Die Tauchschule im Dorf, das Herrenhaus und die magische Pizza

Eine Fotoreportage von Elise Wilk und Laura Căpățână-Juller

Biertrinken mal auf eine andere Art: bei mehreren Metern unter Wasser, im Kunstsee in Dalnic Foto: Soós Adam

Jenö Szabó war in renommierten Fernsehsendungen und Dokumentationen zu sehen, Artikel wurden über ihn veröffentlicht.

Das 150 Jahre alte Gaal-Herrenhaus in Dalnic ist seit zehn Jahren als Pension in Betrieb.

Die Zimmer im Gaal-Herrenhaus sehen wie ein Museum aus.

Vom Gaal-Anwesen hat man einen herrlichen Blick auf die Gegend. Mitten im Dorf steht die reformierte Kirche.

Am Hauptplatz des Dorfes Dalnic steht die Statue von Gheorghe Doja (Dózsa György), dem Anführer des Szekler-Aufstands von 1514 gegen den Adel.

Ion ist seit acht Jahren Dorfhirte und einer der Bewohner von Dalnik, die das Angebot von MyLake angenommen haben und im Kunstsee getaucht sind.

Tante Maria ist stolz darauf, Blumen von ihren Kunden zum Namenstag bekommen zu haben. Fotos: Laura Căpățână Juller

In einem Dorf im Kreis Covasna kann man in einem einstigen Herrenhaus wohnen, in einer Unterwasser-Bar Bier trinken und zu Weihnachten zuschauen, wie Taucher einen Tannenbaum auf dem Grund des Sees schmücken. Und wenn man auf dem Weg in dieses Dorf im „Ort der 100 Quellen“, so wie die Stadt Covasna genannt wird, eine Pause macht, findet man hier den bekanntesten Geheimtipp in der Region: ein Restaurant, dessen Speisen an die Kindheit erinnern.

Zwischen den Ortschaften Moacșa und Cernatul de Jos, links von der von Kronstadt nach Târgu Secuiesc führenden Hauptstraße liegt das malerische Dorf Dalnic (ungarisch Dálnok). Es dämmert. Vom Hügel, auf dem sich die Gruften der ehemaligen Landherren befinden, kann man beobachten, wie die Lichter im Dorf eins nach dem anderen ausgehen. Bis die Dunkelheit die ganze Ortschaft verschluckt. Nur im Herrenhaus Gaal brennen die Kronleuchter. Wir gehen fasziniert von einem Zimmer ins andere. In dieser Nacht sind wir allein im 150 Jahre alten Gebäude, das 2014 in eine Pension umgewandelt wurde. Am Abend sind wir noch mit den Fahrrädern durchs Dorf gefahren, dann waren wir in der Sauna. Im riesigen Wohnzimmer hängen Gemälde des ungarischen Malers Miklós Barabás an den Wänden, im Keller kann man Billard spielen und vor dem Kamin auf samtweichen Sofas liegen – alles gehört uns, wenn auch nur für eine Nacht. Das renovierte Herrenhaus, das 1844 gebaut wurde, befindet sich auf einem 30 Hektar großen Anwesen, das von Wiesen und Wäldern umgeben ist. Ende der 1890er Jahre ging das Gebäude in den Besitz der Familie von Dr. Geza Borbath über. Es wurde 1949 verstaatlicht und nach der Wende von den Erben der Familie in Besitz genommen, die es jedoch nicht renovieren konnten und deshalb an eine Klausenburger Stiftung verkauften. „Es gab zwei Möglichkeiten: das Haus nach der Renovierung in ein Museum zu verwandeln oder eine Pension daraus zu machen. Man hat sich für die Variante entschlossen, die den Tourismus in der Region fördert“, erklärt der Verwalter Csiszér Gábor. Im ehemaligen Herrenhaus gibt es 13 Zimmer und die daneben gelegene Villa kann ganz gebucht werden - von bis zu vier Familien. Wer hier Urlaub macht, kann total abschalten und den ganzen Tag im Garten sitzen und lesen. Doch auch aktive Leute finden Abwechslung. Sie können Radfahren, reiten, wandern und sogar tauchen.

Von Cousteau bis Dalnic

Jenö Szabó kennt jeder. Auch der Verwalter des Gaal-Herrenhauses, auch der junge Kuhhirt, dem wir auf den Dorfstraßen begegnen. Alle Männer aus Dalnic haben das Tauchzentrum MyLake besucht. Es ist eine Kuriosität ihres Dorfes, aber auch etwas, auf das man stolz sein kann. Beim Eingang sind einige Preise aufgeschrieben. Man kann die Unterwasser-Bar besuchen (natürlich nach einem Taucher-Schnupperkurs), nachts mit den Welsen schwimmen, Wasser-Musiktherapie machen. Einen Goldfisch nach Hause zu nehmen oder eine Palinka mit den Tauchern von MyLake trinken ist immer kostenlos. Dalnic, das Dorf am Fuße des Bodoc-Gebirges, ist wohl der letzte Ort, an dem wir das erwartet hatten. Jenö Szabó, der Leiter des Tauchzentrums, hängt gerade Taucherkostüme auf eine Leine zum Trocknen, als wir kommen. Der gebürtige Klausenburger spricht gerne über seine Leidenschaft. Schon als jugendlicher Speläologe hat er das Tauchen gelernt, um Fische hautnah zu erleben und um Siphone, unter Wasser stehende Höhlenteile, erforschen zu können. Als einer der sehr wenigen Unterwasserspeläologen des Landes wurde er Anfang der 1990er Jahre in das Team des berühmten französischen Meeresforschers Jacques Ives Cousteau eingeladen, der, auf der Suche nach Spuren versunkener Festungen, das Einzugsgebiet der Donau erforschte. Szabó konnte ihm und seinem Team u.a. untergetauchte Kirchen zeigen und war dabei, als die versunkenen Ruinen der Festung Callatis entdeckt wurden. Voller Humor erzählt er, wie er die Tauchausrüstung des französischen Ozeanografen, das ihm für seine Forschung angeboten wurde, ablehnte – sie sei nicht sicher genug, so wie die eigene, die er selbst erstellt hatte. Szabó schmunzelt, wenn er sich daran erinnert, was für ein Gelächter damals aufkam, zumal Cousteau die beste Tauchausrüstung der Welt besaß. Gerne erinnert er sich auch an das Interesse der damaligen UN-Botschafterin Soknan Han Jung, die er zu den Ruinen der Festung Callatis führte. Seit 1993 macht Jenö Szabó industrielles Tauchen, „eine sehr schwere und gefährliche Arbeit, die sehr wenige Leute im Rumänien machen”. Unterwasserarbeiten wie hydrotechnische Arbeiten an verschiedenen Dämmen, Absaugen von Sedimenten, Reinigung von Bewässerungs- und Filtersystemen oder Reparaturen von Trinkwassernetzen sind kein Vollzeitjob. Daher bleibt Zeit für seine große Leidenschaft.

Der Weinachtsbaum auf dem Grund des Sees

Vor rund zehn Jahren kaufte er ein Grundstück in Dalnic, schuf einen neun Meter tiefen Kunstsee und eröffnete ein Zentrum für Unterwasserforschung. „Der See war für Tauchkurse gedacht, damit wir nicht vom Schwarzen Meer abhängen, das weit ist und wo die Wetterbedingungen nicht immer die besten sind. Wir brauchten einen Ort, wo wir üben können.“ Anfangs bildete der hiesige Vertreter eines der ältesten Tauchverbänder weltweit, dem NAUI, Unterwasserarchäologen und Militär-, Feuerwehr- und Forschungstaucher aus, es werden hier aber auch hydrotechnische Übungen durchgeführt. Mittlerweile lernen hier Abenteuerlustige aller Niveaus aus dem In- und Ausland und können mit der erlangten internationalen Tauchlizenz überall in der Welt tauchen. Und das, nicht nur, um Korallenriffe zu bewundern, sondern auch, um diese durch Film und Video zu verewigen. Ein Projekt, das Szabó am Herzen liegt, ist die Erforschung der schwimmenden Inseln auf der Wasseroberfläche, die das Wasser filtern. In seinem See hat er mehrere solche Inseln und beobachtet ihre Wirkung auf die Natur.

Sein Sohn Kolos, 26 Jahre alt, ist schon von Kindesbeinen an in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hilft ihm beim Tauchzentrum. Im Sommer bietet er auf dem großen Grundstück auch Glamping an und setzt alle Ideen um, die ihm durch den Kopf gehen. So war bis vor wenigen Wochen eine Ausstellung mit Bärenfotos des Filmemachers und Ökologen László Gál unter Wasser zu besichtigen. Und zu Weihnachten gibt es immer einen Tannenbaum, den die Taucher unter Wasser schmücken. Es wird sogar Schach gespielt, in unter 3 Metern Tiefe. Das Herzensprojekt von Kolos ist aber die Unterwasserbrauerei, die von Mai bis September, also solange die Saison dauert, läuft. Um ein Bier in der Tiefe zu genießen, muss man allerdings an einem Einführungskurs teilnehmen. Wer es dennoch nicht schafft, das alkoholische Getränk im Wasser zu trinken, kann das an der Oberfläche machen. Das Leben voller Abenteuer faszinierte den jungen Mann schon immer, als Jugendlicher sammelte er Rapana-Schnecken aus dem Schwarzen Meer, die als Delikatesse in Restaurants serviert wurden. Und obwohl ihm der „Große Szabó”, wie Kolos seinen Vater nennt, abgeraten hatte, ebenfalls Taucher zu werden, war er nicht davon abzuhalten. Er ist ständig unterwegs, taucht in den Meeren und Ozeanen der Welt, hat Tag für Tag neue Erfahrungen.

Heilung im Wasser

„Der Große Szabó“ hat durch seine langjährige Erfahrung mit Delfinen eine weitere Leidenschaft entdeckt: Therapie durch Wasser. Er hat am eigenen Leib erfahren, welches Heilpotenzial der Kontakt mit dem Wasser auf die Gesundheit des Menschen hat. So rief er 2017 das Departement für Spezielle Therapien ins Leben. Durch drei Arten von Therapien kann er vor allem Kindern mit geistigen Behinderungen oder hörgeschädigten Patienten helfen. Als „Doctor Pe{ti{or“ (Doktor Fischlein) setzt er im Wasser Fische und Musik, wie auch Elemente der Hydrotherapie ein, die zur Linderung der Symptome auch bei Patienten mit Störungen aus dem autistischen Spektrum oder ADHS führen können. Auch Personen mit sensorischen und körperlichen Beeinträchtigungen, mit Kommunikationsstörungen und anderen Arten von speziellen Bedürfnissen tut die Wassertherapie gut. Bei der Wassermeditation liegt der Patient in einer Wanne im See und hört Musik in einer bestimmten Frequenz. Die sich bildenden Schallwellen haben einen positiven Einfluss auf dessen Psyche und wirken beruhigend. Die Heilungsmethoden testete Szabó gemeinsam mit einer Forschungsgruppe vom Nationalinstitut für Balneoklimatologie in Bukarest. Es wurde beispielsweise festgestellt, dass chronisch Kranke, die wegen der Schmerzen arbeitsunfähig waren, nach der Wassertherapie endlich wieder ihren Diensten nachgehen konnten. Sogar bei Patienten mit zerebraler Lähmung wurden Verbesserungen festgestellt. Die Arbeit mit Kindern und Erwachsenen macht der Taucher auch in Sankt Georgen, verhilft ihnen, den Stress zu reduzieren, besser zu schlafen und sich besser zu konzentrieren.

Anfang September ist die Tauch-Saison zu Ende gegangen, das Wasser im See ist viel zu kalt. Wir versprechen Jenö Szabó, im Mai wieder zu kommen. Denn ein Bier unter Wasser wollen wir unbedingt trinken.

Kochen mit viel Herz

„Meine Mutter will wissen, was hier so gut riecht.“ Der Junge im Trainingsanzug ist auf die Terrasse des Restaurants „Ca la mama acas˛“ (deutsch: Wie bei Mama zu Hause) in Covasna gekommen und schaut Tante Maria, die Inhaberin, fragend an. Tatsächlich liegt an diesem warmen Septembernachmittag ein spezieller Geruch in der Luft. Es duftet nach frischem Teig. Und nach einer Küche, in der die Mutter gerade gekocht hat. Es ist Geruch der Treppenhäuser aus der Kindheit. Der Geruch, der manchmal aus offenen Küchenfenstern bis auf die Straße gedrungen ist. Ein Geruch nach Zuhause und Geborgenheit. „Das ist Pizza“, sagt Tante Maria und lächelt. Der Pizzaofen wurde erst vor ein paar Monaten angeschafft. „Der Preis war viel zu gut und wir dachten, warum nicht, versuchen wir es mal“. Seit 20 Jahren führt die 75-jährige das Restaurant in der Școlii-Straße 31, das sie von ihrem Vater geerbt hat. Ihre Mutter hat sie früh verloren, mit Anfang 20. Und vielleicht war das auch der Grund, dass sie eine sehr enge Beziehung zu ihrer ungarischen Schwiegermutter hatte. Die ihr auch beigebracht hat, szeklerische Gerichte zu kochen.

Seit der Eröffnung des Lokals „Ca la mama acasă“ im Jahr 2004 hat sich hier nichts mehr geändert. Die Tische und Stühle, das Besteck, die Tischdecken und Dekorationen sind dieselben geblieben. Wir haben gerade ein Gericht bestellt, das „Szeklerisches Goulasch“ heißt: Rindfleisch mit Sauerkraut, Rahm und Dill, das im Mund zergeht. Eine Riesenportion. Die wenig kostet und himmlisch schmeckt. Obwohl wir satt sind, bestellen wir noch Papana{i zum Dessert. Eine gute Entscheidung – sie sind luftig, saftig und lecker. Am Ende können wir uns eine zeitlang nicht vom Fleck rühren. Aber wir sind glücklich. Die Klischee-Behauptung „Liebe geht durch den Magen“ ist wahr.

Die Speisekarte ist von Hand geschrieben und mit der Kopiermaschine multipliziert

„Ihr müsst unbedingt nach Covasna, zu Tante Maria“, hatte uns eine Freundin begeistert erzählt. Am Anfang waren wir ein wenig skeptisch. Das schlichte Lokal liegt etwas versteckt zwischen mehreren Häusern und Wohnblocks und schaut aus wie ein einfaches Dorfrestaurant. Der Kellner Marius bringt uns eine Speisekarte, von Hand geschrieben und mit der Kopiermaschine multipliziert. Es sind traditionelle Speisen aus Siebenbürgen, die Pizza kam neulich dazu. Und dann tritt Maria an unseren Tisch und spricht mit uns, als ob wir uns seit Jahren kennen würden. Sie unterhält sich mit allen ihren Kunden. Denn alle Menschen, die das Restaurant betreten sind Gäste, die sie in ihr Haus eingeladen hat. Und seine Gäste muss man kennen. Heute ist Dienstag und es sind nicht viele Leute da. Aber an den Wochenenden sind alle Tische reserviert. Es kommen die Touristen, die in den Hotels in Covasna eine Kur machen, es kommen ganze Familien zum Mittagessen, aus Kronstadt und Umgebung, aber auch von viel weiter entfernt. Viele sind schon seit der Eröffnung des Restaurants Stammkunden. Doch nicht nur das köstliche Essen lockt sie nach Covasna. Sie wollen auch Maria besuchen. Die Restaurantinhaberin zeigt uns die Blumentöpfe, die mehrere Tische schmücken. „Alle sind von meinen Kunden, zu meinem Namenstag am 15. August habe ich sie bekommen“,sagt sie stolz. Sie erzählt uns von einer Frau aus Kanada, die ihr immer eine Weihnachtskarte schickt und einen 100 Dollar-Schein hineinsteckt.

Früher, während des Kommunismus, hat Tante Maria im Büro einer Fabrik gearbeitet. Als die Fabrik geschlossen wurde, fing sie an, Krapfen für die Kinder aus der nahe gelegenen Schule zu backen. Dann kamen die szeklerischen Gerichte hinzu, die sie von ihrer Schwiegermutter kennt. Und dann hat sie das ehemalige Wohnzimmer des Hauses in ein Restaurant verwandelt. Das sie mit traditionellen szeklerischen Wandteppichen und Puppen in rumänischer Tracht geschmückt hat. Es sieht multikulturell aus, so wie die Kleinstadt Covasna, wo Ungarn und Rumänen zusammenleben.

Das Lokal läuft an den Wochenenden auf Hochtouren, es finden oft private Veranstaltungen statt und Catering bietet Tante Maria auch an. Von morgens bis abends ist sie im Restaurant, arbeitet mit den Köchinnen, unterhält sich mit den Leuten. An ihrem Restaurant will sie nichts ändern - keine neuen Möbel, kein anderes Innendesign. „Solange ich lebe, bleibt alles so, wie es ist, danach können meine Kinder machen, was sie wollen, ich werde das dann nicht mehr sehen“, sagt sie fest überzeugt. Eines ihrer Enkelkinder ist jeden Sommer da und hilft ihr im Restaurant. Ihre beiden Söhne unterstützen sie, haben aber andere Interessen. Ohne sie läuft das Restaurant nicht. Trotz einer schweren Operation am Rücken ist sie Tag für Tag im „Ca la mama acas˛“ und freut sich über jeden Besuch. Nachdem man einmal hier gegessen hat, merkt man es: wer einmal herkommt, kommt immer wieder. Maria braucht keine Werbung, kein Facebook oder Instagram. Das Gerücht, dass hier das vielleicht beste Essen in der Region gekocht wird, hat sich jahrelang von Mund zu Mund verbreitet. Und die besten Dinge findet man nicht auf Tripadvisor, auf Facebook oder Instagram. Man findet sie manchmal auch in einer abgelegenen Straße in Covasna. „Ich pack euch noch eine Pizza ein, für den Abend. Calzone schmeckt ausgezeichnet“, sagt Maria. Wir bedanken uns, müssen aber ablehnen. Bis am nächsten Tag werden wir sicher nichts mehr essen können. Und die Pizza werden wir beim nächsten Mal ausprobieren. Denn es gibt immer ein nächstes Mal, wenn man einmal bei Maria war.