In den meisten Familien wird viel zu wenig miteinander geredet. Gefühle werden nicht ausgesprochen, über viele Themen wird geschwiegen, man schildert den Kindern und Enkelkindern viel zu wenig von seinen eigenen Erfahrungen und Erlebnissen. Außer denselben drei-vier Anekdoten, die Jahr für Jahr am Festtisch erzählt werden, außer den paar Schwarz-Weiß-Fotos mit unbekannten Gesichtern im Familienalbum oder ein paar Briefen und Ansichtskarten aus vergangenen Zeiten weiß man nur wenig von seinen Vorfahren.
„Gerne hätte ich mehr über meine Vorfahren gewusst, wie ihr Leben verlaufen ist, wie sie aussahen, woran sie sich erfreuten“, schreibt Alfred Schadt in seinem Buch „Zwischen Heimat und Zuhause. Betrachtungen eines Ausgewanderten“. An diese Aussage können sich viele anschließen. Wieviele Leute wissen, wie ihre Großeltern und Urgroßeltern in ihrer Jugend waren, welche Träume sie hatten, welchen Lieblingsbeschäftigungen sie nachgingen, wie sie die schweren Zeiten während der historischen Umbrüche durchgemacht haben?
In vielen Familien nimmt das nicht Erzählte viel mehr Platz ein als das Erzählte. Und schafft Lücken in der eigenen Biografie. Doch wie füllt man diese Lücken? In seinem autobiografischen Band, der vier Jahre nach dem Buch „Verba volant.Scripta manent“ erschienen ist, schreibt Alfred Schadt, dass er anhand von Büchern versuchte, die vergangenen Zeiten zu verstehen. Und nun schreibt der 1950 in Kronstadt geborene ehemalige Gymnasiallehrer und Chefredakteur der Neuen Kronstädter Zeitung selbst Bücher über seine Erfahrungen. Weil er es als Pflicht sieht, diese Erfahrungen an die nächsten Generationen weiterzugeben. Solche Bücher füllen Lücken. Und helfen, uns besser kennenzulernen. In Schadts Bücher geht es um das Leben im kommunistischen Rumänien, über die Erfahrung der Migration und die Anpassung an das Leben in der Fremde. Sein Leben, wie das Leben jedes Ausgewanderten, spielt sich in zwei Welten ab: Siebenbürgen und Deutschland. Wo befindet sich aber die Heimat? Was bedeutet Heimat eigentlich? Und was bedeutet das Zuhause?
Im ersten Teil des Buches, „Daheim”, schildert der Autor seine Erinnerungen aus dem Leben in Rumänien, erzählt von seiner Kindheit und Jugend im Bartholomäer Viertel. Denn „Heimat” bedeutet für viele der Ort, wo man geboren wurde und wo man zum ersten Mal das Gefühl von Zugehörigkeit und Geborgenheit empfand.
Die Welt eines Kindes ist klein. Sie besteht zuerst nur aus dem Haus und der Familie, dann erweitert sich die Welt mit der Straße und dem Viertel, in dem man aufwächst, mit Eltern und Großeltern, Großfamilie, Nachbarn. Dann wird die Welt immer größer. Der Autor erkundete sie durch Skifahren, Fahrradtouren, Bergwanderungen und Reisen durch das Land. Später machte er die wertvolle Erfahrung, dass auch Menschen ein „Zuhause” sein können, wo immer man sich in der Welt befindet. Besonders ergreifend wird es, wenn Schadt von seinem Kindheitsfreund erzählt und von der Nacht vor seiner Ausreise nach Deutschland, als die zwei jungen Männer Zukunftspläne schmiedeten und sich ihr weiteres Leben ausmalten. Es dauerte fast zwei Jahrzehnte, bis sie sich wiedersehen konnten. Eine Freundschaft, die Jahre der Trennung durch den Eisernen Vorhang überstand und bis zum frühen Tod des Freundes dauerte. Bei den Freundschaften, die später in Deutschland entstanden, sollte es ganz anders sein. Denn, so wie der Autor sagt, gab es keine gemeinsame Vergangenheit.
Im zweiten Teil des Buches wird das Leben in Deutschland, der „schönen Neuen Welt“ beschrieben.
In seiner Phantasie hatte es ganz anders ausgesehen als in der real existierenden Welt, wo man sich oft als „Fremder unter Fremden” fühlen musste und anfangs nur „wahrgenommen, aber nicht aufgenommen” wurde.
Auch sein Akzent machte ihn zum Fremden. Zum Beispiel dann, als er seine Deutschkenntnisse durch Einsetzübungen von der, die, das unter Beweis stellen musste, nach deutschsprachigem Abitur und fünf Semestern Germanistikstudium. „Ich war nicht bereit, meine Sprache aufzugeben, ich blieb meinem rollenden R treu”. Denn auch die Sprache bedeutet Heimat. Und heute noch gibt es Situationen, schildert Schadt, in denen ihm attestiert wird: „Sie sprechen aber gut Deutsch”. Das Gefühl, dass er in diesen Situationen hatte, können sehr viele nachvollziehen. Die meisten kennen die Frage, die einem dauernd gestellt wird: „Wieso kannst Du so gut Deutsch?”
Und dann, bei der ersten Reise nach Kronstadt nach der Auswanderung war auch hier plötzlich alles fremd: die Wohnungen rochen anders, die Straßen hatten sich verändert, die Gespräche mit Freunden fühlten sich plötzlich oberflächlich an.
„Ist Heimat der Ort, an den man rückkehrt und nirgends so ist, wie in der Erinnerung? Oder ist Heimat nur Erinnerung, die wir uns zurechtgelegt haben?“
Für „Heimat“ und „Zuhause“ hat jeder seine eigene Definition. Denn für jeden bedeuten diese Begriffe etwas anderes. Alfred Schadt konnte nur in der Ferne erfahren, was Heimat für ihn bedeutet.
„Heimat ist kein bestimmter Ort, es ist unsere Sehnsucht nach einem inneren Einklang mit der Welt, an dem man aufhört, wegzulaufen, und bei sich selbst ankommt“.
Das Buch „Zwischen Heimat und Zuhause. Betrachtungen eines Ausgewanderten“; Berlin 2024, 70 Seiten, 7 Euro , zzgl. Versand kann bei: Alfred Schadt, Giselherstr. 19, 16321 Bernau bei Berlin, bestellt werden. E-Mail: schadtalfred@gmail.com
Telefon: (03338) 7092910 oder (0160) 4375767,
Das Buch ist auch in der Aldus-Buchhandlung in Kronstadt erhältlich.