Obwohl im Kronstädter Kulturkalender ursprünglich natürlich eingeplant, wird das Honterusfest, so wie auch viele andere ins Auge gefasste Veranstaltungen, heuer wegen der Maßnahmen zur Einschränkung der Coronavirus-Pandemie nicht stattfinden können. Als Ersatz für einen somit entfallenden Bericht über den Verlauf eines neuen, den Namen des Reformators und bedeutenden Humanisten Honterus tragenden Schul- und Gemeinschaftsfestes auf dem Langen Rücken in der Schulerau richten wir im Folgenden unser Augenmerk auf ein Kapitel aus der 175-jährigen Honterusfest-Geschichte, das unseres Erachtens einer Korrektur und Ergänzung bedarf.
Bekanntlich wurden die „klassischen“ Honterusfeste ab dem Jahr 1845 und bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs (1939) auf der Honteruswiese, nahe der zu Kronstadt gehörenden Siedlung Noa, gefeiert, dort, wo in der kommunistischen Zeit die Berufsschulgruppe der Lkw-Werke funktionierte. Um die Mitte der 1950er Jahre, nach Stalins Tod, als sich innenpolitisch eine kurzfristige Lockerung bemerkbar machte, gab es Versuche, in Kronstadt, damals Stalinstadt, dieses traditionelle Schul- und Gemeinschaftsfest wiederzubeleben. 1955 konnte das Honterusfest zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg wieder gefeiert werden – nicht auf der „historischen“, inzwischen zu einem guten Teil verbauten Honteruswiese, sondern auf einer Waldwiese unterhalb der Rabenspitze. Ab 1956 folgten dann etliche Ausgaben des Festes auf der großen Wiese beim Kleinen Hangestein, der in den nachfolgenden Jahrzehnten bekanntlich großenteils einem Steinbruch zum Opfer gefallen ist. Diesen Honterusfesten der 1950er Jahre hatte der Verfasser dieser Zeilen vor bald drei Jahren in der „Karpatenrundschau“ (Nr. 24/15.06.2017 und Nr. 25/22.06.2017) einen Beitrag gewidmet, der auch in der „Neuen Kronstädter Zeitung“ (Folge 3/30.09.2017) nachgedruckt wurde. Erwähnt wurde in diesem Artikel, dass es im Sommer 2015 eine grenzüberschreitende, per E-Mail geführte Diskussion zur Frage gegeben hat, wann denn das letzte Honterusfest auf dem Kleinen Hangestein ausgetragen wurde: 1958 oder 1959? An dieser Debatte beteiligten sich mehrere an der Thematik interessierte Personen. Deren Mehrheit optierte für das Jahr 1958, auch unter Berufung auf Äußerungen von Dr. Otto Liebhart, bis 1959 Direktor der damaligen Kronstädter deutschen Mittelschule und als solcher Hauptinitiator und Hauptorganisator der Honterusfeste in den 1950er Jahren.
Der Autor dieses Beitrags hatte sich in der E-Mail-Debatte von 2015, eben aufgrund der Hinweise von Dr. Otto Liebhart, dokumentiert in dem von Ortwin Götz im Jahr 2008 herausgegebenen Buch „Honterusfeste einst in Kronstadt/Siebenbürgen und danach in Pfaffenhofen/Deutschland“, ebenfalls für 1958 als das Jahr des letzten Honterusfestes auf dem Kleinen Hangestein ausgesprochen, ist aber inzwischen zum Schluss gekommen, dass dieser Standpunkt revidiert werden muss. Warum? Im Sommer des vorigen Jahres (2019) übergab ihm Landeskirchenkurator Prof. Friedrich Philippi mehrere Fotos aus dem Nachlass seines Vaters, des Geo-graphie- und Geschichtslehrers Kurt Philippi sen. Unter diesen Fotos befinden sich auch die drei auf dieser Seite reproduzierten Bilder, die auf der Rückseite mit dem Vermerk „1959 Schulfest Hangestein“ und zum Teil auch mit zusätzlichen Angaben beschriftet sind. Um sicherzugehen, dass Prof. Kurt Philippi kein Datierungsfehler unterlaufen ist, zeigte der Verfasser diese Fotos einigen der auf ihnen zu erkennenden damaligen Schüler, inzwischen so um die 75-76 Jahre alt, und fragte sie, ob sie sich erinnern können, in welchem Jahr das durch diese Bilder dokumentierte Honterusfest stattgefunden hat. Die erhaltenen Antworten sind eindeutig. Der heute in Klausenburg lebende und wirkende Geograph Dr. Wilfried Schreiber antwortete auf meine Anfrage: „Nach den Klassengruppen (beim Sitzen oder Turnen) sind wir am Lyzeum, da hier Kollegen auftauchen, mit denen ich erst dort zusammen war. – Unser erstes Lyzealjahr war 1958/59, d.h. Herbst 1958 bis Sommer 1959. Da das Honterusfest im Mai oder Juni stattfand, muss es also tatsächlich 1959 sein!“ Bestätigt wurde diese Aussage von einer ehemaligen Jahrgangskollegin, Frau Gundel Einschenk geb. Morres, die die deutsche Volksschule in Bartholomae besucht hatte, erst ab Herbst 1958 Schülerin der deutschen Mittelschule auf dem Honterushof war und in dieser Eigenschaft am Honterusfest 1959 – das allerdings, wie alle diese Feste in den 1950er Jahren, offiziell nicht Honterusfest heißen durfte – teilgenommen hat, wobei sie es für möglich und wahrscheinlich hält, auch bei früheren Hangestein-Honterusfesten dabei gewesen zu sein.
Berechtigterweise stellt sich nun die Frage, warum das Schul- oder Honterusfest des Jahres 1959 in den Äußerungen des ehemaligen Schuldirektors Liebhart unerwähnt bleibt. Dazu sei gesagt, dass Dr. Otto Liebhart während des ersten Quartals des Jahres 1959 als Schuldirektor abgesetzt und statt ihm im März des gleichen Jahres Prof. Erwin Toth in dieses Amt eingesetzt wurde. Was war passiert? Warum geschah dieser Wechsel an der Spitze der Schule mitten im Schuljahr? Den Ausschlag gaben - dies berichtete mir KR-Redakteur Dieter Drotleff, damals Schüler der 11. Klasse - Vorkommnisse anlässlich eines Schulfaschings, der in der Schulkantine im C-Gebäude stattgefunden hatte. Ein Schülerpaar legte einen flotten Rock and Roll aufs Parkett, was als dekadent und indezent und damit als Verstoß gegen die kommunistische Moral ausgelegt wurde. Daraus wurde dem Schulleiter ein Strick gedreht. Nachdem Dr. Otto Liebhart nicht mehr Schuldirektor und somit offensichtlich auch bei der Organisation des Honterusfestes 1959 organisatorisch nicht mehr impliziert war, ist es wohl verständlich, dass er in seinen späteren Äußerungen zum Thema, gemeint ist seine „Quellenrede“ auf dem Honterusfest des Jahres 1977 in Pfaffenhofen, das Fest von 1959 unerwähnt ließ, weil es ihm nicht mehr erinnerlich war.
Der Verfasser dieses Beitrags hat sich die Mühe gemacht, in der Kollektion der Kronstädter „Volkszeitung“ nachzuschauen, ob das Honterusfest des Jahres 1959 in den Spalten dieses Periodikums in irgendeiner Weise erwähnt wurde. Das ist nicht der Fall. Stattdessen entdeckte er aber in der Ausgabe vom 25. Juni 1959 einen vom neuen „Direktor der Stalin-städter Mittelschule Nr. 2“, Erwin Toth, gezeichneten Artikel mit dem Titel „Unsere verantwortungsvolle Aufgabe“, in dem patriotische Erziehung, patriotischer Arbeitseinsatz und weitere der kommunistischen Ideologie verhaftete Floskeln aneinandergereiht werden. Das Honterusfest – auch nur als Schulfest – wird mit keinem Wort erwähnt. Das nimmt nicht wunder, wenn man bloß bedenkt - erinnert sei an die damaligen zahlreichen Verhaftungen und die großen politischen Prozesse wie Schwarze-Kirche-Prozess und Schriftsteller-Prozess -, dass die endfünfziger Jahre für die Kronstädter Sachsen, und nicht nur für sie, eine Zeit der maximalen Verunsicherung gewesen sind. Trotzdem hat 1959 auf dem Kleinen Hange-stein ein Schulfest in der Tradition der Honterusfeste stattgefunden, wie die von Prof. Kurt Philippi geschossenen Fotos belegen. Ob es damals auch einen Festredner gab, der die traditionelle „Quellenrede“ gehalten hat? Darüber ist uns leider nichts bekannt.