichts. Vertrage dich mit jedem.“ Roli hat sich daran gehalten – als Spieler, als Trainer, als Ingenieur. Er ist damit bis auf den heutigen Tag gut gefahren – und das geblieben, was er immer schon war: Ein nachahmenswertes Vorbild. Genau deshalb werden sich die Handballfans auch lange an den Spruch erinnern: „Ohne Roli keine Poli!“
(Aus: Tarzan, Puskás, Hansi Müller – Stelldichein Donauschwäbischer Spitzensportler, 2001)
(Redaktionelle Kürzung: Siegfried Thiel)