Zehn Jahre nach der Flut: Auch Dosenfleisch wird einmal alle

Erinnerungen und Wandnässe sind noch immer gegenwärtig

Die gleiche Straße in Otelek: 2005 und zehn Jahre danach. In der Dorfkirche waren damals die Hilfsgüter gestapelt.

Magdalena Talpai. Im Hintergrund eines der neuen Häuser. Fachleute staunen, warum die gegen Wasser widerstandsfähigeren Pflaumenbäume noch vor anderen Baumarten abstarben.

Der Bahnhof in Johannisfeld steht verlassen am Ende des Schienenstranges. Sein Aussehen geht keineswegs auf die Wassermassen zurück.

Das robuste Bauernhaus von Anton Schemine (Foto) aus Johannisfeld war 2005 zwar überschwemmt, hielt jedoch den Wassermassen stand. In seinem Postkästchen am Tor ist jeden Tag die ADZ drin.
Fotos: Zoltán Pázmány

„Wir wollten gerade fern sehen, dann wurden wir verständigt, dass die Wassermassen das Dorf überschwemmen“, Magdalena Talpai kann sich rückerinnern, wie es damals, im Frühjahr 2005 war, als die Fluten der Temesch über weite Strecken die Dörfer Johannisfeld/ Ionel und Otelek/ Otelec im westrumänischen Verwaltungskreis Temesch/ Timis überschwemmt hatten. Fast 400 Häuser mussten in den beiden Ortschaften neu errichtet werden, andere hatten erhebliche Sanierungen notwendig. Vor allem in Sachen Statik war so einiges zu tun. Obwohl die Regierung über die Agentur für Wohnungsbau ANL, die nicht mehr bewohnbaren Häuser neu errichtete, mussten auch die Bürger über Bankkredite den Wiederaufbau ihrer Wirtschaften mitfinanzieren.

 

Spuren des Hochwassers verwischt

Die Straßen der Gemeinde führen von der katholischen Kirche in alle vier Himmelsrichtungen. Es ist der zentrale Platz des Ortes. Vor zehn Jahren, bei den größten Überschwemmungen im Banat seit den 1970er Jahren, waren Kirche und Pfarrhaus so etwas wie die Kommandozentrale der Ortschaft, die Anordnungen wurden au dem damaligen Gemeindezentrum Neuburg an der Bega/ Uivar in die überschwemmten eingemeindeten Dörfer Otelek und Johannisfeld übertragen. Heute ist zwar Erbgut traditioneller Bauten aus dem Banat verloren gegangen, doch die Regierung hatte damals, im Wirtschaftsboom, Mitte des vergangenen Jahrzehnts, für reichlich Geld gesorgt, Hilfsorganisationen hatten den Rest getan: In Otelek hält sich die Trauer um die alten Bauernhäuser in Grenzen. 202 Häuser mussten neu aufgebaut werden, bei weiteren musste vor allem die Statik gesichert werden. Heute haben die Bürger von Otelek und Johannisfeld die pflichtigen Versicherungen ihrer Häuser abgeschlossen. Ob es sich um den Gegenwert von 10 oder von 20 Euro/ Jahr handelt, das hängt davon ab, aus welchen Baumaterialien das jeweilige Haus besteht. „Zusatzversicherungen sind bei uns eher selten, denn manch einer lebt von Kindergeld und Sozialhilfe“, sagt der stellvertretende Bürgermeister der Gemeinde, Valentin Pascu.

Aus seinem Büro blickt der Mann direkt auf den Korridor des Bürgermeisteramtes: „Die Wandnässe ist nicht aus den Wänden herauszukriegen“, sagt Pascu. In den Tagen der Überschwemmungen war im gleichen Gebäude noch der Kindergarten untergebracht. Seit 2008 residiert hier das Bürgermeisteramt der neugegründeten Gemeinde Otlek mit dem eingemeindeten Johannisfeld. Über die Agentur für Wohnungsbau entstanden die neuen Häuser für die betroffene Bevölkerung. 202 in Otelek, 168 in Johannifeld, weiß der Gemeindevize Pascu aus dem Stegreif zu sagen. „Auf eigene Kosten hat die Kommune den Schutt entfernt“. An Gebäuden hat Otelek gegenüber der Zeit vor der Überschwemmung nichts eingebüßt, noch mehr, „im Ausland arbeitende Bürger haben gar noch 26 weitere Häuser errichtet“.

 

Versäumnisse und ein bisschen Nostalgie

Magdalena Talpai findet es befremdend, dass sich die Öffentlichkeit nach der Hochwasserflut kaum noch für die Belange der Bürger interessiert. „Damals haben uns die Reporter noch und noch befragt“, sagt die Frau, die zwischen dem 23. April und dem 6. Juni 2005 evakuiert war. Sie gehört zu einer der Familien, deren Haus nicht mehr bewohnbar war, nachdem die Fluten ihr Heim überschwemmt hatten. In ihrer Schilderung schwankt sie zwischen Nostalgie zu dem weitaus größeren Bauernhaus und ihrer neuen, auch gegen Hochwasser sicheren Wohnung.

60 Zentimeter hoch stand das Wasser in der Wohnung, „der Längsbalken der Zimmerdecke war auf einen Kleiderschrank gekracht“, beschreibt die Frau, wie sie ihr ehemaliges Haus zuletzt gesehen hatte. Auf der Straße, am Zaun, hatte das Wasser die 1,80 Meter erreicht. Ihr jetziges Heim, schräg gegenüber dem Rathaus, ist viel standfester. Nicht nur die Sofortmaßnahmen der Regierung hatten ihr damals über die Runden geholfen, sondern eine Reihe von Organisationen und Stiftungen und nicht zuletzt der Caritas-Verband der Dözese Temeswear und der Malteser-Hilfsdienst. Trotz aller Hilfen waren Bankdarlehen notwendig, um erneut die Wirtschaft aufzubauen. Die Stallungen waren über weite Strecken vernichtet – das Geld dafür musste jeder selbst auftreiben. Auch das geschenkte Mobiliar war ausreichend, erinnert sich Magdalena Talpai. Die Häuser waren nach einem genauen Plan konzipiert und die Behörden richteten sich nicht nach der Anzahl der ehemaligen Zimmer, sondern nach der Anzahl der Bewohner des Hauses. Der Sohn von Magdalena Talpai befand sich damals im heiratsfähigen Alter, also hätte ein drittes Zimmer eine gute Chance gehabt. Die Talpais hatten es versäumt, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Unter diesen Umständen reichten die Möbel, die ein Verwandter geschenkt hatte, und die auch aus Spenden kamen, auf jeden Fall aus – Magdalena Talpai lässt dabei den Galgenhumor in der Erklärung erkennen. Sie nimmt es auch nicht tragisch – möglicherweise hat sie sich auch damit abgefunden – dass die vom  Hochwasser Betroffenen auch noch von der Baufirma betrogen wurden: Der Bauausführer nutzte die Not und das allgemeine Chaos einer überschwemmten Ortschaft und sparte auf Kosten der Bürger: Die Firma hielt nämlich die vorgegebenen Maße des Hauses nicht ein. „In jenen Tagen hat sich doch niemand darangesetzt, die Grundrisse des neuen Hauses nachzumessen“, sagt Magdalena Talpai. Und die, die ein neues Haus erhielten, gehörten trotz Schutt im Hof, unter Umständen, zu den Begünstigten. Nicht jeder hatte nämlich das Glück, gleich ein neues Haus zu erhalten. Wo die Schäden nicht so erheblich waren und der Evaluierungsausschuss dementsprechend entschied, waren Sanierungen angesagt.  

 

Nicht nur das Hochwasser ist an allem Schuld

Der Bahnhof in der Ortschaft Johannisfeld, nahe zur rumänisch-serbischen Grenze, sieht trist und verlassen aus. Wo einst Fensterscheiben waren, gähnen auch an sonnigen Tagen gespenstische Löcher in den Wänden – doch damit unterscheidet sich das Bahnhofsgebäude kaum  von vielen anderen in den Banater Dörfern. Verkehrsministerium und Eisenbahngesellschaft haben in den letzten Jahren immer die Zahlen vor Augen gehabt, die den Abwärtstrend der Eisenbahn belegten. Die Infrastruktur mit dem gut ausgebauten Schienennetz im Banat und die Bahnhöfe von einst haben massive Veränderungen erfahren – ausschließlich zum Negativen. Interessant für unsere Geschichte ist der Bahnhof von Johannisfeld, da zu der Zeit, als fast das ganze Dorf unter Wasser stand, auf dem Bahnhof Vieh und sonstige Habseligkeiten verladen und vor den Fluten gerettet werden konnten.

Mit einem Dach überm Kopf gingen die Menschen auch in Otelek und Johannisfeld bald ihren Alltag neu an. Oft mussten sie jedoch selbst Hand anlegen, um dieses Dach zu behalten, denn für schadhafte Wände gab es zwar die notwendigen Baumaterialien, für die Statik des Hauses musste jeder schon selbst sorgen. So gaben schon mal auch 72 Zentimeter dicke Wände nach, wenn eine Schicht Sand im Untergrund weggeschwemmt wurde. Die Talpais, mit ihrer neuen Behausung, konnten bereits im gleichen Jahr ihren Garten neu bebauen, denn der liegt höher als Hof und Haus. „Allein die Weinreben und die Pflaumenbäume starben ab“, sagt Magdalena Talpai. Die ohnehin lebhaft erzählende Frau, die von Nostalgie nahtlos auf Akzeptanz für die neue Situation übergehen kann, kommt unweigerlich auf die Leberpasteten und Konserven aus Hilfsgütern zu sprechen. „Nach zwei Jahren war es schwer, sich davon abzugewöhnen.“ Ob sie sich darüber freute, oder ob nur das Geld dafür eine Rolle spielte, ließ sie offen.