Das Labyrinth unter der Stadt

Die Katakomben Kronstadts, ein nicht ausgenutztes touristisches Potenzial

Nach der Säuberungsaktion von letztem Jahr wurde nichts mehr unternommen und der Müll häuft sich wieder in den Tunnels.
Foto: Elise Wilk

Kinderzeichnung der Kronstädter Katakomben.

Noch lange nachdem man die Katakomben verlassen hat, spürt man die Kälte in den Knochen. Nach einem anderthalbstündigen Spaziergang durch das unterirdische Labyrinth, das sich hinter der Graft auftut- wenige Schritte von der Treppe entfernt, die zum Weißen Turm führt- freut man sich, wieder ins Licht zu treten. Wir schalten unsere Taschenlampen aus und streifen die Regenmäntel ab, die unsere Kleidung von Feuchtigkeit und Schmutz geschützt haben. Draußen scheint die Sonne noch. Wir blinzeln. Unsere Augen müssen sich ans Licht gewöhnen. Eine Gruppe Ausländer will gerade zum Weißen Turm hinauf.

Zwei spanische Touristen nähern sich. „Kann man da rein?“, fragen sie uns und zeigen auf das Loch, aus dem wir gerade herausgetreten sind. Wir erklären, dass es drinnen schmutzig, feucht und sehr dunkel ist. Doch die Touristen sind begeistert. „Es wäre wunderbar, wenn man hier Führungen organisieren würde“, meint einer von ihnen. Er hat das große Potenzial der Katakomben auf der Stelle erkannt. Bloß die Kronstädter Behörden wollen es nicht wahrnehmen.
 

Ehemalige Luftschutzbunker

Wenn man unter der Graft spazieren geht, kann man mehrere Eingänge in die Katakomben sehen. Manche von ihnen sind durch Gitter gesperrt. Einen einzigen Eingang gibt es, bei dem die Gitter entfernt wurden. Er ist nur mit Ästen zugedeckt.

Als „Katakomben“ bezeichnen die Kronstädter die alten Luftschutzbunker, die im Jahr 1944 angelegt wurden. Vor ein paar Jahrzehnten dienten sie als Zufluchtsort während der Luftangriffe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg. Um leichter erreichbar zu sein, wurde auch ein Durchgang in der Stadtmauer, in unmittelbarer Nähe der Graftbastei angelegt. Dieser ist heute mit einer Blechtüre verschlossen. In den sechziger Jahren wurde der Tunnel erweitert und ausgebaut. Vor den Eingang wurde ein Wärterhaus gebaut, das heute mit Graffitti vollbekritzelt ist. Im Inneren befand sich ein Kommunikationszentrum für Notfälle. Später wurde die Anlage überflüssig. Viele Kronstädter haben die ehemaligen Bunker als Kinder mit Taschenlampe und Seil erforscht und hier „Verstecken“ gespielt. Nach einer Zeit traute sich kein Kind mehr hinein. Die unterirdischen Räume verwandelten sich in „Wohnungen“ für Obdachlose.

Anfang der 2000er Jahre haben die Lokalbehörden beschlossen, alle Eingänge zu den Tunnels mit Gittern zu verschließen, damit niemand mehr hinein kann. Ein Eingang blieb jedoch offen. Heute sind die Katakomben voller Müll und werden in kalten Nächten weiterhin von Obdachlosen bewohnt. Die vielen Räume könnten vielleicht ein Museum oder ein Veranstaltungssaal für die alternative Kulturszene beherbergen. Auch die Idee von Führungen, die hier organisiert werden könnten, ist nicht schlecht.
 

Die Idee eines Museums

In den Katakomben ist es stockdunkel, kalt und feucht. Man braucht wenigstens zwei Taschenlampen pro Person, um voranzukommen. Auch das Tragen eines Schutzhelmes wird empfohlen- manchmal sind die Wände so niedrig, dass man sich den Kopf anschlagen kann, wenn man nicht aufpasst. Bei jedem Schritt stoßen wir auf Müll. Ein altes Hemd. Eine Plastik-Kassette. Reste von abgebrannten Kerzen. Plastikflaschen, eine rote Mütze. Die Katakomben nehmen eine Fläche von 1200 Quadratmetern ein und formen eine Vielzahl von labyrintartigen Tunnels.

DFDR-Stadtrat Cristian Macedonschi, dessen Engagement für den Kronstädter Tourismus allgemein bekannt ist, hatte im Jahr 2016 vorgeschlagen, in den Katakomben ein Museum einzurichten. Die Idee war auch ein wichtiger Punkt auf seinem Wahlprogramm als Kandidat fürs Kronstädter Bürgermeisteramt. „Ein Ziel, was die Förderung des Tourismus betrifft, ist die Verwandlung der Katakomben hinter der Graft in einen Attraktionspunkt, eine Gedenkstätte und ein Dokumentationszentrum über die Geschichte Kronstadts während der zwei Weltkriege und der Revolutionen. Dieser Raum kann als Museum der Aufstände, Revolutionen und Kriege entwickelt werden“, meint Macedonschi.
 

Säuberungs-Aktion im Frühjahr 2016

Im selben Jahr hat er zusammen mit einer Gruppe Freiwilliger eine Säuberungsaktion in den Katakomben eingeleitet. Hunderte von grünen Müllsäcken wurden damals aus den Tunnels hinausgetragen. Bei der Säuberung im Jahr 2015 wurden aus dem Eingangsbereich mehrere Säcke mit alten Matratzen, Decken, Kleidung und Abfall entfernt. Danach wurde auch eine Karte des Tunnels erstellt. Bogdan, ein freiberuflicher Event-Manager aus Kronstadt, der damals bei der Aktion mitgemacht hat, kennt die unterirdischen Räume wie seine Hosentaschen. Er ist auch der Autor des Blogs „Catacombele Bra{ovului“. Nach einem Besuch der historischen Felsengänge in Nürnberg wurde ihm klar, welch riesiges Potenzial in den ehemaligen Bunkern aus Kronstadt steckt. Heute ist er enttäuscht. Seit der Säuberungsaktion vor knapp anderthalb Jahren hat sich der Abfall wieder angesammelt. Man watet durch leere Cola-Dosen, Bierflaschen, Plastiktüten, Supermarkt-Katalogen, zerbrochenen Tellern und alten Kleidungsstücken. „Die Obdachlosen haben erneut kiloweise Müll hinterlassen und in den Räumen Feuer angezündet, um sich zu wärmen. Alle Wände sind jetzt von einer dicken Rußschicht überzogen. Sie müssten dringend gesäubert werden. Danach müsste man aber den Eingang zusperren. Doch wer kümmert sich darum?“, meint er.
 

Wenig Interesse bei den Behörden

Nach der Säuberungs-Aktion im Frühjahr 2016 wurde nichts mehr unternommen. Während des Festivals für zeitgenössische bildende Kunst „Amural“ fanden einige Projektionen auf den Wänden eines Raumes statt. „Die Leute fanden es toll, so etwas erlebt man nicht oft. Leider ist hier zu viel Schmutz, die Räume müssten ordentlich gereinigt werden“, meint ein Festivalbesucher. Die unterirdischen Räume könnten moderne Performances und Video-Projektionen beherbergen, würden sich aber auch als Ausstellungsort eignen. „Es ist schade, dass wir diese Gelegenheit nicht nutzen. An jedwelchem anderen Ort in der Welt würde es zu einer Explosion der Touristenanzahl führen, nur hier tut sich nichts“, meint auch Valer Rus, Leiter des Museums „Casa Mureşenilor“.

Die Katakomben befinden sich zurzeit in Besitz des Kronstädter Kreisrates und werden vom Inspektorat für Notfälle „Ţara Barsei“ verwaltet. Sie befinden sich jedoch nicht etwa in einem Entwicklungsplan für die Stadt. 2014 wurde sogar geplant, sie zu zerstören. Das Projekt, eine 9,2 Meter breite Straße zu bauen, die die Postwiese mit dem Rossmarkt verbinden soll, wurde jedoch von den Bürgern Kronstadts vehement abgelehnt. Die Verkehrsumleitung, durch die die Klostergasse zur Fußgängerzone werden soll, würde sowohl die Umwelt als auch die historischen Bauten zerstören.

Damit in den Katakomben ein Museum oder Räume für Veranstaltungen eingerichtet werden können müsste man den Ort gründlich säubern, er müsste gesichert und teilweise eingeebnet werden. Dann würde man eine elektrische Beleuchtung benötigen. Laut Cristian Macedonschi wären die Kosten für diese Arbeiten nicht groß. Vorläufig wird aber kein Schritt in diese Richtung getan. Und der Müll häuft sich in den Räumen, die eigentlich besser genutzt werden könnten.
Mehr Informationen über die Kronstädter Katakomben können unter catacombelebrasovului.wordpress.ro abgerufen werden.