Rolf Dieter Teutsch ist einer der wenigen Kronstädter, die sich als echte Martinsberger bezeichnen können. Zusammen mit Ehefrau Erika verbringt der heute 79-Jährige ein ruhiges, aber nicht zurückgezogenes Rentnerdasein in seinem Wohnhaus, nicht weit unterhalb der Zitadelle am Schlossberg gelegen. „Mit Gottes Hilfe und Segen sind wir bisher gut durchgekommen und hoffen noch auf gute Tage“, sagt der ehemalige gelernte Installateurmeister für Wasser, Gas, Heizung und Lüftung. Die Tochter hat nach Deutschland geheiratet; der Sohn hat ebenfalls dort eine Arbeitsstelle gefunden, nachdem der Niedergang und die Auflösung des Kronstädter Traktorenwerkes ihn um seine Arbeitsstelle gebracht hatten. „Hier hab ich auch, was ich dort (in Deutschland) haben könnte“ antwortet Teutsch auf meine Bemerkung, wieso er zu der Minderheit der Nichtauswanderer gehört. Eine betagte Mutter allein in der Heimat zurückzulassen war nach 1989 ebenfalls keine Option für Rolf Teutsch.
Die Mitglieder der Honterusgemeinde kennen Teutsch auch als ehemaligen Gemeindevertreter. Weniger bekannt dürfte ihnen sein, dass ihr Mitbürger im Vorstand der Kronstädter Filiale des Vereins der ehemaligen politischen Häftlinge (AFDPR) aktiv ist. Der dreijährige (1952-1955) Zwangsaufenthalt in Raco{ war es, der Teutsch bewogen hatte, sich in diesen Verband einzuschreiben. Die Zeit in Raco{ erlebte er als Kind – die Erinnerungen daran sind trotzdem oder vielleicht gerade deshalb wach geblieben.
Racoș war die Wahl seiner Eltern als sie am 1. Mai, dem „Tag der Arbeit“ des Jahres 1952 erfuhren, dass sie binnen 24 Stunden ihr Haus räumen und umsiedeln mussten. Betroffen von dieser willkürlichen Maßnahme des kommunistischen Regimes waren be-kanntlich mehrere sächsische Familien aus Kronstadt und Umgebung. Rolfs Vater war bereits nach 1945 eine Zeit lang verhaftet gewesen, wobei die Gründe der Verhaftung unbekannt geblieben sind, vor allem da er in der rumänischen Armee gedient hatte. In Raco{ sollte Familie Teutsch weitere fünf sächsische Familien antreffen, unter ihnen jene von Erdkunde- und Naturkundelehrer Heinrich Wachner. Alle hatten sich für Racoș entschieden, da dieses Dorf auf der Liste des vorgesehenen Zwangsdomizils die zu Kronstadt nächstliegende Ortschaft war. Trotzdem dauerte die Fahrt ins rund 60 km entfernte Dorf mehrere Tage. Die erste Unterkunft für Familie Teutsch war in einer Scheune, bis im August eine bessere Wohnmöglichkeit gefunden werden konnte. Damit der kleine Rolf noch die vierte Klasse beenden konnte, musste er allein mit dem Zug nach Kronstadt fahren und erst am Abend nach Raco{ zurückkommen. Die nächsten drei Schulklassen setzten voraus, dass er möglichst schnell Ungarisch erlernte, denn es gab keine rumänische Abteilung in der Dorfschule.
1955 schrieb sich Rolf Teutsch in die Berufsschule für Installateure ein – eine Schule, die ihm als Sohn einer Familie mit Zwangsaufenthalt zugänglich geblieben war. Die Eltern sollten noch bis 1958 in Raco{ bleiben, wo der Vater, nachdem er zunächst im Steinbruch gearbeitet hatte, nun dort seinen eigentlichen Beruf als Buchhalter ausüben konnte. Im zweiten Jahr übersiedelte die Berufsschule nach Blasendorf/Blaj. Rolf sollte nach 1958 nach Kronstadt, damals Ora{ul Stalin, zurückkommen und beim späteren „Trust Instala]ii Montaj“ angestellt werden. Als junger Installateur, der später nach Fachkursen in Hermannstadt und dem Abschluss der technischen Schule in Bukarest zum Meister wurde, war Rolf an vielen wichtigen Baustellen in Kronstadt und im Lande tätig. Zunächst waren es die älteren Wohnblocks in OM (Ora{ul Muncitoresc) – die Arbeiterstadt, die im „Steagul Ro{u“-Viertel entstand, dann die ersten Wohnblocks im Tractorul-Viertel und jene, die in der Bukarester Straße gebaut wurden. Nach einem Arbeitstag, der für Bauarbeiter auch zehn Stunden lang sein kann, folgte die deutsche Abendschule – zunächst am Honterushof dann beim heutigen [aguna-Kolleg.
Teutsch kann viele Baustellen aufzählen, wohin ihn seine beruflichen Verpflichtungen brachten. Er war in Neumarkt am Mieresch bei der Ziegelfabrik, in Oderhellen bei der Zwirnfabrik, in Sanktgeorgen und Covasna und immer wieder in Kronstadt (beim Bau des Hochschulkomplexes am Galgenberg/Mühlberg, später beim Bau des Wärmekraftwerkes CET) oder im Burzenland: z.B. in Rosenau beim Chemiewerk, in Zeiden, wo es nahe von Colorom eine eigene Werkstatt des Trusts gab, beim Bau der Uzina R nahe von Marienburg, bei dem Anlegen der Wasserleitung für Colonia 1 Mai neben Wolkendorf. Viele Baustellen, viele Erinnerungen und Erfahrungen. Etwas Besonderes war der Einsatz Ende der
Stadt in der damaligen Tschechoslowakei, wo rund 300 rumänische Arbeiter ani einem Komplex und einem Hotel bauten. Es war auch die Zeit des Prager Frühlings mit ihren Unruhen, mit den Blumen und Kerzen, die an Jan Palachs Selbstverbrennung erinnerten, die über Nacht an jedem Morgen auftauchten, obwohl die Behörden sie immer sofort entfernten.
21 Jahre später trennte sich Rumänien vom Kommunismus. Gewaltsam mit Toten und Verwundeten, mit Schusswechsel, die auch Rolf Teutsch von seiner Wohnung aus mitverfolgen musste. Beruflich kamen neue Herausforderungen auf Rolf Teutsch zu. Es wurde wieder gebaut: diesmal weniger im industriellen Bereich und nicht in Arbeitervierteln. In der Schulerau entstand ein neuer Villenkomplex, in Kronstadt in der Siebgasse und am Burghals wurden Wohnblocks mit ersten Heimzentralen gebaut. Teutsch als einer der besten Installateurmeister hatte schnell ein besseres Angebot seitens des „Domorex“-Firmendirektors Mircea Suman erhalten. Heute nimmt er an vielen Veranstaltungen der ehemaligen politischen Häftlinge teil, wie zum Beispiel Besuche der einstigen kommunistischen Haftanstalten. Octav Bjoza, Der AFDPR-Landesvorsitzende Octav Bjoza imponiert Teutsch mit seiner Charakterstärke und seinem außergewöhnlichem Gedächtnis. Die beiden hatten sich bereits auf sozialistischen Baustellen kennengelernt. Aber wer hätte damals gedacht, dass sie sich, Jahrzehnte später, als junggebliebene Rentner für die Rechte politisch Verfolgter einsetzen werden? Bjoza war im Gefängnis, Teutsch musste mit den Eltern seine Heimatstadt verlassen. Beide haben diese harten Prüfungen bestanden.