In die Geschichte der Kronstädter wird diese Veranstaltung als Gründungsversammlung der „Heimatgemeinschaft der Kronstädter (aus den Stadtteilen Bartholomä, Blumenau, Innere Stadt, Martinsberg und Obere Vorstadt)“ eingehen. Erwähnt werden im Untertitel des neuen Namens ausdrücklich alle historischen Stadtteile Kronstadts. Wenn ich mich heute auf das historische Verhältnis zwischen den Kronstädter Stadtteilen Innere Stadt und Altstadt beschränke, hat dies – wie Sie ja alle wissen – mit der Erhebung Bartholomäs vor 149 Jahren zu einer eigenständigen evangelischen Kirchengemeinde zu tun und folglich mit der Gründung der beiden Heimatortsgemeinschaften (HOGs) Kronstadt-Bartholomä 1984 bzw. Kronstadt 1990.
Dass sich die Kronstädter über etwa ein Vierteljahrhundert lang in zwei verschiedenen HOGs organisiert haben, deutet darauf hin, dass das Verhältnis der Bartholomäer zu den Bewohnern der Inneren Stadt sehr „speziell“ ist, spezieller als jenes zwischen den Bewohnern der Stadtteile anderer sächsischer Städte. Dies mag dazu beigetragen haben, dass sich die Organisatoren der heutigen Veranstaltung für die „politisch korrekte“ Lösung entschieden haben, mich für den Festvortrag zu verpflichten, da mich beide HOGs zu ihrem Mitglied zählen und ich auch über meine Herkunft mit beiden Stadtteilen verbunden bin: meine Großmutter väterlicherseits, Else Elisabeth Volkmer, ist eine Nachfahrin der innerstädtischen Familien Beer, Copony, Hauptkorn und Wagner, meine Großmutter mütterlicherseits, Elvine Karoline Wick, stammt von den Bartholomäer Familien Brenndörfer, Preidt, Hüll und Gusbeth ab.
Kommen wir zu den Besonderheiten der Kronstädter zurück. Diese wurden gerade in den vergangenen beiden Jahren im Rahmen verschiedener Veranstaltungen hervorgehoben, die anlässlich des 775. Jahrestages der ersten urkundlichen Erwähnung Kronstadts (1235) und des 800. Jahrestages der ersten Nennung des Burzenlandes (1211) durchgeführt wurden. Bereits in dieser Zeit, also im frühen 13. Jahrhundert, bildeten sich gewisse Kronstädter Besonderheiten heraus. Es ist doch merkwürdig, dass hier Altstadt und Innere Stadt nicht identisch sind, und auch die älteste Kirche steht nicht in der Inneren Stadt, sondern in der Altstadt, was einem Außenstehenden wiederum logisch erscheinen mag.
Fakt ist, dass es sich hier um zwei unterschiedliche Siedlungen handelt, die fast parallel entstanden. Neuere archäologische Grabungen haben gezeigt, dass sich die westliche Siedlungsbewegung, die ab etwa 1150 die sogenannte Hermannstädter Provinz erfasst hatte, schnell ausbreitete und auch das Burzenland bereits um 1160 erreichte. Obwohl der Abt Fridericus des rheinländischen Klosters Hamborn, heute ein Ortsteil von Duisburg, 1235 festhielt, er habe in Siebenbürgen das Kloster Corona visitiert, geht die Forschung davon aus, dass sich dieses Kloster bereits seit etwa 1200 am Standort der heutigen Schwarzen Kirche befand.
Diese Kirche ist auf den Tag der Heiligen Corona ausgerichtet (14. Mai) und es ist bekannt, dass der Corona-Kult damals vor allem in Aachen verbreitet war. Aus Aachen wiederum kamen mit großer Wahrscheinlichkeit die Prämonstratenser, die sich am Fuße der Zinne niedergelassen hatten, um vor allem die im oberen Zinnental lebenden Slawen zu missionieren. Damals war der Ort unter der Zinne eine Sackgasse, umgeben von sumpfigem Gebiet, abseits der Verbindungsstraßen gelegen, die durch das Burzenland verliefen.
Bessere Bedingungen für die Gründung eines Dorfes herrschten am Fuße des Gesprengberges, also auf dem Gebiet des späteren Bartholomä, da dieser Ort besser vom Burzenland aus zu erreichen war. Es spricht einiges dafür, dass diese Siedlung auch von den Prämonstratensern gegründet wurde – die diesbezüglich vorgebrachten Argumente der Historiker Gustav Gündisch, Alfred Prox und Harald Roth finde ich sehr überzeugend. Die Kirche am Fuße des Gesprengberges war von Anfang an dem Heiligen Bartholomäus geweiht.
Dieser taucht häufig als Kirchenpatron bei Prämonstratensern im Aachener Raum auf, aus dem wohl die Klostergründer unter der Zinne stammten. Die Wahl des Patrons mag eine Erinnerung an jenen Bischof Bartholomäus von Laon sein, in dessen Diözese das erste Kloster dieses Ordens stand, nämlich im französischen Prémontré. Dies hätte der üblichen Praxis der Prämonstratenser entsprochen, durch Ortsgründungen und folglich eigenen Pfarreien Siedler als Arbeitskräfte und Steuerzahler zu gewinnen, um damit das eigene Kloster zu stärken.
Somit ist die Vorstellung sehr wahrscheinlich, dass die beiden – zunächst voneinander räumlich getrennten – Ortschaften auf die gleichen Gründer zurückzuführen sind, wodurch sie sich von den anderen deutschen Dörfern im Burzenland unterschieden. Diese wurden in der Regel vom Deutschen Orden gegründet, der 1211 mit dem Burzenland vom ungarischen König belehnt, 1225 aber schon wieder vertrieben wurde. Zwar beherrschte er auch die beiden auf dem Gebiet des heutigen Kronstadt liegenden Siedlungen, die Prämonstratenser schien er aber geduldet zu haben.
Nach dem Abzug der Ordensritter wurde das Burzenland zu einem Komitat der ungarischen Krone umgestaltet, in dem die verbliebenen westlichen Siedler umfangreiche Privilegien genossen. Der neue Graf, der das Komitat im Namen des Königs von Ungarn regierte, verlegte seinen Sitz schon bald aus Marienburg auf das Gebiet des heutigen Kronstadt. Es handelte sich um den später so genannten Martinsberg, an dessen Fuß eine Mautstation eingerichtet wurde, die zu einem Nukleus für eine dritte Siedlung auf dem Gebiet des heutigen Kronstadt wurde.
Damit wird deutlich, warum sich der Begriff „Altstadt“ auf die beiden Stadtteile Bartholomä und Martinsberg bezog, zumal unter der Zinne zeitgleich die Prämonstratenser ihr Kloster erweiterten. Ziemlich gleichzeitig entstanden die heutige Bartholomäer Kirche und der Vorgängerbau der Schwarzen Kirche, letzterer als Klosterkirche. Beide Bauwerke wurden weitgehend durch den Mongoleneinfall von 1241 zerstört, wahrscheinlich auch die Ortschaften unter dem Gesprengberg und dem Martinsberg.
Unter dem Eindruck einer latent anhaltenden mongolischen Bedrohung erwies sich der Nachteil der Klostersiedlung unter der Zinne als ein Vorteil: Die nahen Berge boten sich als Fluchtort an, den die berittenen Mongolen nicht erreichen konnten. Gleichzeitig wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine größere Fluchtburg auf der Zinne errichtet. Dies führte dazu, dass zunehmend Siedler aus Bartholomä und Martinsberg aus Sicherheitsgründen unter die Zinne zogen.
In Martinsberg, dem Sitz des Komitatsgrafen, müssen sich auch in den nächsten Jahrzehnten die zentralen administrativen Einrichtungen der entstehenden Stadt befunden haben. Gegenüber dieser „Altstadt“ entstand ab 1250 eine „neue Stadt“ im Umfeld des Corona-Klosters unter der Zinne, die sich bis zum Anger in der späteren Oberen Vorstadt zog. Die Schwächung des Klosters durch den Mongoleneinfall führte wahrscheinlich zu seiner Unterstellung unter die Zisterzienserabtei Kerz.
Da dieser Orden die Mutter Gottes als Patronin gewählt hatte, wurde die wiederaufgebaute Klosterkirche wahrscheinlich schon zu diesem Zeitpunkt der Heiligen Maria geweiht. Damit entstanden wiederum fast zeitgleich zwei größere Kirchenbauten auf dem Gebiet Kronstadts: Die Klosterkirche in Corona profitierte von der Anwesenheit des Komitatsgrafen sowie der ungarischen und mittlerweile auch sächsischen Kleinadligen, die große Güter im Burzenland besaßen und die Kirche mit umfangreichen Zustiftungen unterstützten.
Festvortrag anlässlich der Mitgliederversammlung der Heimatortsgemeinschaften Kronstadt und Kronstadt-Bartholomä, am 22. September 2012 in Urbach
(Fortsetzung folgt)