Die Jahre im Honterus-Internat 1958 – 1962

Erinnerungen eines aus Heldsdorf stammenden ehemaligen Schülers

11-E Klasse mit Prof. Wilfried Bielz im Juni 1962 beim Honterus-Denkmal Foto: privat

Internatler des Jahrgangs 1944 bei einem Klassentreffen 2002 in Tieringen. In der Mitte der Autor des Textes. Foto: privat

Zwischen 1958 und 1962 habe ich das Honterus-Gymnasium in Kronstadt besucht. Zwei Jahre davon im Honterushof als Școala Medie Nr. 2 Orașul Stalin wie die Stadt in den Jahren genannt wurde, und zwei Jahre als deutsche Abteilung des Șaguna-Gymnasiums als Școala Medie Nr. 1 Brașov. 1960 wurde das Honterus-Gymnasium als selbstständige Schuleinheit aufgelöst und als deutsche Abteilung des Șaguna-Gymnasium weiter geführt.

Mit Höhen und Tiefen ist diese Zeit vergangen, sie hat uns geprägt und sie hat einen kaum zu glaubenden Zusammenhalt generiert. Unsere gut besuchten nachherigen Jubiläums- und Klassentreffen sind ein Beweis dafür. Das ganze Schulwesen von damals und unsere gut vorbereiteten Lehrer sind nicht zu vergleichen, mit dem was noch kommen wird. Unser Lehrer Wilfried Bielz hatte den Mut, am letzten Schultag mit unserer Klasse ein Gruppenbild am Honterusdenkmal zu machen. Der große Anteil an Aufnahmen zum Studium an Hochschulen war ein weiterer Beweis für die solide Ausbildung. 

Das Schuljahr 1958 - 1959

Es war Mitte September 1958. Die Aufnahmeprüfung vom Juni war geschafft, wir durften noch einmal richtig die Ferien genießen und nun begann für uns, die wir vom Dorf kamen, ein ganz neuer Lebensabschnitt an einem neuen, relativ unbekannten Ort. Ein Platz im Internat der Schule war reserviert. Das Internat der damaligen Școala Medie Nr. 2 Orașul Stalin war im ersten Stockwerk des C-Gebäudes am Honterus-Hof untergebracht. Die Betten stammten vom Gefängnis aus dem hinteren Teil des Justizpalastes, das nach Zeiden verlegt worden war. Es waren aber nur leere Eisenbetten, und so musste jeder mit gefülltem Strohsack anrücken, damals noch meist mit Pferdefuhrwerken herangekarrt. Ich erinnere mich, dass kaum zwei Betten gleich waren und wir stellten uns die Frage, ob die Häftlinge wohl verschiedene Komfortstufen „genießen“ durften – nach meinen heutigen Erkenntnissen eher nicht. Die Zimmer im Internat waren im System Eisenbahn angeordnet d.h. um in den am Ende befindlichen Waschraum zu gelangen, mussten alle Zimmer durchschritten werden. Die Elftklässler waren natürlich am Ende in Zimmer eins untergebracht, das kein Durchgangszimmer war. Oberhalb der Schlafzimmer im Obergeschoss waren zwei Klassenzimmer, wo die Lernstunden abgehalten wurden. Über eine Galerie am hinteren Teil des Gebäudes gelangte man direkt zum Treppenhaus nach oben. Zu dieser Galerie führten zwei Wege, durch den Waschraum und über einen kürzeren Weg durch Zimmer sieben, der gerne genommen wurde. Aus diesem Grunde hatte der Pädagoge Order gegeben, ab 22.00 Uhr kein Durchgangszimmer mehr. Trotzdem wurde es auch weiter oft genutzt. Frieder Schuller hatte sein Bett neben der Ausgangstür zur Galerie und wenn nun doch einer den Weg im Dunkeln nutzte, war er am Kragen gefasst, mit einem Fußtritt und zugleich ein Kissen am Kopf schnell zur Tür hinaus befördert. An einem Abend hatte es den Päda erwischt, der aber kein Wort dazu gesagt hat. Frieder meinte nur, dass er gespürt habe, dass ein schwererer ihm in die Hände geraten sei.

Wir Zöglinge der achten Klasse waren ganz am Anfang in einem Zimmer untergebracht, aus dem eine Tür auch zum Zimmer unseres „Genossen Erziehers“ Hans Unberath (Päda) führte. Oft stand er folglich als stiller Zuschauer da, wenn die Kissenschlacht am heftigsten entbrannt war. Ein Schüler aus einem höheren Jahrgang, der für Ordnung zu sorgen hatte, wurde als Zimmerverantwortlicher zugeteilt. Ein Elfklässer wurde zum Internat-Ältesten gewählt. In dem Jahr war es Dieter Drotleff, der ebenfalls für Ordnung und Disziplin zuständig war. In den Fluren hatte jeder seinen abschließbaren Spind, in dem Kleidung, Schuhe u.a. aufbewahrt wurden. Es gab noch ein Krankenzimmer zur Isolierung von Krankheitsfällen. Frieder Schuller sollte einmal einen Vortrag über Leonardo da Vinci halten. Einvernehmlich zwischen Prof. Bielz und dem Päda wurde er „krank gemacht“ und zur Vorbereitung des Referats hier untergebracht. In Nachbarschaft des Hofes war die Schreinerei Schuller. Im Sommer bei offenen Fenstern hörten wir oft das Schrillen des Abrichters um 3.00 Uhr nachts.

Im Hof in einem Nebengebäude befand sich die Kantine, eine wichtige Einrichtung für uns damalige Dauerhungrige. Hier mussten die Internatler reihum Küchendienst leisten und waren an dem Tag vom Unterricht befreit. Dieser bestand neben Hilfe in der Küche auch in der Überwachung und Empfang der zu verarbeitenden Lebensmittel. Anhand der von Chefköchin Frau Kellner  erstellten Liste wurden die Lebensmittel aus dem Lager von der Lagerverwalterin Frau Hermannstädter in Empfang genommen. Verwalter der Kantine und Internat war Herr Latzina, der auch die Zahlungen der Gebühren in Empfang nahm. Putzfrau war die resolute „Hannchen“, ihr richtiger Name ist mir entfallen.

Für die Bedienung zu Mittag waren die Schülerinnen aus dem Internat, sowie die von außerhalb, die aber hier zu Mittag speisten, reihum eingeteilt. Auch viele Lehrkräfte nahmen hier das Mittagessen ein. Am Abend hatte meist die Köchin Frau Mathilde Foith, die vor Ort im Erdgeschoss wohnte, Dienst. Bei ihrem groben Wortschatz war sie eine äußerst nette, liebe Frau, die immer einen Zuschlag für uns ständig Hungrige hatte.

Im Internat herrschten strenge Disziplin und Ordnung. Um 6.00 Uhr aufstehen, waschen, Betten machen. In Zimmer eins wohnte auch der Einkäufer Domokos. Er stand immer früher auf und wenn er durch alle Zimmer mit seinen Holzpantoffeln zum Waschraum schlürfte, wurden wir alle wach. Verärgert darüber aber auch oft froh, noch ein wenig liegen bleiben zu dürfen, nahmen wir es halt in Kauf. Dann ging es zum Frühstück. Die Mädchen waren in der Waisenhausgasse Nr.14 untergebracht und kamen geschlossen zum Essraum. Gegessen wurde erst, nachdem eine Schülerin oder ein Schüler den Spruch des Tages verlesen hatte, gemeinsam wurde der Essraum verlassen. Im Nachhinein empfinde ich den Spruch des Tages als Ersatz für das Gebet, das ja zu der Zeit verboten war. Selbst zum Abendessen um 19.00 Uhr ging es geschlossen, nachdem der Internatsälteste uns vorher im Vorraum gesammelt hatte. Zu den Unterrichtsräumen im Nebengebäude bzw. Kapitelzimmer war es nicht weit. Nach dem Unterricht und Mittagessen hatten wir frei. Diese Zeit nutzten wir, um unsere neue Umgebung zu erkunden. Warthe, untere Zinne, innere Stadt und Gemüsemarkt waren nur einige der angestrebten Ziele. Wenn ein guter Film gespielt wurde und der Stundenplan es erlaubte wurde das nahegelegene Popular- oder Maxim Gorki-Kino aufgesucht. Bald hatten wir auch das schwarze Brett am Pfarrhaus entdeckt und standen am Turmaufgang, wenn Herr Zackel kam und dem Chef der Läute-Brigade das Geld übergab. Mit Läuten konnten wir somit unser karges Taschengeld aufbessern. Damals gab es noch Pferdekutschen und die Taxis waren noch privat, schwarz lackiert und hatten den Stand neben dem neuen Honterusgebäude, damals Krankenhaus.

Zwischen 16.00 und 19.00 Uhr war obligate Lernstunde in den Klassenräumen über unseren Zimmern. 19.00 Uhr war Abendessen und von 20.00 bis 21.00 Uhr erneut Lernstunde. Jedem Zögling der achten Klasse war ein Schüler der neunten zugeteilt, der die Aufgabe hatte, in dieser letzten Stunde uns das Gelernte auszufragen.

21.00 bis 22.00 Uhr war Vorbereitung für die Nachtruhe. Jeder hatte vor seinem Bett einen Stuhl, auf den die Tageskleidung schön sauber gefaltet gelegt wurde, darunter die geputzten Schuhe, die auch zwischen Sohle und Absatz eingecremt werden mussten.

Um 22.00 Uhr wurde das Licht ausgemacht, aber nicht ohne, dass der „Päda“ vorher Kleidungs- und Schuhkontrolle durchgeführt hatte. Diese Kontrolle blieb manchmal aus, wurde dann nachts aber nachgeholt. Ich kann mich erinnern, wie mein Bettnachbar Bernd Kolf vier Mal nachts geweckt wurde, um die Schuhe in Ordnung zu bringen. Er war immer nur bis zum Spind gegangen und mit ungeputzten Schuhen zurück.

An diesen geordneten Rhythmus hatten wir uns schnell gewöhnt, die Zeit flog dahin und schon war das Wochenende da. Meist wurde nach Hause gefahren, es gab ein Wiedersehen mit dem Kränzchen und den Freunden aus der Grundschule aber auch der Rucksack wurde gefüllt, insbeson-dere in der Zeit des Schweineschlachtens. Die Heimfahrt wurde nicht mit den Bussen der „Autogara“ vom Anfang der Schwarzgasse gemacht, man nahm billigere Gelegenheiten.

Im Internat wurde eine Art „Hochsächsisch“ gesprochen, jeder konnte jeden verstehen, nur wenn zwei Zeidner oder Tartlauer untereinander stritten, bekamen die Übrigen wenig mit. 

Schnell kannten wir uns alle untereinander und wussten von jedem den Herkunftsort. Unser Pädagoge Hans Unberath war Fernstudent der Mathematik und Physik und konnte uns bei jeder schweren Aufgabe behilflich sein. Seine stille, ruhige Art, er redete fast nur im Flüsterton, hat nie geschrien, war äußerst wirksam. Er wohnte in Wohngemeinschaft mit Prof. Walter Schuller. Es ist uns nicht verborgen geblieben, wenn unser Päda im Sakko mit Krawatte Ausgang hatte, es nicht lange dauerte bis ein bestimmter weiblicher Besuch kam.

Bei so einem geregelten Alltag war das Schuljahr bald zu Ende. Zwei Ereignisse sind mir noch gut in Erinnerung geblieben, wo die Internatler organisatorisch eingebunden waren. Es war das letzte Honterusfest in kommunistischer Zeit auf der Kleinen Hangesteinwiese Ende Juni 1959. Wir mussten helfen, die Getränke und anderes benötigtes Mobiliar zu verladen und nachher wieder zurück zu bringen, durften dafür aber mitfahren.

Beim Fest selbst gab es ein Schauturnen, die Neuntklässler spielten Fußball gegen die Lehrer, es gab mit Namen bemalte Lebkuchenherzen und eine Blaskapelle spielte zum Tanz auf.

Das Fußballspiel endete 4:1 für die Schüler, im Tor der Lehrer stand Prof. Adleff und wenn Direktor Thot am Ball war, riefen wir Zuschauer: „wo bleibt der jugendliche Schwung“ (eine übliche Redensart von ihm).

Das Zweite war die Verladung der Küchenausstattung (Geschirr, Töpfe usw.) auf einen IFA-Laster. Diese wurde samt Köchinnen nach Costine{ti ans Schwarze Meer ausgelagert. Hier konnten damals die Honterianer in vier Serien Urlaub am Meer machen. Bevor es in die Ferien ging mussten noch unsere Strohsäcke transportfähig gemacht werden. Kurzer Hand wurde das Stroh im Hof ausgeleert und ein richtiges Lagerfeuer entfacht.

Noch einiges über die Schulzeit in diesem Jahr: Der erste Schultag in der Școala Medie Nr. 2 Orașul Stalin in einer ganz fremden Umgebung, begann am 15.09.1958, im Festsaal des B-Gebäudes am Honterus-Hof. Wir aus der achten Klasse sollten auf drei Klassen, zwei englische und eine französische, aufgeteilt werden. Gleich waren zwei Blocks englische beisammen, nur der französische wollte nicht entstehen. Direktor Otto Liebhart (Lippi) setzte seine volle Überzeugungskraft ein und wenn einer schwach wurde und zu den Franzosen wechselte, wurde er per Handschlag beglückwünscht. Irgendwann waren wir gleich verteilt und konnten in unsere Klassen gehen. Ich war der 8 A zugeteilt und unsere Klasse wurde das Kapitelzimmer. Die Ausstattung war gewöhnungsbedürftig aber durch zwei Fenster konnten wir sehen, wenn die Lehrer kamen. Noch etwas wunderte mich am Anfang und zwar der massive Andrang der Schüler in die Klassen am Ende der Pause. In Heldsdorf stellten wir uns klassenweise auf und es ging geschlossen in die Klassen. Bin aber bald zur Erkenntnis gekommen, dass wegen der Masse der Schüler und dadurch aufgewandten Zeit so etwas hier nicht möglich war.

Um uns kennen zu lernen stellte jeder Lehrer eine alphabetische Namensliste auf. In der Folgezeit wurde diese so oft wiederholt, dass sie mir auch heute noch geläufig ist. Unsere Klassenlehrerin war Frau Klothilde Killyen, die auch Rumänisch unterrichtete.

Deutsch hatten wir mit Prof. Liebhart (Lippi), der als Direktor immer zu spät kam und mit dem Stoff dadurch nicht fertig wurde. Ab Frühjahr 1959 wurde Prof. Erwin Thot Direktor und nun kam der immer zu spät und konnte den Stoff in Naturkunde nicht fertig bringen.

Die Jahre im Honterus-Internat 1958 – 1962

Am lustigsten ging es bei Prof. Wermescher in Russisch zu, es wurde viel gelacht aber trotzdem mit seinem System mit + und - der Bewertung der Antworten, streng, gerecht und es mangelte nie an Noten, bei fünf Zeichen gab es eine Note. Prof. Wolf (Rudolf) unterrichtete Latein und ist als streng aber sehr gerecht in Erinnerung geblieben. Wegen Schwangerschaft ist sie aber ausgeschieden. Prof. Adleff unterrichtete Chemie, beherrschte den Stoff sehr und kam immer nur mit dem Katalog in der Hand in die Klasse. Prof. Edith Rothbächer unterrichtete Physik und war auch sehr gerecht. Zuletzt nicht zu vergessen unseren humorvollen Zeichenlehrer Prof. Helfried Weiß.  
    

Das Schuljahr 1959 - 1960

15. September 1959. Das Internatleben in der neunten Klasse begann unter ganz veränderten Verhältnissen. Wir waren in der vormaligen Mädchenunterkunft in der Waisenhausgasse 14 untergebracht und wurden mit rumänischen Schülern zusammengelegt. Unser neuer „Erzieher“ war Hans Wolf aus Schäßburg aber die vormalige Disziplin und Ordnung waren dahin. Es war ein Vorgeschmack auf was noch kommen sollte.
Das vormals hier untergebrachte Mädcheninternat wurde aufgelöst, die Schülerinnen mussten sich Privatquartiere suchen. Aus welcher Schule die rumänischen Internatler kamen weiß ich nicht mehr, es waren auch Grundschüler unter ihnen, während bei den deutschen nur Gymnasiasten waren. Das Küchenpersonal war ein völlig anderes, Küchendienst wurde nicht mehr gemacht. Die Lernstunden fanden unter Aufsicht des Erziehers in einem freien Klassenraum im B-Gebäude statt. Auffallend viele Schüler der 8. Klasse (Geburtsjahrgang 1945) kamen vom Dorf. Die Kriegsjahrgänge der Geburten machten sich bemerkbar und so waren Subdirektor Babiak und Prof. Bielz im Sommer auf den Dörfern unterwegs, um Werbung fürs Gymnasium zu machen. Es gab sogar eine Klasse, die fast nur aus Dörflern bestand.

Ansonsten ist mir aus dem Internatsleben in diesem Schuljahr wenig in Erinnerung geblieben.   Unser Klassenzimmer in der 9-A wurde die Säulenklasse links im 1.OG im B-Gebäude. Oft verharrte unser Rumänisch-Lehrer Spiru Hoidas an der Säule mit Blick auf die Mädchenreihen. Generell hatten wir die gleichen Lehrer wie im Vorjahr in den verschiedenen Gegenständen. Prof. Rothbächer war in Physik ausgefallen und wurde vom pensionierten Lehrer Fulz vertreten. Ich kann mich erinnern wie er uns das „Weingeistthermometer“ erklärte. Musik unterrichtete Prof. Walter Schlandt. In einer Klassenarbeit sollten wir vorgegebene Takte in Noten umsetzen. Er flehte uns an nicht abzuschreiben und versprach niemanden durchfallen zu lassen oder gar eine schlechte Note zu geben, selbst bei Abgabe des leeren Blattes. Wie sollte nun ein unmusikalischer wie ich, der nicht einmal die Noten kannte, so etwas bewerkstelligen. Natürlich gab es welche unter uns die das mit Links konnten und ihre Arbeiten kreisten durch die Reihen. Eigentlich unfair Prof. Schlandt gegenüber.

In der achten und neunten Klasse mussten wir uns mit fünf Sprachen herumschlagen: Deutsch, Rumänisch, Russisch, Latein als Pflicht und Englisch, Französisch zur Auswahl. In diesem Jahr wurde erstmalig Werkunterricht eingeführt. Schlosserei und Werkzeugmaschinen von Lehrmeister Jakob unterrichtet. Am Ende des Schuljahres mussten wir zwei Wochen Praktikum in einem Betrieb ableisten. In der Cooperativa Chimica konnte ich so erfahren wie Kerzen, Fensterkitt, Schuhcreme hergestellt und verschiedene Gummisachen vulkanisiert werden.

Das Schuljahr 1960 - 1961

1960 war das Jahr in dem die deutsche Schule die Selbständigkeit verlor und nun als Abteilung des [aguna-Gymnasiums fungierte. Wir wurden im Internat dieser Schule in der Angergasse untergebracht. Es war ein riesiges 1912 errichtetes Gebäude in T-Form und nur für Schülerunterkunft gebaut. Links vom Haupteingang waren ein Mädchenzimmer und das Büro der Verwalterin Frau Rosler. Rechts davon war die Hausmeisterwohnung. Die achte bis zehnte Klasse waren in einem riesigen Schlafraum im 2. Obergeschoss einquartiert. Aus den Fenstern konnten wir gut in den Hof der Securitate von gegenüber Einblick nehmen. Oft wurde dort vergessen die Rollläden abends zu schließen, so wunderten wir uns, dass zu jeder Nachtstunde dort Leute mit irgend etwas beschäftigt waren, maßen dem damals aber keine Bedeutung zu. Neben unserem Schlafraum war ein Zimmer, in dem ein ungarisches Ehepaar wohnte. Er war Zufahrer der Lebensmittel mit einem Pferdegespann und sie Putzfrau. Oft fiel es ihm ein abends Zither zu spielen und wir durften zuhören.

In unserem Gebäude war Dampfheizung installiert, die bei Heizungsbeginn furchtbare Knaller verursachte und uns jeden Morgen frühzeitig aus dem Schlaf riss. Nachts war das Gebäude wie eine Festung verriegelt, sehr zu unserem Leidwesen. Winters wurden die Handball-Pokalspiele in der Tractorul-Halle ausgetragen und die dauerten oft bis spät nachts. Wenn dann jemand das für den Einstieg vorbereitete Fenster unbewusst doch noch verriegelte, blieb uns nichts anderes übrig als beim Hausmeister zu klopfen. Die gute Tanti Firea kam dann im Schlafhemd und gewährte uns durch die Hauptpforte Einlass. Übrigens war ihr Sohn Radu auch Handballspieler. Im Gebäude waren Klassenräume in denen die Lernstunden unter Aufsicht abgehalten wurden. Die Disziplin war weit von dem entfernt was wir in der achten Klasse unter deutscher Regie erfahren durften. Anfangs wunderten wir uns, wie die Elfklässer die Putzfrauen reihum betatschten und diese das als selbstverständlich hinnahmen. Vermutlich waren sie von den vorangegangenen Jahrgängen dazu trainiert worden. Schwer vorstellbar was passiert wäre, wenn wir so etwas mit unserem „Hannchen“ (Putzfrau 1958/59) gemacht hätten. An das Zusammenleben mit Rumänen hatten wir uns gewohnt. Wir waren ja in der glücklichen Lage in einer Sprache (Sächsisch) zu kommunizieren, die sie nicht verstanden. Damit sie nicht mitbekamen, wenn wir über sie redeten, wurden ihre Namen einfach übersetzt.

Kantine und Essraum waren im Untergeschoß. Neben der Treppe war ein Brett mit den Essmarken. Das waren runde, durchnummerierte Blechjetons, wo jeder seine Nummer hatte. Vor dem Essraum war ein Tisch, von wo man die vom Küchenpersonal vorbereiteten Portionen gegen Abgabe der Marke in Empfang nahm und in Essraum zu einem freien Platz an einem Tisch trug. Hier wurde auch das gebrauchte Geschirr abgegeben. Einige Klassen hatten nachmittags Unterricht und kamen später zum Abendessen. Oft war das Abendmenü Käsenudeln mit ein wenig riechendem Käse, was den Mädels nicht bekömmlich war. Es gab aber einen besonders Hungrigen und so begannen die Teller von Tisch zu Tisch bis zu ihm zu wandern. Mit zwei Mal mit der Gabel ausholen war ein Teller leer und die Teller stapelten sich am Tischrand. Ebenfalls im Untergeschoss waren die Duschen nur mit einer Wand untereinander getrennt. Am Duschtag nutzten dann 4-5 je eine Dusche.  

Im Frühjahr 1961 herrschte eine große Grippeepidemie, so dass der Unterricht ausgesetzt wurde. Die Internatler waren in Quarantäne, es war ihnen streng verboten das Internat zu verlassen. Trotzdem hatten einige es gewagt und wurden prompt exmatrikuliert.

Unterricht war im nahen Șaguna-Gebäude, wo nun deutsche und rumänische Klassen abwechselnd untergebracht waren. Meine Klasse die 10-B war im Erdgeschoss Ecke Sportplatz/Angergasse. Gegenüber war die Geburtenklinik, wo auch die damals völlig legalen Schwangerschaftsunterbrechungen getätigt wurden. In den Pausen, durch die zum Lüften offenen Fenster konnte ich manche bekannte Frau von dort kommen sehen.

Zu dem Uniformzwang kam für uns Jungen noch der Krawattenzwang und die Mädel mussten in Patentstrümpfen mit obligatorischen weißen Kragen und Haarband herumlaufen. Der Mützenzwang wurde lockerer gehandhabt und trotzdem gab es manchmal Razzien. Lehrer wurden in der Früh ums Gebäude postiert und die Schüler durfte nur mit Mütze, die nicht jeder hatte, die Schule betreten. Durchs Fenster eine zuzuwerfen gelang nicht immer. Zu der am linken Uniformärmel obligaten Schulmatrikel kam noch eine durchlaufende Nummerierung dazu. Schwer vorstellbar was passieren würde es sollte jemand auf den Gedanken kommen, so etwas im hiesigen deutschen Schulwesen einzuführen. Eigentlich waren diese einheitlichen Uniformen eine gute Einrichtung und trotzdem gab es finanziell besser gestellte, meist Rumänen, erkennbar an Uniformen aus einem feineren Stoff.
In der 10-ten Klasse gab es erneut eine Einteilung und zwar in Human- und Realklassen mit entsprechend strukturiertem Lehrstoff. In der Humanklasse waren Latein und Sprachen vorherrschend, während in den beiden Realklassen Mathematik zum Hauptgegenstand wurde und sie waren dem Latein los. Neben Latein fiel auch Erdkunde weg aber es kamen dazu: Politische Ökonomie und ALA (Luftschutz). In Musik wurde nun Musikgeschichte unterrichtet, was auch mir gefiel. Ich kann mich erinnern wie der sensible Lehrer Prof. W. Schlandt Probleme hatte, den Mädchen die Eunuchen zu erklären. In Werkunterricht unterrichtete Meister Andree Automobilkunde, was besonders bei den Jungen gut ankam.

Das Schuljahr 1961 - 1962

Das Jahr 1961 brachte einige Veränderungen. Im [aguna-Gymnasium wurde noch eine Hauswirtschaftsschule eingegliedert, die nur von Mädchen besucht wurde. Da diese ebenfalls im Internat untergebracht wurde, musste der Jungenanteil auf einen Schlafraum reduziert werden und der Flur zu den Mädchen mit Schränken abgeteilt unter Nutzung des hinteren Aufgangs. Wir waren nun in der elften Klasse, hatten das Sagen, mussten aber auch für Disziplin sorgen. Unser Tovar²{ul pedagog Herr Teodorescu hatte die Schlafkrankheit. Spätestens 19:30 Uhr, fiel er wie tot ins Bett und selbst wenn er später noch ab und zu im Pyjama auftauchte, wusste er am nächsten Tag nichts davon. Zwar war um 22.00 Uhr, Licht aus aber das Leben ging am Flur und in dem im Erdgeschoss befindlichen Klassenraum weiter. Uns Elfklässer war bewusst, dass am Ende des Schuljahres die Matura ansteht und dementsprechend wurde auch mehr gelernt, meist bis in die Nacht hinein.

Der Weg zur Schule war kurz und wir staunten über das zahlreiche Personal, das zur gleichen Zeit gegenüber in das Areal der Securitate hinein strebte.

Unsere Klasse die 11-E war im 1. OG untergebracht. Von den unterrichteten Gegenständen fielen weg: Politische Ökonomie und Musik aber es kamen dazu: Wissenschaftlicher Sozialismus, Psychologie und Astronomie. Erdkunde und Geschichte Rumäniens wurde in rumänischer Sprache unterrichtet. Gegen Ende des Jahres, im Hinblick auf Aufnahmeprüfungen auf Hochschulen, unterrichtete Prof. Sebastian Seidel auch Mathematik auf Rumänisch. Durch seine Art mit den vielen Extemporales, waren wir in Mathematik besonders gut vorbereitet und der Katalog konnte die vielen Noten kaum fassen. Werkunterricht wurde in der Elektroreparatur Werkstatt im Traktorenwerk abgehalten.

Ein Ereignis hatte damals für viel Aufruhr gesorgt. Zwei Schüler aus der 11. Klasse hatten einem Lehrer, nachts mit einem Stein, die Fenster eingeschlagen, wurden aufgespürt und eine Woche vor der Matura exmatrikuliert.

Die Matura-Prüfung war bald vorbei und man musste an das weitere Leben denken. Unterwegs im Internat wurde ich von der Sekretärin der Prüfungskommission aufgegriffen und gebeten die Diplome auf der Vorderseite mit Tusche zu beschriften. Das habe ich gemacht und so führen alle Diplome derer, die im Juni 1962 die Prüfung bestanden haben, meine Handschrift. Die Namen wurden von der Original-Geburtsurkunde übertragen und die waren dort oft fehlerhaft. Bei der Unterzeichnung schüttelte Prüfungsvorsitzender Prof. Hermann Baier aus Schäßburg immer den Kopf, wenn er so etwas sah. Die Vordrucke waren in Buchform und zwischen Diplom und Abriss war ein großer senkrechter Schriftzug. Hier wurde mitten durch, jedes Diplom in einer andern Wellenform mit der Schere abgetrennt. Diese Abrisse sind aufbewahrt worden und so kann die Echtheit des Diploms durch Übereinstimmung des Schnittes bewiesen werden.

Sollte man mich nach vier Jahren Internatsleben nach einer Bilanz fragen, so möchte ich das Schuljahr aus dem Honterus-Hof (1958/1959) aus meinem Leben nicht missen. In späteren gelegentlichen Zusammenkünften auf HOG-Ebene mit Hans Unberath und Erwin Thot war diese Zeit immer das beliebteste Gesprächsthema. Die anderen drei Jahre haben vielleicht zur besseren Kenntnis der rumänischen Sprache geführt, da ständig im Gebrauch und wir von den Kollegen der rumänischen Parallelklassen die Lernbegriffe erfahren konnten.