Temeswar bleibt in einer kulturellen Blase gefangen. Veränderungen treten langsam ein. Das findet Sergio Morariu. Gleichzeitig erscheint dem Künstler seine Geburtsstadt als versnobt. Viel hat sich seit seiner Kindheit in der Kulturszene nicht getan. Noch immer bestehen Institutionen auf das gleiche Angebot und zögern, wenn jemand nach kreativer Revolution schreit. Gerade darum hätte Temeswar StreetArt bitter nötig. Kunst muss auf die Straße kommen, sich einen Weg in das Bewusstsein der Bürger bahnen, die eine Galerie noch nie von Innen gesehen haben. Besonders, seitdem Temeswar sich ambitioniert hat, Europas Kulturhauptstadt zu werden. „Wir hinken Jassy und Klausenburg hinterher“, findet Morariu. „Der einzige Vorteil, den Temeswar hat, ist seine geografische Lage.“ Trotzdem würde man überheblich behaupten, besser zu sein. „In Frankfurt, Berlin, Mailand, Miami passiert was anderes“, so der Unternehmer.
Viele Sprüher und Straßenkünstler würden in Temeswar nicht die Beachtung kriegen, die sie verdienen. Dabei stünde bereits Graffiti auf hohem Niveau auf Temeswarer Wänden. Es sind nach Morarius Einschätzung welche darunter, die es mit Pieces (Graffiti) westlicher Top-Sprüher locker aufnehmen könnten. Man muss nur richtig hinschauen und den Wert dahinter erkennen. „Durch StreetArt kommt die Kunst zum Verbraucher“, so Morariu. „Ich muss dafür nicht ins Museum laufen, das bei uns ohnehin leer steht.“
Nur hat diese Form von Kunstvermarktung auch seine Schattenseiten: Es gibt keinen Kurator und somit keine Qualitätskontrolle. Das unfreiwillige Publikum ist oft dem Talent des Künstlers ausgeliefert. Wenn Toys (schlechte Sprüher) mit viel Attitüde die Stadt bomben (illegal Wände besprühen), fühlen sich Bürger davon belästigt und bauen Vorurteile auf. Schließlich wird StreetArt und Graffiti als Vandalismus abgewertet.
„Die meisten Jugendlichen heute wissen theoretisch alles, was man über Graffiti wissen muss“, meint Alex Neculai. „Was sie nicht wissen, ist, wie man sprüht.“ Der 28-jährige Grafik-Designer muss sich ständig von der illegalen Szene aus Temeswar sagen lassen, dass er Graffiti verraten hätte. Denn wirklich Street ist man nur dann, wenn man es illegal betreibt. „Wir werden von diesen Leuten gehasst“, so der Künstler.
Graffiti-Baustelle Temeswar
Zusammen mit Flaviu Roua beteiligte sich Alex aka „Karm“ an der zweiten Auflage des internationalen StreetArt-Festivals aus Temeswar. Fast eine Woche lang wurde legal gesprüht und zwar in Parkhäusern und auf öffentlichen Wänden. Für das Fest reisten Sprüher und StreetArt-Künstler aus Ungarn, der Schweiz, Deutschland und Rumänien an.
Karm hatte mit 16 angefangen zu sprühen. In den aus heutiger Sicht primitiven Zeiten vor dem Internet. Gesprüht wurde nach Gefühl, zusammen mit einem Freund, der durch einen Deutschlandbesuch Graffiti kennenlernte. „Wir hatten keine Zeitschriften, wir hatten gar nichts“, erklärt Karm seine holprigen Anfänge als Temeswarer Sprüher. Flaviu Roua aka „Jones“ erging es gleich. Er stahl Skizzen von einem seiner Schulkollegen, der bereits sprühte, und zeichnete diese nach. Als er die Drafts schließlich entschlüsselte und die Typografie dahinter verstand, merkte Jones schnell, dass es mit dem Abzeichnen nicht genug war. „Es war eigentlich dessen Künstlername“, so Jones. „Ich konnte also schwer seine Zeichnungen verwenden.“
In Rumänien wäre die Graffiti-Szene 1994 in Bukarest durchgestartet. Erst 1999 erschienen die ersten Pieces und Tags in Temeswar, so die beiden Sprüher. Die erste Welle hätte bis 2004 angedauert, dann war es zwei Jahre lang still. Seit 2006 ist Graffiti in der Stadt an der Bega wieder auf dem Vormarsch. Jones und Karm sprechen von einer friedlichen Renaissance. Sie holten sich von der Stadt eine Genehmigung, um unter der Brücke 16 legal sprühen zu können. Es ist eines der zwei wichtigsten Hall of Fames (Ruhmeshallen) der Temeswarer Graffiti-Szene.
Die zweite befindet sich im Stadtpark. „Die ehemalige Sportanlage Usoda ist inzwischen ein regelrechtes StreetArt-Museum“, meint Morariu. „Nur leider ist es eine Ruine. Es leben sehr viele Obdachlose dort.“ Während des StreetArt-Festes 2011 wurde Usoda in eine Hall of Fame verwandelt. Auf den Außenwänden der alten Anlage findet man Pieces von Sprühern aus dem In- und Ausland. „Mit wenig Geld könnte man daraus einen Treffpunkt für StreetArt-Künstler machen“, ist sich Morariu sicher. Die Stadt müsste Graffiti akzeptieren und fördern, statt sich dagegen zu stellen. „Wenn man es verbietet, würden es umso mehr machen, eben, weil es verboten ist“, meint Karm. Sein Freund Jones teilt die gleiche Ansicht: „Die Bürger akzeptieren die Pieces, wenn sie gut gemacht sind. Je legaler es wird, desto weniger werden gemacht. Dafür aber steigt die Qualität.“
Jones und Karm sprühen seit 2008-2009 legal. Davor hatten sie, wie alle Maler, illegal angefangen. Mit dem Gesetz sind sie niemals wirklich in Konflikt geraten. Sie könnten kaum Vorfälle nennen. Als Jones einmal erwischt wurde, haben ihn die Polizisten nur eingeschüchtert und schikaniert. Weder zu einer Haftstrafe, noch zu einem saftigen Bußgeld ist es gekommen. „Zumindest hat die Stadt ein offenes Ohr für solche Aktionen“, meint Karm.
StreetArt nach westlichem Standard
Sprüher aus dem Westen sind nicht so leicht davon gekommen. Der aus Chemnitz stammende Omsk hat schon öfters Ärger gekriegt. Inzwischen sprüht er auch immer öfters legal. Er ist Mitglied der Crew „Burning Saxony“. Er nahm zum zweiten Mal am StreetArt-Festival aus Temeswar teil, musste aber vorzeitig abreisen, aufgrund eines familiären Zwischenfalls. Omsk hat in nur einer Nacht ein Piece fertigerstellen können. „Es gehört zweifellos zu den besten Graffiti, die entstanden sind“, findet Morariu. Im Vorjahr nahmen zwei weitere Writer von „Burning Saxony“ an dem Festival teil: die international erfolgreiche Malerin MadC und der damals Newcomer Caparso. „Wir haben dieses Jahr weniger Künstler eingeladen“, erklärt Morariu. „Es waren gerade Mal ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr.“
Die Veranstalter wollten nicht mehr ausschließlich Graffiti, sondern auch andere Formen von StreetArt erkunden. Darum entstand auch auf der Alba-Iulia-Straße das erste 3D-Painting, das von dem Schweizer Künstler Deus an nur einem Nachmittag gemacht wurde. „Ich habe so eine Arbeit noch nie gemacht“, gesteht Deus. „Die Leute hier haben mich gefragt, ob ich es machen könnte und ich habe es einfach versucht.“
Für den Schweizer ist Graffiti keine Kunstform. Wer nur Buchstaben macht, der kann sich nicht darüber hinaus nicht entfalten. Dafür verlangt Typografie Regeln, die für einen Künstler viel zu strikt sein können. Das zumindest glaubt Deus.
Es wurde über Regeln für Graffiti-Künstler gesprochen. Das ewige Streitgespräch bleibt weiterhin bestehen: Soll Graffiti legal oder illegal sein. Unabhängig davon müsste aber ein gewisser Ehrenkodex bestehen. „Im Ausland wird man als Writer nach seinem Piece beurteilt“, erklärt Karm. „Bei uns ist es genau umgekehrt. Viele machen schlechte Pieces, dafür aber stimmt die Attitüde, weshalb sie Respekt ernten“.