„Von Behinderung, zur Fähigkeit“

Inklusionsprojekt für Behinderte auf dem Arbeitsmarkt

Menschen mit Behinderung nahmen an einer Jobbörse teil. Foto: die Verfasserin

Cornel hört ruhig der Präsentation zu. Mehrere Firmen mit Niederlassung in Temeswar/Timisoara stellen ihre verfügbaren Arbeitsstellen vor: Handelsleute, Näher und unqualifizierte Arbeiter werden gesucht, aber auch Personal für das Sekretariat oder solche mit PC-Kenntnissen.

Auch ein Traditionsunternehmen aus der Bega-Stadt ist dabei. Kleidung wird unter dem Brand „Moda Tim“ schon seit den 1950er Jahren hergestellt. Heute werden NäherInnen für die Fabrik gesucht, doch wie sieht es aus mit dem Angebot, wenn Cornel in einem Rollstuhl sitzt? „Gibt es Nähmaschinen, die nicht mit dem Fuß betrieben werden?“ möchte der Mann, Mitte dreißig, erfahren. Die Antwort kommt sofort: „Ja, es gibt auch Maschinen, die ohne Füße betrieben werden – damit kann man Knopflöcher schaffen, Knöpfe und Taschen nähen“, sagt Ofelia Ficard, Managerin für Human-Ressourcen bei Moda Tim. 

Cornel nimmt die Antwort optimistisch an. Er könne sich demnächst eine Stelle in diesem Kleidungsunternehmen vorstellen. Dabei habe er lange auf eine neue Arbeitsstelle gewartet, lässt der Mann wissen. Genauso wie Cornel sitzen an diesem Vormittag im Konferenzsaal des Temeswarer Boa-Vista-Hotels mehrere Menschen mit Behinderung, alle im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. Einerlei, ob mit Bewegungs-, Hör- und Sehbehinderung, oder Epilepsiekranke – sie alle wollen erfahren, ob sich auch für sie eine Arbeitsstelle finden könnte. Sie wollen arbeiten und abgesehen von ihrer Behinderung, ein normales Leben führen.

Dies ist die erste Jobbörse für Behinderte Menschen, die Teil eines schweiz-rumänischen Projektes ist. „Von Behinderung, zur Fähigkeit – ein aktives Inklusionsprojekt für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt“ wurde Juli 2013 gestartet und soll bis zum 1. Januar 2015 durchgeführt werden. Weltweit leben eine Milliarde Menschen mit Behinderung. 78 Prozent dieser Bürger gelingt es, auch eine Arbeitsstelle zu bekommen. In Rumänien liegt dieser Prozentsatz bei dieser Kategorie bei knapp über zwölf Prozent. „Das soll sich ändern!“, sagt Andrei Stratila entschlossen. Menschen mit Behinderung sollen sich trauen, einen Job entgegen zu nehmen.

Der Vorsitzende des Vereins für Integration der Menschen mit Behinderung weiß, wie es ist, wegen Behinderung ausgegrenzt zu sein. Er selber ist schon seit der Geburt blind, doch das sollte ihm nicht im Weg stehen. Der 29-Jährige schloss 2010 sein Jurastudium in Temeswar ab – nun kämpft der junge Mann dafür, dass auch andere Leute mit Behinderung einen leichteren Alltag erleben.

Dies war der erste Jobshop innerhalb des Projektes – weitere zwei sollen bis Anfang 2015 veranstaltet werden. Bisher wurden mehrere Partnerfirmen gesucht. Zahlreiche Unternehmen haben bereits ihre Teilnahme bestätigt. Am kürzlich stattgefundenen Jobshop nahmen insgesamt 50 Personen teil -  20 davon waren Menschen mit Behinderung, der Rest Unternehmen und Vertreter jeweiliger NGOs. Bereit, Stellen anzubieten, waren unter anderen folgende Firmen: ModaTim, Movidius, Profi, Bijuteria Societate Cooperativa, Ditto UP und Auchan.

Innerhalb des Projektes wurde auch ein Ressourcenzentrum gegründet. An dies können sich Interessenten für eine Arbeitsstelle wenden, aber auch Firmen können hier ihre offene Posten vorstellen. „Dadurch wird eigentlich ein Kontakt zwischen den Leuten und den jeweiligen Firmen geschaffen“, sagt Andrei Stratila.

Die gesetzlichen Vorgaben sind auch in Rumänien klar: Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern müssen mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung besetzen. Tun sie das nicht, müssen sie eine Strafe zahlen. Jedoch gibt es auch eine Alternative. Wenn sie keine Menschen mit Behinderung selbst anstellen wollen/ können, müssen sie mit verschiedenen Vereinen für Behinderte zusammenarbeiten. Das macht auch die französich-belgische Ladenkette Profi in Rumänien. „Die Uniformen unserer Angestellten werden von einem Verein für behinderte Menschen angefertigt“, sagt Carmen Bokor, Leiterin der Personalabteilung bei Profi Rom Food Temeswar. Jedoch soll sich all das demnächst ändern. Auch in den rumänischen Profi-Läden sollen Menschen mit Behinderung angestellt werden, sagt die Leiterin der HR-Abteilung.

Vor kurzem wurde ein ähnliches Projekt in Zusammenarbeit mit dem Verein für Integration der Menschen mit Behinderung in Temeswar gestartet. „Abseits der Klassifizierung“ (rum.: „Dincolo de etichet²“) möchte Studenten mit Behinderung entgegenkommen. Durch dieses Projekt sollen die vier Temeswarer staatlichen Unis - die West-Universität, die TU „Politehnica“, die Universität für Medizin und Pharmazeutik „Victor Babes“ und die Universität für Agrarwissenschaften und Veterinärmedizin - unterstützt werden, Programme für die Inklusion der Studenten mit Behinderung zu entwickeln. Von der Erreichbarkeit der Klassenräume durch besondere Rampen bis hin zu besonderer Software und Lernmaterialien, die diesen Studenten angeboten werden – alles soll demnächst kein Tabuthema mehr an den Temeswarer Universitäten sein. Menschen mit Behinderung sollen sich dank zahlreicher Aufzüge und Rampen vielerorts barrierefrei fortbewegen können.

Eigentlich stehen beide Projekte sehr eng in Verbindung. „Wenn man studiert, dann kann man auch bessere Arbeitsstellen bekommen – wir kämpfen also für Inklusion in beiden Bereichen“, schließt Andrei Stratila.