Zu einem Klavierabend mit dem Pianisten Wolfgang Glemser, der Professor an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus sowie Mitglied der Deutschen Chopin-Gesellschaft und der Liszt-Gesellschaft Weimar ist, hat das Deutsche Kulturzentrum Temeswar vor einigen Tagen eingeladen. Die mit Zuhörern überfüllte Aula der Zentralen Universitätsbibliothek „Eugen Todoran“ wurde für einige Stunden von den Klängen der Musik Chopins, Scriabins, Wagners und anderer Komponisten berieselt. Der deutsche Pianist, der in vielen Ländern Europas, in Südafrika, China, Thailand und in Mittelamerika konzertierte, hat das Publikum in Temeswar von seiner Virtuosität überzeugt.
Die erste Frage ist an den Professor gerichtet. Eine Assistentin an der hiesigen Musikhochschule sagte mir einst, dass es heutzutage sehr viele junge talentierte Pianisten gäbe. Sehen Sie das Phänomen genauso?
Ja natürlich, es gibt inzwischen unglaublich viele talentierte Pianisten aus fast allen Ländern der Erde, mit dem Willen, etwas zu sagen, etwas auszudrücken. Wir leben in einem Schlaraffenland, weil die Konzerte viel interessanter sind, als zu Zeiten, als ich noch jung war. Damals waren die Klavierabende gleich, da wurde ein bisschen Bach und Beethoven gespielt, dann kam die Pause, dann das große romantische Stück. Es galt das Ideal des Richtig-Spielens. Im Grunde genommen gab es eine bestimmte Interpretation und alle versuchten dieser Interpretation nachzueifern. Inzwischen sind wirklich so viele interessante junge Leute, die sich mit den Werken auseinandersetzen und eine persönliche Interpretation geben, dass es richtig spannend geworden ist, wieder ins Konzert zu gehen.
Was müsste also ein junger Mensch tun, um sich abzuheben?
Das weiß ich nicht. Ich glaube, dass es ausgesprochen wichtig ist, dass man das findet, was einem am Herzen liegt. Die Idee des universalen Pianisten, der zwischen Bach und Schönberg alles gut spielen kann, ist ein bisschen überholt. Natürlich muss man Bach und Beethoven spielen können, aber irgendwann findet man seinen Platz. Im Moment versuchen viele Leute, die ein sehr großes Repertoire haben marktkonform zu sein, und spielen Werke von Komponisten, mit denen sie sich nicht wirklich identifizieren. Es gab Kritik an Ivo Pogorelich, der den Chopin-Wettbewerb gewann, aber fast nichts anderes im Repertoire hatte. Ja, aber jedes einzelne Werk war bis ins Letzte durchdacht, ausgefeilt und da entstand etwas Besonderes. Wenn jemand alle 32 Beethoven-Sonaten spielt, am besten schon mit 15 Jahren oder so, bin ich persönlich nicht davon überzeugt, dass er nicht 32mal eine Sonate spielt und nicht 32 wirklich verschiedene Sonaten.
Sie haben neben Musik auch einige Semester Mathe studiert. Wie passt das zusammen?
Die Grundlagen der Musik sind physikalisch-mathematisch, das fängt bei den Schwingungen an und geht bis hin zur Akustik. Ich glaube auch nicht, dass es diesen Unterschied zwischen Intellekt - kalt, distanziert - und den Emotionen - warm, weich und ein bisschen dumm - gibt. Ich glaube, dass wir als Menschen und Kulturwesen so komplex sind, dass wir tatsächlich sagen können, es gibt warmherzige intelligente Menschen, und es gibt auch kalte Menschen, die trotzdem dumm sind, ich glaube nicht sehr an diese Gegensätze.
Einige von Chopins Kompositionen waren eine der Hauptkomponente an diesem Abend. Worin besteht die Modernität dieses heute noch sehr beliebten Komponisten?
Chopin hat eine schöne Oberfläche geschaffen und sagt unter dieser Oberfläche äußerst komplexe Dinge. Diese polierte, extrem schöne und ästhetisch befriedigende Oberfläche, unter der so viel Komplexes verborgen ist, bleibt bei Chopin einfach immer faszinierend. Deshalb wird er auch so unterschiedlich interpretiert. Deshalb können wir zu Chopin etwas Neues sagen, ohne den Komponisten zu vergewaltigen. Ich habe den Abend auf eine Verbindung Chopin – Scriabin aufgebaut, weil dieses Jahr von der UNESCO als Jahr des Lichts gefeiert wird und Scriabin mit seinem extremen Farbenreichtum – da spielt Helles und Dunkles eine ganz große Rolle - genau dazu passte.