Einhundert Fotografien von André Kertész sind bis Mitte Mai im Kronstädter Kunstmuseum zu sehen. Darunter auch Fotos von der Front, aus dem Paris der Zwischenkriegszeit, simple Sachfotografien wie „Die Gabel“ (1928) und die bekannten „Distortions“ (1930-1933), in denen die Modelle „verzerrt“ mit Hilfe von Spiegeln fotografiert sind.
In seinen schwarzweißen Bildern hält Kertész Alltagssituationen und „banale“ Objekte fest, die man auf der Straße oder im eigenen Wohnzimmer vielleicht gar nicht bemerken würde, die jedoch bei ihm zu künstlerischen Ereignissen werden. Kertész war ein „Dichter der Fotografie“, wie ihn bei der Ausstellungseröffnung der Direktor des Kunstmuseums, Árpád Bartha, nannte. Dabei sollte der als Andor Kertész im Jahre 1894 geborene Künstler auf Wunsch des Vaters eine Karriere im Bankwesen aufbauen.
Im Elternhaus war ihm das Fotografieren untersagt, er absolvierte zunächst die Handelsakademie und arbeitete an der Budapester Börse. Seine erste Kamera kaufte er 1912 – aus diesem Jahr stammt auch sein ältestes noch erhaltenes Foto, „Schlafender Jüngling“. Im Ersten Weltkrieg fotografierte Kertész das Kriegsgeschehen hinter der Front: Marschkolonnen, sich verabschiedende Familien, Soldaten die nach Hause schreiben. 1917 wurden seine ersten Fotos veröffentlicht. Aus der sogenannten „ungarischen Schaffensperiode“ sind in Kronstadt auch „Schwimmer unter Wasser“ (1917), „Tanzender Faun“ und „Blinder Musikant“ (1919) zu sehen.
1925 übersiedelte Kertész nach Paris, wo er seine erfolgreichste Zeit erlebte und sich mit namhaften Persönlichkeiten wie Piet Mondrian, Marc Chagall oder Sergej Eisenstein anfreundete. Er fotografierte für Illustrierte, zeigte 1927 erstmals seine Bilder in einer Einzelausstellung, lernte die anderen berühmten Fotografen des Jahrhunderts kennen: seinen Budapester Mitbürger Robert Capa, den Kronstädter Brassaï sowie Henri Cartier-Bresson.
Aus Kertész’ „Pariser Schaffenszeit“ stammen „Mondrians Brillen und Pfeife“, „Paul Armas Hände“, „Zerbrochene Scheibe“ und „Pont des Arts durch die Uhr des Institut de France“. Mitte der dreißiger Jahre wanderte der Lichtbildner in die USA aus. Er arbeitete mehr als zehn Jahre lang auch als Reklamefotograf, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Sein „europäischer Stil“ kam in Amerika zunächst weniger gut an und der Erfolg auf künstlerischer Ebene ließ bis in die sechziger Jahre auf sich warten. Kertész blieb bis zu seinem Tode (1985) in der Kunstfotografie tätig. Von ihm stammt der Satz: „Ich dokumentiere nie, ich interpretiere immer mit meinen Bildern. Ich interpretiere, was ich in einem bestimmten Augenblick empfinde, nicht was ich sehe.“
Die in Kronstadt ausgestellten Lichtbilder stammen aus der Kollektion des Ungarischen Museums für Fotografie Kecskemét, mit dem das Kronstädter Kunstmuseum seit drei Jahren zusammenarbeitet. So konnten in den vergangenen Jahren auch Brassaï- und Capa-Ausstellungen nach Kronstadt gebracht werden.