Bis zum „Blick aus dem Arbeitszimmer“ von 1826, dem ältesten erhalten gebliebenen Foto von J.N. Niepce reichten die bildlichen Zeugen, Zeichnungen und Gemälde. Danach kamen die Fotos, die von der Glasplatte über den Rollfilm bis in das digitale Zeitalter entstanden sind. Für Kronstadts fotografisches Erbe setzt sich 2010 die Filiale des Architektenordens ein und sammelt Bildmaterial, welches jährlich in einer Ausstellung dem breiten Publikum vorgestellt wird. Abrufbereit im Internet ist aber der gesamte Bildbestand seit Beginn der Initiative und das sind mittlerweile an die 4000 Bilder.
Bei der Vernissage der diesjährigen Ausgabe erklärte Architekt Ovidiu Taloş, Betreuer des Projektes, dass durchschnittlich, innerhalb eines Jahres, an die 600 Aufnahmen von Kronstädtern eingehen: „Dieses Jahr jedoch haben wir Bildbeiträge auch von ausgewanderten Kronstädtern bekommen die schon seit vielen Jahren in Deutschland leben. Sachsen, welche ausgewandert sind aber nie ihre Verbundenheit zu der Stadt aufgegeben haben.“
Die Bilder der Ausstellung fügen sich wie die Teilchen eines riesigen Mosaiks zusammen und vervollständigen, zusammen mit dem vorherigen Bestand, ein gemeinsames Erbe dessen Bedeutung von dem Gastredner der Vernissage, Soziologe Ştefan Ungurean in einer sehr treffenden Weise definiert wurde:
„Ein Foto ist ein eingefrorener Augenblick, ein Anhalten der Zeit. Ein gelungenes Foto ist das, welches einen Augenblick zum Ausdruck bringt und diesen zeitlos macht. Wenn ich diese Bilder betrachte, die Bilder dieser Ausstellung so stelle ich fest, dass sie nicht mehr zum privaten Raum gehören, sie sind in den öffentlichen übergegangen und Teil einer gemeinsamen Erinnerung geworden. Wir, die Betrachter dieser Bilder, finden uns in diesem gemeinsamen Raum wieder.
Die älteren Aufnahmen haben dazu noch die oft etwas gekünstelte Pose, welche die Personen eingenommen haben, wenn sie sich vor die Kamera stellten. Ein erstaunliches Bild durch das was es vermittelt, ist eine gestellte Aufnahme mit Menschen welche an einem Aufmarsch teilgenommen hatten und ein Erinnerungsfoto machten. Zu ihren Füßen stehen zwei solche Bilder die getragen werden mussten: eines mit Gheorghiu Dej und eines mit Lenin. Achtung: mit Lenin und nicht dem Vater der Völker, Stalin. Denn Gheorghiu Dej war der letzte Stalinist dem es gelungen ist, lebend davon zu kommen. Alle anderen Stalinisten sind spätestens 1956 beseitigt worden und Dej konnte sich nicht mehr als Stalinist hinstellen, also wurde damals wieder Lenin hervorgeholt, den Stalin vorher entfernt hatte. Übersehen wir den Tag und das Jahr als das Bild entstanden ist, betrachten wir es als festgehaltenen Augenblick, so haben wir diese beiden Personen die sich zeitweilig als Herrscher über Schicksale gerierten und die Beteiligten am Aufmarsch die sie stolz getragen haben.
Alles aber in einer Ecke des Marktplatzes, wo den Hintergrund die Schwarze Kirche bildet, das tatsächliche Symbol der geistlichen und geistigen Ewigkeit! Es ist ein erstaunliches Bild durch das, was es uns heute vermittelt. Bewusst oder eher unbewusst ist damals ein Bild entstanden welches den zeitweiligen und vergänglichen menschlichen Ehrgeiz von Kleingeistern, Lenin und Dej, der tatsächlichen Zeitlosigkeit, der sich im Hintergrund abzeichnenden Kirche gegenüber stellt! Ein ebenso beeindruckendes Foto ist auch ein Schnappschuss mit Plattenbauten, dem Urtyp des Eingeschlossenen, des Gefängnisses, wo das abgebildete Viertel zu einem Großgefängnis wird. Die Frage, die ich mir heute stelle, wenn ich das Bild betrachte, ist, ob ein so eingeschlossener Gefangener sich irgendwann geistig befreien kann und Vivaldi genießen kann? Ich glaube eher nicht“.
Ştefan Ungurean ist Univ. Doz. an dem Lehrstuhl für Soziologie der Transilvania-Universität Kronstadt; eines seiner Studienthemen ist der Urtyp des Kronstädter Gelehrten im Mittelalter.
Die Ausstellung vor dem Katharinentor kann bis zum 25. Oktober besichtigt werden, danach werden alle Bilder, auch die der fünf vorherigen Ausgaben unter der Adresse: http://orasulmemorabil.ro/category/blog/ zu sehen sein.