„Als Schriftsteller wie als Theaterautor[1] verstehe ich mich zunächst als Homme de lettres und als Europäer, der in Gesinnung und Weltsicht durch die republikanische sowie durch die bäuerliche Herkunft gleichermaßen geprägt ist, der über die Landesgrenzen hinaus schreibend tätig ist und heute zwischen Großstädten und ländlichen Gegenden pendelt. Aus diesen Gründen spricht mich der kämpferische Widerstand für die demokratischen Rechte im Österreich der Ersten Republik unmittelbar an und machen mich die tragischen Ereignisse des Februar 1934 immer wieder von Neuem betroffen.
Der Widerstand der österreichischen Februarkämpfer, so meine Überzeugung, geht uns auch heute noch etwas an. Er ist ein Teil von uns selbst. Seine Bedeutung ist, Generationen später, aktueller denn je. Denn die Beschäftigung mit Koloman Wallisch und dem Februar 1934 kann und wird das Bewusstsein für die Demokratie stets schärfen – das Bewusstsein und das Engagement für ihre Verteidigung ebenso wie für ihre Weiterentwicklung.
Es war daher meine Absicht, als Europäer mit Schweizer Pass mit meiner Forschung und mit dem Drama „Koloman Wallisch“ einen Beitrag zum Thema Demokratie zu leisten – in der literarischen Nachfolge von Dichtern und Schriftstellern wie Bertolt Brecht. Und ganz im Sinne einer Rede des Bundespräsidenten und damaligen Nationalratspräsidenten Heinz Fischer im Februar 2004 zu den Ereignissen des 12. Februar 1934 in Bruck an der Mur und Leoben: damit die kommenden Generationen nicht „die gleichen Fehler wie damals“ machen mögen.“
Das schrieb mir der Schweizer Werner Wüthrich Anfang Januar 2014, als ich an die Möglichkeit dachte, an den in Lugosch/Lugoj geborenen Koloman Wallisch (1889-1934) an seinem 80. Todestag, dem heutigen Mittwoch, in der „Banater Zeitung“ zu erinnern. Wüthrich hatte ein interessantes Projekt realisiert: ein Lehrstück in Brecht`scher Manier, das den in Lugosch geborenen Koloman Wallisch zur tragischen Hauptgestalt hatte. In Lugosch trägt eine Gasse seinen Namen; auf meinen schriftlichen Wink mit Argumentation, Wallisch posthum zum Ehrenbürger der Stadt zu ernennen, hat Bürgermeister Francisc Boldea, ein Sozialdemokrat, nie geantwortet.
Für die ungarische Räterepublik war Koloman Wallisch als politischer Funktionär in Szegedin tätig, wo er auch seine Frau, Paula Wallisch-Pintér (1893-1986) kennenlernte und heiratete. In der ersten österreichischen Republik (1918-1933) war Koloman Wallisch Sekretär der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP, heute SPÖ) in der Steiermark, Schutzbundführer und Abgeordneter zum Nationalrat im Wiener Parlament sowie Gemeinderat in Bruck an der Mur, später Landesparteisekretär der SDAP in der Steiermark und Landtagsabgeordneter sowie militärischer Führer der sozialistischen Schutztruppen in der Steiermark. Während des landesweiten Generalstreiks übernimmt Wallisch am 12. Februar 1934 in Bruck an der Mur, zusammen mit Herbert Russ (militärisches Oberkommando), die Aufsicht des Arbeiteraufstands und kann für kurze Zeit die Heimwehr in Schach halten und Bruck a.d.M. unter Kontrolle. Beide müssen aber fliehen, werden gefasst, summarisch verurteilt und am 19. Februar wird Kolomann Wallisch in Leoben hingerichtet.
Rasch wird Wallisch daraufhin zu einer Symbolgestalt für kompromisslosen Arbeiterwiderstand und für viele Autoren (Anna Seghers – „Der Weg durch den Februar“ und „Der letzte Weg des Koloman Wallisch“, Friedrich Wolf – „Floridsdorf“, Jura Soyfer – „Es stirbt eine Partei“, Oskar Maria Graf – „Der Abgrund“, Bertolt Brecht u.a.) eine Verkörperung der Arbeiterbewegung, des Widerstands gegen den aufkommenden Faschismus und gegen die aufflammende Kriegsgefahr.
Brecht wird während seines Exils in Moskau durch Béla Kun (das ist der in Cehu Silvaniei/Szilágycseh geborene Abel Kohn, 1886-1939), dem Führer der viermonatigen ungarischen Räterepublik, aufmerksam gemacht (Kun veröffentlichte 1934 in London „The february struggle in Austria and its lessons“ und im selben Jahr in Moskau und Leningrad deutsch „Die Februarkämpfe in Österreich und ihre Lehren“). Noch 1934 erschien in Prag Paul Kéri`s „Koloman Wallisch, Soldat der Revolution“ und ein Jahr später, ebenfalls in Prag, „Ein Held stirbt“ von Paula Wallisch-Pintér, die drei Hauptquellen, die Brecht angibt zur fragmentarisch erhalten gebliebenen „Koloman-Wallisch-Kantate“:
„In Leoben nah dem Erzberg
Nachts zur elften Stund
Hat man den Wallisch gehänget
Als einen roten Hund.
Er hat Freiheit gerufen
Mit dem letzten Atemzug
Da hängten zwei Henker sich an ihn
Er war nicht schwer genug.
Im Februar vierunddreißig
der Menschlichkeit zum Hohn
Hängten sie den Kämpfer
Gegen Hunger und Fron
Koloman Wallisch
Zimmermannssohn.“
Ursprünglich sollte Hanns Eisler die Brecht`schen Kantaten vertonen und es sollte ein ähnliches Stück wie „Die Maßnahme und die Regel“ entstehen, aber Brecht kam über Kantatenfragmente nicht hinaus sowie über einen fünfseitigen maschinengeschriebenen Handlungsplan des Stücks, der erst 2002 in der Schweiz wiederaufgefunden wurde. Finanzierungsmangel des Projekts ließen bald Hanns Eisler abspringen, Brecht ging wohl der Atem aus.
Aber der Schweizer Schriftsteller, Theaterautor und Brecht-Kenner Werner Wüthrich (geb.1947), ein studierter Theaterwissenschaftler, Germanist und Philosoph, literarisch klassifiziert als „Pionier einer neuen Bauernliteratur“, nahm sich der causa Brecht-Wallisch an und schrieb, aufgrund des Brechtschen Handlungsplans und der Kantatenfragmente ein Stück im Geiste Brechts. Seine Dissertation an der Universität Wien ist betitelt „Bertolt Brechts Aufnahme in der Schweiz“ (1974), und so ist sein reges Interesse an der vergessenen Züricher Arbeitsmappe mit Brecht-Manuskripten (u.a. unbekannte Keuner-Geschichten und die Wallisch-Kantate) zu verstehen sowie die aufkeimende Idee, etwas im Geiste Brechts zum immer noch aktuellen Grundthema „Demokratie und Widerstand“ zu schreiben:
„Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt
Und läßt andere kämpfen für seine Sache
Der muß sich vorsehen; denn
Wer den Kampf nicht geteilt hat
Der wird teilen die Niederlage.
Nicht einmal den Kampf vermeidet
Wer den Kampf vermeiden will; denn
Es wird kämpfen für die Sache des Feinds
Wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“
Im Wüthrich-Stück über Koloman Wallisch sind die Übernahmen aus Brecht gekennzeichnet. Und auch sonst hält sich Werner Wüthrich strikt an das, was sich Brecht ausgedacht hatte, um ein Lehrstück zum Thema Demokratie und Widerstand zu schreiben. In Brechts Kantate heißt es im Vortrag des Balladensängers und des Chors der aus dem ersten Weltkrieg heimgekehrten Soldaten:
„Wer wollte hoffen auf sie, die abgekämpft und so müde sind?
Die Achse der Welt ist verschoben.
Werden diese sie einrenken -
Sicher, sie sind wie alte Leute
Die ihre Zeit schon gelebt haben
Ihre Taten sind schon verrichtet
Ihre Worte sind schon gesprochen
Worauf warten sie noch?
Sie haben keine Pläne mehr
Sie haben zuviel Erfahrung.
Wo man sie hinstellt, dort bleiben sie stehen
Ihre Wünsche haben nicht nur ihre Peiniger, sondern auch sie vergessen.
Hundertmal stößt man ihnen das Maul in den Dreck und hundertmal
Spucken sie geduldig das Blut aus.
Die Gurten über ihren Schultern
Rücken sie sich zurecht.
Wer wollte hoffen auf sie, die so müde sind?
Die Achse der Welt ist verschoben.
Werden diese sie einrenken?“
So weit Brecht. Werner Wüthrich lässt den Balladensänger und den Chor der heimgekehrten k.u.k.Soldaten, die erwas später dazukommen, rezitieren:
„Die Achse der Welt ist verschoben,
Revolution in Russland –
Nieder die Waffen –
Nie wieder Krieg – Die Achse der Welt ist verschoben.
Die Achse der Welt war – in der Tat – verschoben.
„Nie wieder Krieg!“ – Arbeiteraufstände in den Industriezentren.
Revolution in Europa. Es begann die Neue Zeit –
Nach Ungarn, nach Szegedin, kehrt auch zurück:
Ein k.u.k. Soldat mit Namen Koloman Wallisch –
Koloman Wallisch, Soldat der Revolution –„
Das Echo der Februarkämpfe in Österreich – das faktisch letzte Aufbäumen in Österreich gegen den „Anschluss“ – war international aufsehenerregend. Ilya Ehrenburg, Carl Zuckmayer, Johannes R. Becher, die Nobelpreisträger Romain Rolland („die Wölfe der europäischen Reaktion“) und Thomas Mann (in seinem Tagebuch, noch während der Februarkämpfe 1934: „Es scheint Wahnsinn, dass eine dem Nazitum gegnerische Regierung ihren natürlichen Verbündeten vernichtet, und die Haltung des Bürgertums ist idiotisch, wie sie es in Deutschland war.“) sprachen vom „Austrofaschismus“ als „eine besondere Art moralischer und religiöser Heuchelei“, während Brecht in seinem „Handlungsplan“ vom „Klerikofaschismus“ spricht, der in der Steiermark manifest wurde.
Wüthrich in einem exzellenten Essay, das den internationalen Kontext des österreichischen Februars 1934 analysiert: „Der Februar 1934 ist als bedeutender litearischer Stoff annähernd vergleichbar mit den zahlreichen Texten über den Spanischen Bürgerkrieg, die als Empörung über den Vormarsch des Faschismus in ähnlicher Weise entstanden sind. Der iberische Abwehrkampf von 1936 bis 1939 wurde, nach Österreich, gleichsam zur nächsten und letzten Etappe in dem Bemühen, von Europa aus einen kommenden Weltkrieg zu verhindern.
So passt denn auch gut dieser bis heute viel diskutierte Text von Brecht als Abschluss des Erinnerungstextes an Koloman Wallisch:
“Ja! Stell dir vor, es könnte wieder einen Februar wie 1934 geben...
Stell dir vor, du willst deine Rechte verteidigen (es muss ja nicht gleich eine ganze Republik sein)...
Stell dir vor, es gäbe wieder Krieg... –
Ja! Stell dir vor, es gibt Krieg, und keiner geht hin...“
(Zusammenstellung: Werner Kremm, Fotos aus Werner Wüthrich: Koloman Wallisch. Drama nach einem Handlungsplan von Bertolt Brecht, StudienVerlag Innsbruck, Wien, Bozen, 2012, ISB>N 978-37065-5122-9)
[1] Werner Wüthrich, „Koloman Wallisch“, Dramentext nach einem Handlungsplans von Bertolt Brecht, - mit einem umfangreichen kritischen Apparat - StudienVerlag, Innsbruck, Wien und Bozen 2012; ISBN 978-3-7065-5122-9; ca. 220 Seiten, 16 Fotos; EUR 19.90 / Fr. 28.90