Geschichten zum Verkauf 

Ein Besuch auf dem Kronstädter Flohmarkt

Es ist Sonntag. Manche Menschen verbringen den Sonntag damit, sich auf die nächste Arbeitswoche einzustimmen. Andere wollen jede Minute des bald endenden Wochenendes nutzen und treiben Sport oder treffen sich mit Freunden. Ich mache mir solche Gedanken meist gar nicht und lasse auf mich zukommen, was der Tag mit sich bringt. Nicht aber heute, da habe ich mir fest vorgenommen, auf den neuen Flohmarkt in der Nähe des Lidl-Supermarkts auf der Honigberger Straße zu gehen.

Der erste Blick aus dem Fenster lässt alle Hoffnungen, heute eine schicke Kappe oder eine alte Filmkamera zu ergattern, mit den Wassermassen im Ablaufschacht versickern. Ich kann mir kaum ein Flohmarkt-unfreundlicheres Wetter vorstellen. Trotzdem verlasse ich mich auf mein Glück und steige mittags in den Bus Richtung Trödelmarkt. Als ich vor dem Eingang stehe, klebt mir meine dünne Hose kalt an den Beinen, und meine Jacke hängt mit gefühlt zwei Kilo mehr von den Schultern. Aber: Der Flohmarkt ist geöffnet und sogar überdacht! Die „Eingangshalle“ ist rechts und links mit Containern begrenzt, welche mit einem blauen Plexiglasgewölbe abgedeckt sind. Das wenige, gebrochene Licht, das vom grauen Himmel durch die blaue Decke scheint, lässt den Markt wie eine Unterwasserwelt wirken.

Der Trödel ist entweder auf Verkaufsständen ausgestellt, in Pappkartons sortiert oder steht einfach auf dem Boden. Es ist nicht sehr voll; die Besucher schlendern ohne Ziel durch die Gänge oder stehen gebückt über einem Karton. Die Auswahl ist riesig: ein Meer aus kaputter Elektronik, aussortierten Möbeln und ungeliebten Spielsachen. Mittendrin ich, der mit leuchtenden Augen einen Karton nach dem anderen durchsucht.
Beim Wühlen in einer Kiste voller alter Mützen stoße ich auf einen seltsamen, flauschigen Schal. Als ich die rote Fellwurst genauer betrachte, fallen mir zwei kleine Beinchen an einem Ende des Schals auf. Am anderen Ende, wo ich nach kurzer Überlegung den Kopf des armen Tieres vermute, finde ich ebenfalls zwei Beine. Als ich mich bei der Frage ertappe, ob der Schal aus einem Tier gefertigt oder die Hinterteile zweier kombiniert wurden, lege ich ihn schnell wieder in die Kiste zurück und setze meine Schatzsuche fort.

Schätze gibt es genug. Ich stelle mir vor, wie die alten Schallplatten auf den noch älteren Plattenspielern geklungen haben müssen, und blättere durch Fotoalben mit Erinnerungen, die irgendjemand vermissen muss. Ein Karton ist bis über den Rand gefüllt mit Ordnern. Sie sind beschriftet mit: „Deutschland“, „Österreich“, „Schweiz“. In ihnen, fein säuberlich eingeklebt, mit zusätzlichen Informationen und Datum versehen, befindet sich eine unzählige Menge an Briefmarken. Es muss jemandes Lebenswerk gewesen sein, denke ich mir.

Wenn ich nicht wüsste, wo ich bin, und man mir sagen würde, ich befände mich auf einem deutschen Flohmarkt, würde ich keinen Moment daran zweifeln. An jedem Stand, in jeder Kiste finde ich Gegenstände, die sich vor nicht allzu langer Zeit in einem sächsischen Haushalt befanden. Kinderbücher, die auf Deutsch vorgelesen wurden, Bilder, die eine Landschaft in Deutschland zeigen, und eine eingerahmte, selbstgezeichnete Karte einer Gemeinde in Baden-Württemberg. Es fühlt sich an, als stünden hier keine Gebrauchtwaren zum Verkauf, sondern die Geschichten vieler Familien.