Bildung als Schutzschild

Zu: Christian Hardinghaus: „Kriegspropaganda und Medienmanipulation“, Europa Verlag, 2023, ISBN 978-3-95890-563-4, 231 Seiten

In einer Welt der Informationsflut wird es paradoxerweise nicht einfacher den Weg zur Wahrheit zu finden. So wie es immer wichtiger wird, beim Umgang mit Computer oder Smartphone  Kompetenzen zu entwickeln um nicht Opfer von Betrugsversuchen zu werden, so ist es angebracht, zu hinterfragen, was einem an Informationen ins Haus oder ans Handy geliefert wird. Das von Christian Hardinghaus in diesem Jahr erschienene Buch „Kriegspropaganga und Medienmanipulation“ trägt den Untertitel „Was sie wissen sollten, um sich nicht täuschen zu lassen“ denn es will als Hilfe verstanden werden, wenn es darum geht Täuschung und Beeinflussung zu entlarven.

Der Verfasser erinnert an ein Zitat des Politikwissenschaftlers Richard Taylor der vermerkt „dass Bildung die Menschen lehrt, wie sie denken können, während Propaganda ihnen vorschreibt, was sie denken sollen.“ In einer Zeit in der völlig unerwartet der grausame Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine die Fragen der europäische Sicherheit und einer friedlichen Zukunft neu aufwirft, haben wir es leider mit der extremen Form der Propaganda, mit der Kriegspropaganda zu tun. Hardinghaus geht darauf in den abschließenden Kapiteln ein und zeigt sich kritisch über die Art und Weise, wie in Deutschland die Berichterstattung zu diesem Krieg erfolgt. Er ist der Meinung, dass die Medien zu unkritisch, zu einseitig das Geschehen reflektieren und dabei eine zu große Regierungsnähe aufweisen die einer Meinungsvielfalt im Wege steht. Aus den diversen Krisen im Vorfeld des Krieges, die zum Großteil weiterhin aktuell bleiben (Corona-Pandemie, Klimakrise, Migration und Flüchtlinge, Inflation) habe man nichts gelernt. „Energiewende ist Pflicht, Zuwanderung ist Pflicht, militärischer Beistand ist Pflicht“, schlussfolgert der Autor und deutet das als eine „Belehrung der Bevölkerung“ durch die Regierung, wobei die Leitmedien zu bereitwillig beitragen. In Bezug auf den Krieg in der Ukraine wünscht sich Hardinghaus, dass in den Medien die russische Perspektive (z.B. es handle sich um ein „Präventivkrieg“ gegen „ukrainische Nazis“ und gegen die mit ihnen verbündete NATO wobei die Ukrainer an und für sich ein Brudervolk der Russen bleiben) wahrgenommen wird, um so die Kreml-Propaganda besser zu verstehen und um sie dann als solche zu entlarven und ihr widersprechen zu können. Die einseitige Wiedergabe der ukrainischen Propagemen (vor allem der Freiheitskampf gegen den „Schlächter Putin“ und somit die Verteidigung der westlichen Zivilisation) mit Präsident Selenskij im Mittelpunkt (stets im grünen Militärhemd quasi als David zu sehen in seinem Kampf gegen Goliath) legitimiere die Waffenlieferungen an die Ukraine, schließe aber aus oder verzögere eine diplomatische Lösung des Krieges, was, laut Umfragen, doch von einer Mehrheit der Deutschen bevorzugt wird.

Um die Propaganda zu entlarven muss man deren Formen und Techniken kennen. Im dritten Kapitel des Buches werden über 75 von ihnen angeführt und kurz erklärt. Alphabetisch angeordnet findet man sie als Anhang mit Seitenangabe, so dass man schnell und gezielt danach nachschlagen kann. Es handelt sich da von Appellen aller Art (z.B. ans Volk, an die Traditionen, an die Alternativlosigkeit, an Mäßigung) und Astroturfing (Aufbau und Finanzierung einer vermeintlichen Aktivistengruppe als Tarnbewegung) bis zur gut bekannten Zensur in all ihren Erscheinungsformen. Die vier Kernbestandteile der Propaganda fasst der Autor in einer 4-M-Formel zusammen: „Propaganda beschreibt die Manipulation der Massen durch Machthaber mittels Medien.“ Den Medien, insbesondere den visuellen, kommt eine besondere Bedeutung zu. Eine Kamera kann zwar nicht lügen, heißt es (Harold Evans), aber sie wird ein Mittel der Unwahrheit. Ein einfacher Perspektivenwechsel kann einem Foto eine ganz neue Bedeutung verleihen, um nicht von inszenierten Bildern oder Montagen und Retuschierungen zu sprechen.

Im umfangreichsten Kapitel des Buches wird die Kriegspropaganda veranschaulicht so wie sie sich im Laufe der Zeit gewandelt hat. Es geht um folgende Kriege: der Erste und der Zweite Weltkrieg, der Vietnamkrieg, der Zweite Golfkrieg 1990-91 („Wüstensturm“), der Kosovo-Krieg 1999 („Vereinte Gewalt“), der Irakkrieg 2003 („Koalition der Willigen“) und die digitalen Informationskriege am Beispiel Syrien und Afghanistan. Berücksichtigt werden dabei auch die Kriegsanlasslügen, die beweisen wie verheerend Manipulationen sein können wenn sie auf Verhetzung der Völker, Hass und Verachtung ausgerichtet sind.

Besonders hervorzuheben ist das Konzept „Embedded Journalism“, das die US-Regierung 2002 für die Kriegsberichterstattung im Irak eingeführt hat. Dabei wurden ausgewählte Journalisten nach einer kurzen militärischen Grundausbildung US-amerikanischen oder britischen Truppenverbänden zugeteilt. Sie wurden quasi zu Kameraden der Soldaten und solidarisierten sich mit ihnen. Die Reporter waren zwar direkt vor Ort aber die kritische Distanz zu den Ereignissen ging verloren. Hardinghaus beschreibt den Sinn dieses Einsatzes wie folgt: „Was sie durften und sollten, war im Kern lediglich, spektakuläre Bilder der in abenteuerlicher Kulisse mit neuster Technik überlegen kämpfenden amerikanischen Militärs zu filmen und dann in einer Liveschalte mit einem in den USA ansässigen Nachrichtenmoderator das zu kommentieren, was auf den Bildern zu sehen ist und wie sie es emotional miterlebten.“

Der Krieg erscheint fast wie ein Videospiel. Der Zuschauer fiebert mit und weiß genau, wer die Guten und wer die Bösen sind. Denn das wird ihm erklärt und interpretiert. Heutzutage, und das ist eine der Schlussfolgerungen die man nach der Lektüre dieses Buches ziehen kann, wünschen viele, nicht nur die Wahrheit zu erfahren, sondern wollen diese auch gedeutet und interpretiert haben von Experten und Kommentatoren ausgewählter Fernsehsender denen sie ihr Vertrauen schenken. Widersprüchliche Meinungen könnten als Verunsicherung empfunden werden. Trotzdem sollte man das in Kauf nehmen. Kenntnisse der Merkmale, Techniken und Prinzipien von Kriegspropaganda sollten für jene die richtig informiert sein wollen, vorausgesetzt werden.  Ansonsten bewahrheitet sich eine allgemein bekannte Aussage, die auch in Großbuchstaben auf der Rückseite des vorgestellten Bandes zu lesen ist: „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.“