Transparente Plastiktüten mit Samen liegen auf einer auf dem Asphalt ausgebreiteten Decke und ein paar Mädchen erkundigen sich, ob das Saatgut ausländischer Herkunft denn auch in Rumänien keimen würde. Die junge Frau, die die Körner anbietet, weiß es nicht, doch einen Versuch ist es wert. Denn für die Samen muss man keine Unsummen hinblättern, sondern man kann sie einfach mit einem höflichen „Dankeschön“ kostenlos mitnehmen, ohne im Gegenzug etwas zum Tausch bieten zu müssen. Die zweite Auflage des kostenlosen Flohmarkts ging am vergangenen Wochenende in der Mărăşeşti-Straße in Temeswar/Timişoara über die Bühne. Der Flohmarkt ohne Geld ist eine der Aktionen, die die Transitionsbewegung „Temeswar im Wandel“ (rum.: Timişoara în tranziţie) von nun an jeden Monat veranstalten möchte.
„Temeswar im Wandel“ ist eine Initiative, die auf lokaler Ebene immer mehr Förderer gewinnt. Im Rahmen der Transition-Town-Bewegung (deutsch: Stadt im Wandel) gestalten seit 2006 Umwelt- und Nachhaltigkeitsinitiativen in vielen Städten und Gemeinden der Welt den Übergang zu einer postfossilen Wirtschaft. Initiiert wurde die Bewegung unter anderem von dem irischen PermakulturalistenRob Hopkins sowie Studenten des Kinsale Further Education College in Irland.
„Temeswar im Wandel ist eine Initiative der Menschen aus Temeswar, die sich wünschen, in einer nachhaltigeren Stadt zu leben. Sie nehmen dafür lokale Lebensmittel in Anspruch, vielleicht auch den alternativen Handel und eine alternative Erziehung. Eigentlich sind es Sachen, die derzeit noch nicht so richtig funktionieren“, sagt die 28-jährige Irina Tomici, die vor etwa zwei Jahren auf das Leben in der Stadt verzichtet hat und nach Stanciova bei Rekasch/Recaş gezogen ist. „Die Veränderung findet von unten nach oben statt, ohne die Implikation der Politiker“, erklärt die Absolventin der Kunsthochschule in Temeswar. Irina Tomici und ihr Freund Gabriel Berzescu, der auch die Webseite www.dincolodebani.ro betreibt (wir berichteten), sind nur zwei der Anhänger dieser Bewegung. Doch es gibt viel mehr, meinen die beiden, einige Dutzend Temeswarer sollen sich ebenfalls davon überzeugt haben, dass das Leben in der Stadt so, wie es jetzt ist, sie nicht mehr zufrieden stellt. Aus diesem Grund nahmen einige von ihnen den wöchentlichen Gemüsekorb, den der Verein zur Unterstützung der Landwirtschaft ASAT liefert, in Anspruch.
Viele von ihnen verzichteten aufs Auto und sattelten auf umweltfreundliche Fortbewegungsmittel wie etwa das Fahrrad um. Einige gaben das Leben in der Stadt für immer auf und zogen ans Dorf. So auch Teodora Borghoff, die Vorsitzende des Vereins „Temeswar Europäische Kulturhauptstadt“. Die 36-Jährige lebt seit geraumer Zeit in dem der Stadt Rekasch eingemeindeten Dorf Stanciova. „Es gibtmehrere Bereiche, in denen man sich engagieren kann. Es gibt Leute, die sagen: Mein Wandel bedeutet, dass ich zusammen mit anderen Leuten laufe, anstatt alleine zu laufen, um mich nach einem stressigen Arbeitstag zu entspannen. Andere sagen: Für mich ist eine gesunde Ernährung wichtig. Und dann abonnieren sie sich beim Landwirtschafts-Förderverein ASAT. Andere wiederum meinen: Ich möchte den großen Sprung wagen und nicht mehr von einem stabilen Arbeitsplatz abhängig sein, sondern meine Unterhaltskosten senken und in einer Gemeinschaft leben“, erklärt Borhoff.
Es gebe viele Bereiche, in denen sich die Leute für ein nachhaltiges Leben stark machen könnten, findet sie. „In einigen Jahren würde ich mir wünschen, dass es viele Mitstreiter gibt und wir vielleicht auch ein höheres Niveau des Vertrauens erreichen, wie etwa ein alternatives Geldsystem“, schwärmt Teodora Borghoff. Das Leben in Stanciova hat es auch ihrem Mann Thomas, der aus Deutschland kommt, angetan. „Es ist ein großer Gegensatz zu dem Leben in der Stadt. Ich bin immer wieder geschockt, wenn ich auf der einen Seite hier so ein modernes Einkaufszentrum sehe und in Stanciova die Menschen doch sehr einfach leben und teilweise noch von dem, was sie in ihrem Garten ernten“, sagt er. Dass Menschen wirklich von ihrem Grund und Boden leben, das gebe es in Deutschland heutzutage kaum noch.
Große Veränderungen sind vorläufig noch nicht möglich, dafür aber wird ein Mal im Monat öffentlich das Schenken gefördert, und zwar bei dem kostenlosen Flohmarkt, der zu einer Tradition in Temeswar werden soll. Ebenfalls regelmäßig finden Treffen der Temeswar-im-Wandel-Förderer, die sich dort über verschiedene Ansätze zur Nachhaltigkeit unterhalten. Am vergangenen Donnerstag fand bei der gelernten Soziologin Teodora Bulgaru in Temeswar das erste Herbsttreffen statt.
Diskutiert wurde unter anderen über das Leben in Stanciova, über Permakultur, also Landwirtschaft mit Hilfe von naturnahen Kreisläufen, über die Kampfkunst Tai Chi und vieles mehr.
Ein gesundes Leben zu niedrigen Kosten, wer will das nicht? Die Mitglieder der Temeswar-im-Wandel-Bewegung sind überzeugt, dass es machbar ist. Die mehr als zehn Teilnehmer an dem Treffen bei Teodora Bulgaru führten ein Brainstorming durch und überlegten, welche regierungsunabhängigen Organisationen aus Temeswar ihre Initiative unterstützen könnten. „Es ist toll, dass die Leute, die da mitmachen, nicht in ein bestimmtes Profil hineinpassen. Die Menschentypen sind sehr unterschiedlich. Bei unserem jüngsten Treffen gab es auch Leute, die eher zurückhaltend waren und meinten, dass sie noch keine großartigen Kenner der Bewegung sind. Es ist aber klar, dass wir uns alle dort eingefunden haben, weil wir das gemeinsame Interesse hegen, ökologischer, gesünder, glücklicher und entspannter zu leben“, sagt Teodora Bulgaru, die ihre Wohnung für das Treffen zur Verfügung stellte.
Dass künftig immer mehr Leute der Temeswarer Transitionsbewegung beitreten werden, ist unumstritten, denn die Welt erkennt langsam, dass nur mit Nachhaltigkeit ihr Überleben für die Zukunft gesichert sein kann. Auch weltweit ist die Tendenz steigend: Zu den offiziellen Transition Towns gehörten im vergangenen Jahr über 450 Gemeinden und Städte, vor allem in der industrialisierten westlichen Welt. Die höchste Anzahl an solchen Initiativen findet sich in Großbritannien. Mit Ausnahme Afrikas gibt es eigentlich auf jedem Kontinent mindestens eine derartige lokale Initiative.