Sie freuen sich, wenn es scheppert

Zu Besuch bei Familie Roșca, Glaser aus Leidenschaft

Bei der Arbeit in der Glaserei ist Teamarbeit gefragt.

Malvina Roșca zeigt ein Spiegelmuster der etwas anderen Art. Er soll einen Frauen-Oberkörper darstellen.

Gheorghe Roșca ist einer der erfahrensten Glaser aus Temeswar.

Badea Ions Stimme war früher in den Straßen von Temeswar zu hören.

Wenn in der Werkstatt das Glas klirrt, dann atmet Gheorghe Roşca (57) tief ein und dann laut wieder aus. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als die Ruhe zu bewahren. Er stammt aus dem Verwaltungskreis Klausenburg/Cluj und die Menschen dort sind eher still und zurückhaltend. Zum Glück passiert es dem Glaser nicht allzu oft, dass ein Fertigprodukt kaputtgeht.

Wenn das aber trotzdem der Fall ist, dann heißt es, keine Aufregung, denn Glas gibt es genug. „Wir werfen das zerbrochene Glas in den Müll und holen ein Neues hervor. Wir regen uns vielleicht für einen Augenblick auf, aber so ist es mit dem Glas, es zerbricht halt ab und zu. Wenn wir es durchlöchern, dann kann es kaputt gehen. Aber das geschieht schon ziemlich selten“, sagt Gheorghe Roşca und lächelt gelassen. Dass er sich manchmal auch aufregen kann, würde man nicht denken.

Der Mann ist einer der erfahrensten Glaser in Temeswar/Timişoara und eigentlich auch einer der letzten seiner Zunft. Er stammt aus der Ortschaft Rogojel, woher vor Jahren zahlreiche Glaser ins Banat gekommen sind. Aus Rogojel und Margău kamen die meisten hierher, dort gab es diese Tradition des Glaser-Berufs, den immer der Sohn vom Vater erbte. Seit 1988 arbeitet Gheorghe Roșca in der Handwerkergenossenschaft Unirea, heute eine Privatgesellschaft. Die Glaserei befindet sich im Dacia-Stadtviertel im Norden von Temeswar.

Ein schwarzes Radiogerät an der Wand sorgt für den musikalischen Hintergrund. Rumänische Volksmusik füllt den Raum und es ist angenehm warm in der Werkstatt. Ab und zu wird die Melodie durch das Geräusch, das die Schleifmaschine von sich gibt, gestört. „Ich sollte sie mal überprüfen lassen und womöglich auch was auswechseln“, sagt Gheorghe Roșca. Er freut sich aber, dass die etwas ältere Maschine noch funktioniert. In seiner Werkstatt hat der Glaser alles, was er benötigt.

In den 90er Jahren stieg auch seine Frau Malvina (50) in das Glas-Geschäft ein. „Ich habe früher in der Colortex-Genossenschaft gearbeitet. Danach war ich etwa ein Jahr lang Wächterin an der West-Universität. Ich musste an allen Feiertagen arbeiten und hatte nachts Angst“, erinnert sich Malvina Roșca. Der Job war auf keinen Fall das, was sie sich gewünscht hatte, so dass sie sich schließlich entschloss, auch Glaserin zu werden.

Die Glaserin


„Am Anfang hat es mir in der Werkstatt gar nicht gefallen, denn ich habe mich bei jeder Bewegung geschnitten“, sagt Malvina und rückt ihren blauen Kittel zurecht. Mit flinken Bewegungen packt sie einen Spiegel und legt ihn auf den Tisch. Darauf breitet sie das gewünschte Muster – einen Schmetterling – aus, zeichnet es nach und bricht den Spiegel entlang der Linie ab.

Ein schmetterlingförmiger Spiegel entsteht, genau so, wie es sich der Kunde gewünscht hat. Die übriggebliebenen Scherben wirft die Frau in den Mülleimer. „Im Laufe der Jahre habe ich vieles dazugelernt und heute schneide ich mich nur äußerst selten“, sagt sie, während ihr Mann schnell hinzufügt: „Glaser ist kein so leichter Beruf. Du musst sehr aufmerksam sein und viel Geduld aufbringen. Du musst aufpassen, dass das Glas nicht zerbricht. Wenn es dann doch passiert, musst du Acht geben, dass du dich nicht schneidest“.

Der Mann trägt Jeans, eine gemütliche Sportbluse und eine graue Weste mit geometrischem Muster. Ab und zu verwendet er die Brille, die ihm locker um den Hals hängt. Mit einem schwarzen Stift zeichnet Gheorghe Roşca eine wellige Linie auf einem Spiegel. Dann greift er zum Glasschneider und zieht die Linie mit dem Werkzeug noch einmal sehr präzise nach. Seine Bewegungen sind sicher, seine Hände zittern nicht. Er steckt den Stift in den Mund und knickt den Spiegel entlang der Linie ab. Der Glaser macht es genau so wie ein Dieb, der mit dem Diamant ein perfekt rundes Loch in die Scheibe schneidet. Genau so wie Einbrecher in den amerikanischen Filmen.


Etwa acht Glasereien gibt es noch in Temeswar. Das Geschäft läuft aber nicht mehr so gut wie vor einigen Jahren, denn immer mehr Leute lassen sich Thermofenster einbauen.

Die Kunststofffenster sind zwar teuer, doch sie bieten eine gute Wärmedämmung. Das Preis-Leistungsverhältnis zahlt sich aus. Sogar der Glaser gibt ganz offen zu: Auch er hat Thermofenster, denn das ist eben der Trend heutzutage. Seine Kinder hätten ihn überzeugt, auf Thermopan umzusteigen. „Der Rahmen wird jedoch bestimmt nicht so lange halten wie ein Rahmen aus Holz. Ich möchte gern sehen, ob in hundert Jahren diese Fenster noch gut sind. Den Plastikrahmen meine ich, nicht die Fensterscheiben“, sagt Roşca skeptisch.

Die Wirtschaftskrise


Im vergangenen Jahr hat die Werkstatt von Gheorghe und Malvina Roşca auch die Wirtschaftskrise zu spüren bekommen. Um 30 Prozent ist ihr Einkommen innerhalb eines Jahres geschrumpft, verrät der Glaser. Seinen Beruf aufgeben möchte Ro{ca jedoch nicht. Noch haben nicht alle Thermofenster und Spiegel kaufen die Leute weiterhin gern. Manchmal gibt es auch Kunden mit ausgeflippten Wünschen. „Ich hatte mal einen Kunden, der sich etwas Besonderes für seine schwangere Frau gewünscht hat.

Er brachte mir eine Schablone mit einem Frauen-Oberkörper. Lass mich in Ruhe mit solchen Sachen, sagte ich zu ihm, doch er bat mich sehr darum und ich war schließlich einverstanden. Bis zuletzt musste ich so einen Spiegel auch für meinen Sohn anfertigen“, erinnert sich der Glaser. So ein besonderer Spiegel kostet etwa 60 Lei. Sich bei den Roşcas Fensterscheiben oder Spiegel anfertigen zu lassen, kostet fast um die Hälfte weniger als bei Oglinda, der einzigen Großglaserei in Temeswar. Darüber hinaus sind die beiden Glaser auch prompter mit der Kundenbedienung.

Das Atelier hat täglich von 8 bis 17 Uhr geöffnet. Die meisten Aufträge erledigen die Glaser noch am selben Tag.

Im Dacia-Viertel gibt es viele Schulen. „Das waren früher unsere Kunden“, erinnert sich Gheorghe Roşca. Immer im August, bevor die Schule anfing, gab es von Seiten der Schulen Fensterbestellungen. Während der Schulzeit kamen die Schüler, die ein Fenster zerdeppert hatten, und wollten es mit einem neuen ersetzt haben. „Leider haben auch die meisten Schulen heute Thermofenster“, bedauert Roşca.

Der Ruf des Glasers


Wenn jemand trotzdem noch eine Fensterscheibe benötigt und nicht weiß, wie er den Fensterrahmen auszumessen hat, dann schickt Gheorghe Roşca den alten Badea Ion zu dem Kunden nach Hause. Ion Golban ist älter als 70 und in seiner Jugend Jahre lang mit Glasscheiben auf dem Rücken durch die Stadt gelaufen. Bei gutem und bei schlechtem Wetter, ja sogar bei Glatteis ging Badea Ion mit dem Glas auf dem Rücken, in einem Holzkasten mit Riemen dran, durch Temeswar. „Selbstverständlich bin ich auch oft mit der Bürde gefallen. Als ich dann aufstand, war ich um einige Kilo leichter“, erinnert sich der Greis.

Der Josephstädter Marktplatz war der Treffpunkt der Glaser aus Temeswar, die nach vielen Kilometern Laufen ihre Last dort abstellten. „Eher wenig Leute kauften auch damals die Fenster vom Glaser, der durch die Straßen ging“, sagt Badea Ion mit resignierter Stimme und sein bedauernder Blick fällt auf den Holzkasten mit Riemen, den es noch in der Werkstatt gibt. Auch er rief damals „Geamuuuri – geamuuuri“, um auf das Angebot aufmerksam zu machen. Allerdings ist seit mehr als 15 Jahren der Ruf des Glasers nicht mehr in den Straßen von Temeswar zu hören. Dafür aber scheppert hie und da noch eine Fensterscheibe, und zwei Leute freuen sich ganz gewiss darüber: Gheorghe und Malvina Roşca, Glaser aus Leidenschaft.