Jahre hindurch zählte zu unseren fast täglichen Gästen in der Redaktion Dipl.-Ing. Architekt Günther Schuller, der uns nicht nur Eindrücke zu in unserer Wochenschrift erschienenen Beiträge vermittelte, sondern auch Berichte und Vorschläge bezüglich des Zustandes der historischen Baudenkmäler verfasste und Eindrücke aus seinen Jahren in der Russlanddeportation auch schriftlich zwecks Veröffentlichung hinterließ. Nach Gründung des Demokratischen Forums der Deutschen im Kreis Kronstadt (DFDKK) wurde er auch Begründer des Verbandes der ehemaligen Russlanddeportierten und er setzte sich für die Straßenbenennung nach 14 siebenbürgisch-sächsischen Persönlichkeiten in Kronstadt ein. Unzählige mit ihm geführte Gespräche als Redakteur der Heimatkundeseite, von ihm gezeichnete Beiträge zur Stadtgeschichte, die wir im Laufe der Jahre veröffentlichten, bleiben als Zeugnis der Persönlichkeit dieses Kronstädters mit Leib und Seele, dessen irdisches Leben am 14. Juli 1995 zu Ende ging.
Geboren wurde Günther Schuller als Sohn des Architekten Albert Schuller am 10. Oktober 1904 in Kronstadt. Er besuchte die Honterusschule in Kronstadt, um sein Fachstudium an der Technischen Hochschule in München zu absolvieren und mit bestem Ergebnis abzuschließen. Er erhielt schon vom Vater die ersten Anleitungen in dem Bereich des Denkmalschutzes und der Liebe zu der Kronstädter Bausubstanz. Nach Abschluss seines Studiums wirkte er anfangs als Sachverständiger bei einer Versicherungsgesellschaft. So wie tausende Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben entging auch er nicht dem Los der im Januar 1945 vorgenommenen Deportation zur Zwangsarbeit in die ehemalige Sowjetunion. In Folge eines schweren Arbeitsunfalls kehrte er als Schwerbehinderter im Juli 1948 ohne den rechten Arm in seine Heimatstadt zurück. Drei Monate später starb am 27. Oktober 1948 sein Vater Architekt Albert Schuller, schwer geprüft von mehreren Schicksalsschlägen: Enteignung des Familienhauses, der Tod seines 35-jährigen Sohnes in einem Kriegslazarett in Prag, die Deportation auch der anderen beiden Söhne Norbert und Albert, des Armverlustes des Sohnes Günther. Arch. Günther Schuller fand beim Kronstädter Entwurfsinstitut eine Anstellung, schließlich beim Kreisamt für Architektur und Systematisierung bis zu seinem Rentenantritt. Er setzte er sich besonders für die Durchführung von Projekten im Bereich der Restaurierung von Baudenkmälern in der Inneren Stadt ein, wie die Graftbastei (1976), Hirscherhaus, alter Rathausturm, Waisenhausgässer- und Katharinentor (1971/1974), Weißer (1974/1975) und Schwarzer Turm. Mehrere dieser historischen Bauten erlitten Schäden durch das Erdeben vom 4. März 1977. Für deren Beseitigung setzte er sich in seinen Ämtern beim Projekt-Institut und dem für Denkmalschutz ein, machte Vorschläge, entwarf Projekte, die nicht immer auf Verständnis gestoßen sind. Voll involviert war er auch in das Restaurierungsprojekt der Schwarzen Kirche, nicht nur als Fachmann, sondern auch als Kirchenvater, Mitglied der Leitung der Honterusgemeinde. In seinen Dokumentationen für die erforderlichen Restaurierungsarbeiten hat er nicht nur technische Anleitungen geboten, Zeichnungen mit Details dafür entworfen, sondern auch kompetente Meinungen geäußert. Eine Sammlung dieser Arbeiten, sowie einige Beiträge anderer Autoren erschienen Jahre später in dem Sammelband „Kronstadt Kaleidoskop einer Stadt im Südosten 1211 – 1988“ im Verlag H.K.Transilvania-Stiftung 1998 in Hermannstadt.
Einer besonderen Ehrung konnte sich Architekt Günther Schuller 1983 erfreuen, als ihm der Gottfried-von-Herder-Preis verliehen wurde. Alljährlich von der Universität Wien auf Beschluss des unabhängigen Kuratoriums und der Stiftung Freiherr-vom-Stein (FVS) Hamburg wird dieser laut Satzung „der Pflege und Förderung der kulturellen Beziehungen zu den ost- und den südosteuropäischen Völkern gewidmet“. Mit diesem können Persönlichkeiten aus den sieben Ländern im Bereich Malerei, Musik, Bildhauerei, Architektur, Volkskunde und Denkmalpflege ausgezeichnet werden, die zum Erhalt und Mehrung des europäischen Kulturerbes beigetragen haben. In der ihm gewidmeten Laudatio wird festgehalten, dass er sich „mit profunder Kenntnis der Baugeschichte und handwerklichen Techniken, wie mit künstlerischer Begabung, der Erhaltung und Erneuerung zahlreicher Baudenkmäler Kronstadts“ gewidmet hat. Mehrere besondere Persönlichkeiten auch Rumäniens wurden vor ihm mit diesem Preis ausgezeichnet, wie Marin Sorescu, Ana Blandiana, R˛zvan Theodorescu, Tudor Ar-ghezi, Constantin Daicoviciu, Zoltan Franyo, Virgil V˛t˛{ianu u.a. „Mit der Auszeichnung von Herrn Schuller durch den Herderpreis bezeugen wir unsere Hochachtung vor der menschlichen und fachlichen Leistung, die er in mannigfaltiger Weise als Architekt in Kronstadt erbracht hat“, heißt es weiter in der Laudatio. Laut Satzung hat jeder Herderpreisträger das Recht, einen begabten jungen Künstler seines Landes für eine Hospitation vorzuschlagen. Arch. Günther Schuller nominierte den jungen Kronstädter Grafiker Ortwin Weiss, der auch in unserer Redaktion zwischen 1980 und 1982 als Grafiker tätig gewesen ist. Die mittelalterlichen Verteidigungsanlagen der Stadt waren es – die Stadtmauern, die ehemaligen Stadttore, die Wehrtürme: diesen widmete sich Günther Schuller ständig, indem er deren Zustand im Auge behielt, bei kleinsten Schäden die Stadtbehörden, die Kommission für Denkmalschutz auf deren Situation aufmerksam machte. Der Weiße und der Schwarze Turm am Raupenberg lagen dem Architekten besonders am Herzen. Nach der Restaurierung des Weißen Turms wandte er sich mit Dokumentationen bezüglich des immer schlechteren baulichen Zustandes des Schwarzen Turms an die zuständigen Behörden. Sein Vorschlag, diesen mit einem Glasdach zu versehen, fand schließlich Gehör und wurde durchgeführt. Seine Schriften, die er entworfen hat, widmeten sich auch Persönlichkeiten der Stadt. Nach der politischen Wende 1989/1990 sah er den Zeitpunkt gekommen, sich für die Rechte der ehemaligen Russlandeportierten einzusetzen. Auf seine Initiative hin wurde der Kronstädter Verband der Russlandeportierten gegründet, die erforderlichen Akten für Entschädigungen wurden von Ada Teutsch an den Verband der politischen Häftlinge geleitet. Das große Treffen der ehemaligen Russlanddeportierten 1991, organisiert in Neustadt mit rund 700 Teilnehmern und zahlreichen Persönlichkeiten, ist in die neuere Geschichte unserer Bevölkerung eingegangen. Im Januar 2025 bei den 80-jährigen Gedenkveranstaltungen der Deportation wird an den damaligen Willkürakt erinnert werden.