„Ein Messerstich, das Melonenherz kracht, blutet auf den Küchentisch. Mit Melonenstücken hocken wir uns auf die Treppe, Arme und Beine zuckerig verklebt. (…) Die ausgesaugten Schalen weggeschleudert, sie klatschen auf und zerbersten im Hühnerhof. (…) Mit Schlieren auf den Knien kämpfen wir uns durchs scharfkantige Blattwerk, das letzte Indianerzelt hochgezogen. Die Nacht ist ein Tintenmeer. Mitte September werden die demolierten Sommerfüße blütenweiß bestrumpft in Lackschuhe gesteckt.“ Ein bildhafter Einblick in unbeschwerte Sommerferien auf dem Land, in einem Dorf im Banat, der ohne opulente Beschreibungen auskommt, sich aber umso eindringlicher einprägt in der Vorstellungswelt der Leser. Sigrid Katharina Eismann fliegt mit dem „Paprikaraumschiff“ in ihre Banater Kindheit, verknüpft sie mit Informationen über die Familiengeschichte, die Hotzenwälder Salpeterer, die Deportationen, und auch mit ihrer Gegenwart in Hessen, der aktuellen Heimat, die in ihrem Ich mit der früheren konfrontiert wird und untrennbar verbunden ist. Die Autorin, 1965 in Temeswar geboren und in Freidorf aufgewachsen, kam mit 16 Jahren mit ihrer Familie in die Bundesrepublik. Ihre prägnanten Sprachbilder prädestinieren sie zur Lyrikerin. Als solche trat sie in Anthologien und 2017 mit dem Gedichtband „Reise durch die Heimat. Von Offenbar nach Temeswar“ in Erscheinung. Doch nicht nur in der Literatur sieht Sigrid Katharina Eismann ihre künstlerische Heimat. Als bildende Künstlerin ergänzt sie ihre Werke gestalterisch. Bei Lesungen interpretiert sie die Texte rhythmisch, oft auch im musikalischen Dialog. Ein beeindruckendes Beispiel des Zusammenspiels der Künste präsentierte sie (unter anderem) im Donauschwäbischen Zentralmuseum mit der Kunstinstallation „Nach dem Fest das Fest“, gestaltet von den bildenden Künstlern Hagen Bonifer und Sven Eismann auf der Grundlage eines ihrer Texte, der die sagenhafte Fluchtgeschichte der Kirchweihgesellschaft aus Dolatz zusammen mit dem Dorfpfarrer zum Thema hatte. Mit dem „Paprikaraumschiff“ liegt nun ein erster Prosaband der Autorin vor, Ergebnis der neuen Zusammenarbeit mit dem Ulmer danube books-Verlag. Wie der Name erkennen lässt, hat der Verlag sich die Donau als Verbindungsstrom der Kulturen zum Programm gemacht. Die Reise des Paprikaraumschiffs von Sigrid Katharina Eismann fügt sich in dieses Programm ebenso nahtlos wie atmosphärisch ein. Zwar handelt es sich nicht um einen „Roman“, wie vom Buchcover suggeriert, eher um Einzeltexte, die sich zu einem atmosphärisch dichten Ganzen zusammenfügen. Erlebnisse aus der Kindheit im kommunistischen Rumänien, in der Dorfgemeinschaft, der Vorstadt und der Schule, korrelieren mit den Erfahrungen der Ausreise, der Eingliederung, den Erinnerungen der Eltern und Großeltern an Entrechtung und Enteignung, dem Blick zurück bei Besuchen in der früheren Heimat. „Ich lege mich ins Leinenfeld unter die rote Atlas-Steppdecke. Kirschrot oder rosa wie blasse Kirschen, jedes Banater Emigrantengepäck hatte eine dabei. Es quakt und plätschert auf der Gänsewiese. Mit einem Kopf wie ein Dorf und steifem Genick unter der wohltuenden Kühle der Steppdecke aufgewacht. … Mein Atlas liegt zwischen den Welten, in der Lücke zwischen Landler, Balkanova und Rhein-Main.“ Wie ein roter (oder vielmehr gelber) Faden zieht sich die „Dschanga“ durch die Kindheitserinnerungen der Autorin. Die gelbe Straßenbahn der Linie 3, die nach Freidorf fuhr, war in den 1970er Jahren noch ein ratterndes Gefährt mit Holzbänken, ohne jeden Komfort, aber die wichtige Verbindungsschnur der Vorstädter zu den Segnungen der Stadt – den Schulen, Ämtern, Arbeitsplätzen und – den Märkten. Die Freidorfer „Fratschlerinnen“ waren die wichtigsten Bestückerinnen des Marktes in der Josefstadt und damit (zumal in der kommunistischen Mangelwirtschaft) ein existenzieller Teil der Versorgung der Städtler mit Lebensmitteln: „Wie die Heuschrecken hasten die eingemummten Altfreidorfer Fratschlerinnen auf krummen Beinen zur Straßenbahnhaltestelle am Park. Die Dschanga kommt angeschossen, die dicken Mauern der Alleehäuser wackeln. (…) In der Karre glänzen Salatberge, randvoll bestückt mit feuchten Radieschen, jungen Zwiebeln, bis in die Nacht in eiskaltem Brunnenwasser gewaschen, gebündelt, von Erde befreit. (…) Haltestelle für Haltestelle verschlingt die Dschanga aufgeräumte Schüler, Lehrerinnen mit reparierten Frisuren auf Rüttelkurs von der Altfreidorfer Stalltür in die Josefstadt.“ Mit nur wenigen Worten gelingt es der Autorin, Szenen zu entwerfen und Befindlichkeiten zu skizzieren. Ob es um den dringenden Wunsch nach Ausreise geht, der Ratlosigkeit über das Emigrantengepäck, die Erfahrungen in der neuen Umgebung in „Teitschland“ – oder auch nur um die Schilderung einer dörflichen Hochzeit – ,die Bilder werden sofort lebendig. Bei denen, die auf ähnliche Erfahrungen zurückgreifen können, ganz besonders, doch ohne Zweifel auch bei dem anderen Teil der Leserschaft, was die Lektüre zum prallen Vergnügen für alle macht. „Die Pritschen jammerten und das Kreuz auch, knoblauchgeschwängert und dick war die Luft wie die Ostkluft. (…) Die Mitbringsel aus dem Nürnberger Durchgangslager vergammeln. Die Ausreisepässe in der schwarzen Aktentasche sind unversehrt. Kein grüner Zweig, saubere Straßen und blitzblank polierte Autos. Nee-Omas wässrige Augen suchen den Hühnerstall, das Blechteppel.“ Die Zerrissenheit zwischen den Welten ist in Eismanns Texten ebenso präsent wie die Leichtigkeit der nachträglichen Zeitreise ihrer eigenen Generation, die bei allem Erlebten dennoch vor dem Schlimmsten verschont geblieben ist und aus dieser Perspektive ebenso dankbar wie unsentimental die Geschichten sortiert, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. „Das Paprikaraumschiff ist mein Traumschiff“, heißt es in einer Gedichtzeile von Sigrid Katharina Eismann, die nun zum Titel für den Prosaband ausgewählt wurde. Eine melancholische, augenzwinkernde, vergnügliche Zeitreise mit Aha-Effekt.