Über die musikalische Tradition Kronstadts und dessen Hauptfiguren hat man ohne Zweifel viel berichtet und es wurde oft zu den verschiedensten Anlässen geschrieben. Weniger bekannt, dafür aber gar nicht weniger nennenswert, ist Frau Edith Schlandt. Auch weil sie es nie mochte, im Rampenlicht zu stehen. Doch die hingebungsvolle Frau und Mutter, die begabte Erzieherin und die äußerst originelle Schneiderin kann der jüngeren Generation etwas mitgeben. Anlässlich ihres 80. Geburtstages führte KR-Redakteurin Cristina Ciubotaru ein Interview mit ihr. Gleich bei der Ankunft in ihrem Haus konnte man sofort Klavierspiel und bald danach Kinderstimmen hören – unerlässliche Zutaten zu einem Gespräch über Leben und Wirken, Vergangenheit und Zukunft.
Liebe Frau Schlandt, erzählen Sie uns über Ihre Kindheit und Jugend, über das Kronstadt, in dem Sie aufgewachsen sind.
Eigentlich bin ich gar nicht in Kronstadt geboren. Wegen der Bombenattacken im Jahr 1944 ist meine Mutter noch vor meiner Geburt nach Hermannstadt ins Luther-Sanatorium gefahren. Ich kam nach sechs Tagen nach Hause. Ich habe in der Oberen Vorstadt gewohnt. Wir kannten uns alle. Und da war so eine Verbindung zwischen den vielen Kindern, dass sie sich von einem Haus zum anderen über die Dächer gerufen haben: „Kommst du zum Schwimmen um 5 Uhr?“ Und der andere antwortete: „Nein!“. Und wir hörten natürlich alles mit. Wir Kinder haben uns frohe Stunden gemacht, wenn es den Eltern auch schwer war, sich um unser leibliches Wohl zu kümmern. Ich habe in diesen Jahren nichts vom Kommunismus erlebt. Ich wurde weder irgendwo bedrängt noch ausgehorcht. Meine Eltern, soviel ich weiß, auch nicht; so wäre das also für mich kein Grund gewesen, dieses Land in Grund und Boden zu schimpfen. Es waren immer wunderschöne Skiausflüge, Rodeln, Tanzunterhaltung. Wir waren verschont.
Ich bin ganz stolz, dass ich in Hermannstadt geboren wurde, weil ich Hermannstadt nachher lieben gelernt habe, dadurch, dass ich dort sechs Jahre in die Schule gegangen bin – von der 7. bis zur 13. Klasse. Die schönste Zeit haben wir in der Jugend erlebt, an der pädagogischen Schule. Es waren sehr gute Lehrer, die damals die Methodik entworfen haben. Das hat man dann übernommen und auch selbst in die eigene Arbeit eingebaut.
Freundschaften aus der Zeit sind geblieben – über 60 Jahre lang. Wir waren vier Freundinnen aus derselben Klasse. Damals haben wir einen Schwur abgelegt: „Wir sind der SNEG: Suse, Nolli, Edith, Gerlinde!“ Wir haben ein Messer auf den Tisch gestochen und sind nachher herumgetanzt. Bis heute sind wir uns nahe geblieben. Wir haben in den letzten 10 Jahren immer gemeinsame Urlaube gemacht. Hermannstadt hat Früchte getragen. Das hat die Jugend an sich, die Kraft der Beziehungen, die sich dann binden.
Was wissen Sie über die Wurzeln Ihrer Familie, über die Ahnen, Vorfahren und Großeltern?
Mein Großvater, der Vater meiner Mutter, ist Anfang des 20. Jahrhunderts, oder kurz davor, nach Russland gewandert, gleichzeitig mit anderen, die zur selben Zeit nach Amerika gefahren sind, um bessere Lebensbedingungen zu haben. Er hatte eine kleine Lack- und Farbenfabrik. Sie wurden dann zu Beginn des Krieges wieder nach Hause geschickt.
Wenn die Mutter etwas der Großmutter erzählen wollte, was wir nicht verstehen sollten, haben sie Russisch geredet. Was zur Folge hatte, dass ich eine sehr gute Aussprache hatte. Ich wollte aber kein Russisch lernen. In der Schule war das eine Qual. Allgemein bestand die Meinung, dass diese Sprache mit einem politischen Hintergrund kam. Und das war uns widerwillig.
Der Vater meines Vaters, Mildner, war im Militärdienst. Alle seine sieben Kinder wurden an einem anderen Ort geboren. Mein Vater war bei der Kadettenschule in Hermannstadt ausgebildet und hat dann beim rumänischen Militär gearbeitet. Die Eltern haben damals nicht viel erzählt und Kinder haben auch nicht gefragt.
1950, in sehr schlechten Zeiten, holte man meinen Vater von der Arbeit ab und sperrte ihn für vier Jahre ein. Seine Heimkehr aus dem Gefängnis ist mir heute noch klar eingeprägt.
Dann arbeitete er weiter als Handwerker. Er hatte eine große Hobelbank und ich stand, ohne gerufen zu werden, neben ihm und erinnere mich, dass ich ihm alles zur Hand reichte. Er hat uns auch sehr oft gezeigt, wie er seine Schilder malte. Damals gab es ja noch Glasschilder in Spiegelschrift, denen man dann mit einem runden Pinsel den Hintergrund rot tupfte. Von ihm habe ich das handwerkliche Geschick geerbt. Von meiner Mutter die künstlerische Ader.
Wie haben Sie die Monate vor und nach dem Fall des Kommunismus erlebt? Haben Sie Erinnerungen von damals?
Ich kann mich erinnern, dass wir Soldaten auf Panzern sahen. Und – auch jetzt noch bekomme ich Gänsehaut – Leute, die ihnen weiße Nelken gaben. Das hat mich sehr beeindruckt. Wir dachten: Es gibt keine Kommunisten mehr! Was ja nicht stimmte.
Wieso sind Sie nach der Wende in Rumänien geblieben?
In der Familie war die Einstellung: man bleibt vorläufig, denn man hat eine Verantwortung, man hat diese wunderschöne Orgel. An unserem Hochzeitstag gingen wir immer in die Kirche und ich habe gehofft, dass mein Mann einmal sagt: „Du, jetzt ist es an der Zeit. Jetzt gehen wir!“ Er hat nichts gesagt. Aber ich hätte es mir gewünscht. So lange hat er nichts gesagt, bis ich dann nicht mehr fahren wollte. Ich wäre gegangen, weil ich auch etwas Kreatives, richtig Handwerkliches machen wollte. Und das, hatte ich mir vorgestellt, könnte ich dort im Ausland. Irgendwie habe ich für eine Zeit empfunden, dass mir etwas vorenthalten bleibt. Aber ich bereute es bald nicht mehr.
Mein Mann ist manchmal ein sehr schlauer Mensch. In den 90er Jahren kam es dazu, dass das Pfarrer-Ehepaar Pelger Grund im Dorf Pe{tera kaufte. Ich bin dorthin mitgefahren. Es war Mai, alles blühte. Ich habe ein paar Blumen abgerissen und zu Hause meinem Mann gesagt: „Schau, diese Blumen würden auf unserem Grund blühen! Was meinst du dazu?“ Und er war schlau, denn er hat gedacht, wenn ich damit beschäftigt bin, ein Haus in Pe{tera zu bauen, wird sich meine Idee mit der Auswanderung verflüchtigen. Und es hat gestimmt. Er wusste, dass ich einen neuen Anfang brauchte. Nicht unbedingt in Deutschland.
Was für Erkenntnisse konnten Sie während Ihrer Arbeit als Kindergärtnerin sammeln, die Eltern, Pädagogen oder Lehrkräften von heute helfen könnten?
Es geht um das Wollen. Mit einem eigenen Kind werden auch die Eltern erwachsen, wenn sie sich engagieren und sich mit den Kindern beschäftigen. Das ist etwas ganz, ganz Wichtiges. Das geht auf Gegenseitigkeit über; wenn die Eltern sich Zeit nehmen, am Abend noch etwas mit den Kindern zu machen, auch nur lesen oder ein wenig an die frische Luft zu gehen.
Das Gadget ist ein Substitut, für das, was dem Kind in der Beziehung mit seinen Eltern fehlt. Und solange dieses Substitut seinen Platz gewonnen hat, wird das Kind nach dem Gadget verlangen und es suchen, denn es gibt mehr Sicherheit als das Elternteil, das aus irgendeinem Grund nicht da ist. Aber wenn man rechtzeitig Alternativen anbietet, wählen die Kinder immer die Eltern.
Das Spiel ist bei den Kindern immer ein ganz wichtiger Teil, ein großer Lernprozess. Am Anfang, wenn man Mensch-ärgere-dich-nicht spielt, ärgern sie sich jedes Mal, bis man dann dazu kommt, dass sie sich nicht mehr ärgern, dass sie total normal den anderen den Sieg gönnen und dadurch unvermerkt lernen, auch selbst mit Krisen umzugehen. Das ist dann ein Lernprozess des Spiels. Aber die Eltern sollten da mitmachen. Als Erzieher ist es wichtig, solche Anlässe zu schaffen. Das vermissen Kinder, dass man sich zu ihnen setzt und Zeit mit ihnen verbringt und ihnen Freiheit gestattet. Alle Kinder sind sehr, sehr erfindungsreich. Man muss aber ihre Kreativität fördern. Kinder sehen die Sachen anders als wir und schätzen sie anders ein. Ich gebe ein Beispiel. Meine Enkeltochter kommt zu einer Tageszeit, die nicht gerade passend für mich ist, und fragt:
„Oma, kannst du mir ein Pippi Langstrumpf-Kleid nähen?“. Zuerst habe ich gesagt: „Um Gottes Willen!!“ Aber dann bin ich gegangen und habe in sieben Minuten ein Kleid genäht. Sie ist damit in die Stadt gegangen und hat dazu verschiedenfarbige Strümpfe angezogen. Das Kleid war nicht gerade gelungen – es war zwar geschnitten, aber nicht fassoniert – aber das war ihr nicht wichtig.
Was für eine Aktivität ist besonders wichtig für ein Kind?
Es gibt im Sommer aber nicht nur, ganz viele Aktivitäten, die den Kindern gut tun:
Bewegung im Freien durch das Übernehmen kleiner Aufgaben im Garten oder das Füttern der Tiere, das Feiern thematischer Feste und das Unternehmen thematischer Wanderungen; aber auch im Haushalt kann den Kindern zum Beispiel das Auge für Ästhetik geöffnet werden, indem man ihnen das Schmücken eines Zimmers, das Decken eines Tisches oder die Vorbereitung der Kleidung für den Tag überlässt. Dabei sollte man den Kindern aber nichts vorzeigen und sie sollten stets ermutigt werden. Ein immer guter Vorschlag ist ein Besuch in einem Altenheim. Außerdem gibt es Angebote – auch von der Kirche – die hohe Qualität aufweisen. Die Kinder können zum Beispiel im Sommer in Camps gehen. Sie dürfen dort schöpferisch sein, sie dürfen ihre physische Kraft ausloten und kommen dann ganz, ganz stolz nach Hause. Solche Aktivitäten sind sehr wichtig, so lernen die Kinder auch andere Erziehungsmöglichkeiten kennen.
Welches sind Ihre Beschäftigungen und Hobbys?
Ich weiß nicht, wie dieses Alter– 80 Jahre – plötzlich da war. Ich bin sehr gut durch die ersten sieben Jahrzehnte gekommen. Und plötzlich waren die 80 da. Und was mache ich jetzt? Es geht weiter. Die Müdigkeit konnte mich nicht abhalten, trotzdem ein hektisches Leben zu führen. Und wenn man ein bisschen vernünftiger wird, wenn man den Achter vorne hat, dann heißt es, ein bisschen zu reduzieren und Sachen zu genießen. Zu genießen gibt es sehr viel. Meine Hobbys sind dieselben geblieben. Ich habe immer irgendeine Idee und Sachen, die mich interessieren. Ich kann mich auch selbst beschäftigen. Nichts ist trauriger als Zeit zu haben, aber nicht zu wissen, was man damit machen soll. Ich finde immer etwas, das mich begeistert. Sehr früh haben mich skurrile Situationen zu Karikaturen angeregt.
Sie erwähnten einmal, dass Sie in Bildern denken. Woher kommt das?
Es kommt von zu Hause und dann von meiner Schwester, die immer die beste Zeichnerin war. Das habe ich mitbekommen, aber ich habe nie gedacht, dass ich das auch machen kann. Ich war die Schwester einer begabten Schwester. Und als sie dann 1978 ausgewandert ist, habe ich auch begonnen, Kreatives zu machen. Da war ich allein. Bilder waren meine Sprache.
Nachdem ich in Rente ging, habe ich zu Hause Deutsch unterrichtet. Jedes Kind hatte ein Zeichenheft vor sich und wir haben das Besprochene gezeichnet. Sie haben zeichnend eine Sprache gelernt.
Ebenfalls erwähnten Sie, dass Sie Kleider abhängig von der Jahreszeit nähen.
Damit ich im Winter nicht schwermütig werde, tue ich etwas dagegen. Ich schaue mir die Stoffe an und überlege. Jedes Kleid sollte einen Zweck haben. Ich habe Kleider, die auf eine Bühne gehören, zur Oper oder ins Theater; oder Kleider, die auf die Straße gehören, auf einem mittelalterlichen Markt.
Es hat alles aus Anlass eines Jubiläums bei der Schwarzen Kirche begonnen. Wir dachten, mittelalterliche Kostüme zu nähen und zu diesem Anlass eine Tanzaufführung mit Musik von Carl Orff vorzuführen. Die Jugendlichen, die damals getanzt haben, hatten große Freude an den Kostümen. Und dann hat jemand, der diese Aufführung gesehen hat, gefragt, ob ich nicht für einen Chor aus Deutschland Kostüme nähen könnte. Das war 1993. Es hat großen Spaß gemacht. Danach habe ich ständig genäht - ich habe nie aufgehört.
Ich habe das auch für Rosenau gemacht, für die Burg. Es war aber total falsch, wenn man bedenkt, wie die Kleider dort getragen wurden: ich habe damals wunderschöne Kleider genäht, aber viel zu elegant. Die Leute gingen im Staub herum, trugen aber Kleider, die auf eine Bühne gehörten. Aber als „Carmina Burana“ auf dem Marktplatz aufgeführt wurde, haben die Sänger auch solche Kleider getragen. Die mittelalterlichen Kostüme haben dorthin gepasst.Inspiration finde ich in Blumen, in Farben und im Stoff selbst – natürlich auch in der Thematik eines Anlasses.
Wenn Sie einen Kleidungsstil entwerfen würden, wie wäre das?
Um etwas zu erfinden, muss ich die Person kennen. Ich muss wissen, was zur Person passt. Aber es gibt Stile, die mir gefallen und eine Mischung von ihnen trage ich auch. Eher unkonventionell, außergewöhnlich muss es sein.
Andererseits kann ich nicht nähen, wenn ich einen Stoff bekomme, der mir nicht gefällt. Es gibt also Stoffe, die nicht zu meinem Empfinden passen und ich sage dann ab. Es soll die Figur begünstigen und auch zur Figur passen, wenn der Stoff mir aber nicht gefällt, kann ich die Person nicht damit anziehen.
Sie sind ja von Kunst umgeben und waren es immer schon. Wie würden Sie Ihre Beziehung zur Kunst in einem einzigen Wort beschreiben?
Ein einziges Wort: offen.
Was würden Sie einer Person sagen, die der Meinung ist, dass man als Autodidakt nicht wirklich relevant in einer Branche sein kann?
Dass das nicht stimmt. Autodidakten haben einen inneren Ehrgeiz, einen Trieb, die einen stets nach vorne bringen. Sie sind meistens originell und haben ihre eigene Stimme, noch bevor sie sie zum Ausdruck bringen. Allerdings kannst du es als Autodidakt nicht überall schaffen – z.B. kannst du es nicht sehr weit bringen im Gesang – denn du brauchst die Gesangsschule und einen Fachmann, der dich leitet.
Wenn Sie für etwas werben würden, wofür würden Sie werben? Es kann ein Gegenstand oder ein Konzept sein.
Ich würde gerne für Neugierde stehen.
Wie feiern Sie gewöhnlich Geburtstag? War es dieses Jahr anders?
Man muss von ganz viel Glück sprechen, wenn ein Achter vorne steht. Vor Kurzem konnte ich 27 Freunde einladen. Ich habe ganz viele Bücher geschenkt bekommen und freue mich auf die Lektüre. Wir haben eine ganz besondere Zusammensetzung von Freunden, denen es allen gut geht. Alle Jahre haben wir in letzter Zeit die großen Feste zusammen gefeiert und das ist eben auch bis zu meinem 80. Geburtstag gekommen – wir feiern Geburtstage, Silvester und andere Festlichkeiten stets regelmäßig zusammen. Mal sehen, wie es weitergeht.
Wofür sind Sie dankbar?
Ich bin dankbar, dass ich acht Jahrzehnte erreicht habe. Wenn man unsere junge Familie neben uns sieht und schaut, dass sie glücklich sind, kann man von keinem größeren Glück sprechen. Das verpflichtet mich wirklich zu einer großen Dankbarkeit. Ich bin dankbar, dass ich einen gesunden Mann habe. Ich bin dankbar dafür, dass ich neugierig geblieben bin. Glück kann man nicht erzwingen, das kommt oder kommt nicht, aber man soll sorgen, dass das Unglück nicht zu viel Platz einnimmt. Ich hatte drei Herzoperationen und wurde jedes Mal gerettet. Das Geben ist nun für mich an erster Stelle. Das Empfangen macht keine Freude mehr – man muss zurückgeben. Das Bekommen hat früher Freude gemacht – als Kind – aber das Helfen, das Geben, das Bemerken einiger Sachen, die andere nicht bemerken und dann eingreifen und unterstützen zu können – das ist etwas, wofür ich äußerst dankbar bin.
Gab es einen ethischen Code, der Sie immer geleitet hat?
Wahrhaftig zu sein, aber ich habe es nicht immer geschafft. Ich habe mich bemüht.
Unter welchem Stern wurden sie geboren?
Unter einem guten Stern! Ich kann das nur laut sagen!!
Herzlichen Glückwunsch zu diesem reichen Lebenswerk und noch viele gesunde und schaffensfrohe Jahre!