Im Südwesten Frankreichs, etwa 200 Kilometer nordöstlich von der Universitätsstadt Bordeaux entfernt, liegen die Überreste der Gemeinde Oradour-sur-Glane. Während des Zweiten Weltkriegs wurden hier 642 Menschen von der deutschen Waffen-SS ermordet. An nur einem Tag wurde fast eine ganze Gemeinde ausgelöscht. Auf Beschluss der französischen Regierung unter Charles de Gaulle wurde die Gemeinde – obwohl leer stehend und verlassen – vor dem Abriss bewahrt. Heute sollen die Ruinen aus dem Geisterort an das grausame Verbrechen erinnern.
Zu den alten verfallenen Häusern aus Oradour-sur-Glane würde heute auch das ehemalige Anwesen der großbürgerlichen Familie Mühle passen. Einst eines der schönsten Villen der Stadt Temeswar, verkommt das unter Denkmalschutz stehende Gebäude seit über einem Jahr. Die Villa steht verlassen, dachlos und wurde von ihren neuen Besitzern zur Hälfte abgerissen. Dabei sollte das alte „Mühle“-Haus an bessere Zeiten erinnern, als Temeswar eine „Stadt der Rosen“ war und unter anderem unter dem Beinamen „Klein-Wien“ bekannt war.
Was für ein Anblick es für Wilhelm Mühle gewesen sein müsste, als er 1866 nach Temeswar zog! Nicht nur die Stadt hatte es dem Gärtner aus Kulm/Böhmen angetan, sondern auch die Tochter Wenzelaus Niemetz namens Anna. Die beiden heirateten und zehn Jahre später eröffnete Mühle einen Gärtnereibetrieb in der Elisabethstadt, zudem erwarb er ein Ladenlokal in der heutigen Alba-Iulia-Straße. Das Lokal steht auch heute noch, die Temeswarer kennen es als das renommierte Restaurant „Casa cu flori“ („Haus der Blumen“). Das Mühle-Geschäft ging schnell auf. Bald belieferte er Kunden aus der K.u.k-Monarchie. Er handelte mit Blumen und Zierpflanzen. Seine Leidenschaft galt besonders der Rosenzucht. Zwei Jahre lang war er Herausgeber der ungarischen Fachzeitschrift „Rózsa Ujság“.
Zusammen mit seinem Schwiegervater wurden sie die bedeutendsten Floristen der Stadt Temeswar. Der Königliche Rosengarten, mit dessen Planung die beiden betraut wurden, wurde am 19. Juli 1891 eingeweiht.
Zwei Söhne hatte Wilhelm, von denen einer nur 29 Jahre alt wurde. Der ältere Sohn, der ebenfalls Wilhelm hieß, war ein leidenschaftlicher Reisender. Es verschlug ihn um den ganzen Erdenball herum bis nach Japan, wo er von einem buddhistischen Mönch einige Wurzeln der Gingko-biloba-Bäume geschenkt bekam. Er brachte diese seltene Gattung nach Temeswar in das Banat und pflanzte sie im damaligen Franz-Joseph-Park (der heutige Kinderpark). Als Gartenarchitekt war der junge Wilhelm über die Grenzen des Banats bekannt.
Leider wurde ihm seine Leidenschaft fürs Reisen zum Verhängnis. Er erkrankte an einer exotischen Krankheit und starb am 24. August 1901 in Temeswar. Sein zwei Jahre älterer Bruder Árpád trat ebenfalls in die Fußstapfen seines Vaters und Großvaters und züchtete 13 neue Rosenarten. Um 1900 erhielt die Stadt die Bezeichnung „Ungarische Erfurt“. Diese sei besonders Árpád Mühle zu verdanken.
Zahlreiche berühmte und historische Gartenlagen des Landes entstanden unter der Beratung des Gartenarchitekten Anfang des 20. Jahrhunderts. Er war Berater bei den Anlagen der Gärten „Cişmigiu“ in Bukarest, der öffentlichen Gärten in Sinaia. Auf der Insel Pringipo im Marmara-Meer errichtete Árpád den Sofia-Park im japanischen Stil. Auch der Temeswarer Rosengarten der Zwischenkriegszeit wurde nach den Plänen von Árpád Mühle gebaut. Árpád selbst erlebte die Fertigstellung nicht mehr, er starb am 22. Juli 1930 in Sinaia.
Der Rosengarten wurde während des Krieges und danach größtenteils zerstört. Aber selbst heute, über 80 Jahre seit dem Tod Árpád Mühles, bleiben in Temeswar Spuren seiner Arbeit. Das „Mühle“-Haus müsste eigentlich ein würdiges Andenken für die Familie sein. Doch keine Rosen zieren das Grundstück. Das Haus gleicht den tragischen Ruinen Oradour-sur-Glane. Es ist ein tristes Bild für Temeswar.