Kenia: Abenteuer im Tierparadies

Elefanten vor der Haustür

Ein unvergessliches Bild.

Giraffen sind eigentlich sehr freundlich.

Junge Masai bieten eine Tanz-Show für Touristen.

Eine Touristin verhandelt Souvenirs, die sie vom Marktplatz im Dorf gekauft hat. Fotos: die Verfasserin

Massai am Strand

Sonnenuntergang beim Naivasha-See.

Strandparadies in Diani

Elefanten vor der Haustür

Auf der Zugreise von Hermannstadt nach Kronstadt ziehen mit gelben Blumen übersäte Wiesen, ein dunkelblauer Himmel und viele Wolken vorbei. Ich schaue durchs Fenster auf die schöne Landschaft und erwarte, in jedem Moment eine Giraffe neben einem Baum zu erblicken. Oder ein paar Zebras, die neben dem Gleis grasen. Oder dass wir anhalten müssen, damit eine Elefantenherde die Zuglinien überquert.

Nach einem Kenia-Urlaub, in dem man sich daran gewöhnt, die Tiere die man sonst nur aus dem Fernseher oder aus dem Zoo kennt, überall zu sehen, ist das vielleicht normal. So wie es vielleicht normal ist, wenn man in Rumänien ankommt und alle Leute auf der Straße mit „Jambo!“ und einem breiten Lächeln begrüßen will. So wie man in Kenia grüßt. Oder dass man den unvergleichlichen Geruch von frischen Wiesenblumen noch fühlt, lange Zeit nachdem das Flugzeug, das uns wieder nach Hause bringt, vom Flughafen in Nairobi abgehoben hat. Oder dass vor der Haustüre Affen herumturnen.

In Afrika haben wir einen der Momente erlebt, an den wir uns vielleicht bis ans Lebensende erinnern werden: während einer Sonnenaufgangsfahrt mit dem Geländewagen in der Nähe des Nakuru-Sees haben wir einen schlafenden Löwen erblickt. Wir haben gewartet, dass er aufwacht und danach ist er minutenlang neben unserem Wagen getrottet, bis er einen anderen Löwen getroffen hat. Einmal eine Safari-Fahrt durch Kenias Nationalparks zu unternehmen, danach an der Küste des Indischen Ozeans ein paar Tage verbringen ist ein Traumurlaub. Doch bringt er, wie jeder Urlaub in einem Land mit fremder Kultur, manchmal gemischte Gefühle.#

Die „Big Five“ aus der Savanne
Alljährlich zieht die Große Wanderung der Tierwelt, The Great Migration, die Safariwelt in ihren Bann. Millionen von Wildtieren marschieren über 1000 Kilometer durch die Naturparks Serengeti und die Massai Mara. Dieses Naturspektakel wollen wir uns auch ansehen. Weil die Menschen immer weiter in die Natur vorgedrungen sind, hat man angefangen, eigene Schutzgebiete für die Tiere zu schaffen. Man nennt sie Nationalparks. Dort dürfen in der Regel keine Menschen mehr siedeln und die Natur soll sich selbst überlassen bleiben. Und in diesen Nationalparks kann man auf einer Safari den Tieren ganz nahe kommen. Nach einem Eingewöhnungstag in Nairobi, der Hauptstadt Kenias, (wo es im Wintermonat Juli nur kühle 21 Grad waren) und Besuch eines Giraffen-Zentrums wartet das Abenteuer auf uns. In Toyota-Geländewagen fahren wir noch vor Morgengrauen von unserem Hotel Richtung Nationalpark Massai Mara ab. Für die rund 200 Kilometer brauchen wir etwa sieben Stunden auf holprigen Straßen. Der Begriff „Mara“ bedeutet „gefleckt“ in der Sprache der Massai. Das beschreibt exakt das Landschaftsbild, bei dem sich Akazien und Sträucher in der offenen Savanne wie kleine Punkte abzeichnen. Durch die weite Ebene fließt der Fluss Mara. Hier, in der Massai Mara, sind die Voraussetzungen perfekt, um die „Big Five“ (Elefant, Löwe, Leopard, Nashorn und Büffel) aus der Nähe zu beobachten. Aber auch andere Raubtiere wie Geparden, Hyänen und Schakale sowie Herdentiere wie Zebras und viele Antilopenarten sind hier in großer Anzahl beheimatet. An und in Flüssen leben zahlreiche Flusspferde und Krokodile. Zu den bekanntesten Vertretern der Vögel gehören der Strauß, Geier, Flamingo und Kronenkranich.

Safari ist eine besondere Reise
Übernachten werden wir in sogenannten Safari-Lodges – touristische Unterkünfte, die einem Zelt gleichen und in Wildnisregionen angebracht sind. Die erste Lodge, in der wir einquartiert werden, ist nicht eingezäunt, was theoretisch bedeutet, dass man am frühen Morgen Löwen auf der Haustreppe finden kann. Damit man keine Angst hat, wird jeder Tourist nach dem Abendessen von einem mit Speer bewaffneten Massai bis vor die Haustür gebracht und am Morgen von dort abgeholt. Während wir auf der Terrasse unserer Lodge eine Cola trinken, ziehen Elefanten an uns vorbei und wir fühlen uns wie in einem Abenteuerfilm. Danach werden wir zum ersten Game Drive abgeholt. Ein Game Drive ist, wie das Wort bereits andeutet, eine Autofahrt, bei der man nach Tieren Ausschau halten kann. Game ist die englische Bezeichnung für Wild bzw. Wildtiere. Henri, ein Mann mittleren Alters, der aus Nairobi stammt, ist Chauffeur und Guide in einem. Er erzählt uns, dass man in den 80er und 90er Jahren nicht einmal die Umgebung der Lodges verlassen musste, denn ganz in der Nähe gab es schon viele Tiere. Nun müssen wir etwas weiter fahren, um sie anzutreffen. Denn Population und Lebensraum vieler wilder Tiere schwinden dramatisch. Das Dach des Geländewagens wird abgehoben, und wir können im Auto aufstehen und die vielen Tiere mit dem Fernglas beobachten. Die Natur hat keinen Zeitplan, kein Game Drive gleicht dem anderen. Aber genau das ist ja auch das Faszinierende an einer Safari.

Über 40 Tierarten
Das Wort „Safari“ bedeutet in der Swahili-Sprache eine Reise jeglicher Art. Allerdings ist es eine besondere Reise, auf der man Elefanten, Giraffen, Zebras, Löwen, Leoparden, Nilpferde, Büffel und Krokodile hautnah erlebt. Der Begriff „Safari“ wurde in Ostafrika in der Zeit des Kolonialismus geprägt, es wurdevor allem für Jagdreisen verwendet, deren Ziel der Abschuss von Großwild war. Das Reisen zu dieser Zeit war das Privileg der Reichen. Ursprünglich waren Safaris in diesem Sinne nur den wohlhabenden Jägern vorbehalten, da nur sie sich die Ausrüstung sowie die Kosten für die zahlreich benötigten Träger leisten konnten. Dies hat sich im Laufe der Jahre drastisch geändert. Heutzutage darf man das in den meisten Parks nicht mehr. Statt einem Gewehr haben die Safari-Touristen einen Fotoapparat und ein Fernglas dabei. Meist ist man dabei in einem Geländewagen unterwegs, und den darf man auch nicht verlassen. Sonst kann es schnell gefährlich werden, denn mit den Tieren Afrikas ist nicht zu spaßen.

Es gelten strikte Regeln. Zum Beispiel darf man auf keinen Fall weiße oder schwarze Kleidung tragen. Schwarz nicht, weil man Mücken anzieht und Weiß nicht, weil das manche Tiere reizt. Ideale Töne sind erde, sand, beige, braun und khaki. Lange Hosen und Oberteile schützen zusätzlich vor Stechmücken. Vermeiden Sie dunkle Farben wie schwarz und dunkelblau, diese ziehen Mücken, vor allem in den Abendstunden, magisch an. Nach nur vier Tagen im Nationalpark Massai Mara zählten wir über 40 Tierarten, denen wir begegneten. Und alle „Big Five“ sahen wir schon nach zwei Tagen. Um 18 Uhr wird es schon dunkel, und nach dem Abendessen bieten uns die Massai, die in der Lodge angestellt sind, einen traditionellen Tanz an. Am nächsten Nachmittag werden wir eines der Dörfer besuchen, wo die Massai wohnen. Und von hier werden wir mit gemischten Gefühlen zurückkehren.

Im Dorf der Masai
„Hummmbaaa! Hummmmbaaaa! Hummmmbaaa!“ So etwa klingen die Töne, die die jungen Männer mit üppigem Kopfschmuck, hölzernen Gehstöcken und Baumwolldecken mit rotem Karo-Muster von sich geben, während sie sich immer schneller um den Feuerplatz bewegen, der vor unseren Lodges im Masai- Mara-Nationalpark eingerichtet wurde, sobald die Sonne untergegangen war. Dann reihen sie sich auf. Abwechselnd tritt einer von ihnen hervor und springt hoch in die Luft, während die anderen im Hintergrund mit den Halsketten klimpern. „Im Stamm der Masai gelten hoch springende Männer als athletisch und attraktiv“, erklärt uns Nalepo, einer der jungen Männer. Sein Name bedeutet „in der Nacht geboren“ und er lebt in einem kleinen Dorf, ein paar Kilometer von unser Unterkunft entfernt.

Ein Mann muss hoch springen und 20 Kühe besitzen
Für den Besuch im Masai-Dorf, der am nächsten Tag nach unserem Game Drive erfolgt, hatten wir schon 50 Dollar pro Person gezahlt– eine Art Eintrittskarte in eine Welt, die uns fremd ist. Die Masai sind Halbnomaden und zählen zu den bekanntesten Völkern Kenias und Tansanias. Historisch gesehen gehören sie zur Gruppe der Niloten und nennen eine unglaublich reiche Kultur ihr Eigen – von ihrer auffallender roten Kleidung über ihre Sprache bis hin zu ihren Traditionen. 78 Prozent der 45.000 Masai in der Region um den Masai-Mara-Nationalpark haben laut Studien weniger als einen Euro pro Tag zur Verfügung. Um ihr einfaches Leben abseits der Städte weiterführen zu können, setzen die Masai seit etlichen Jahren verstärkt auf Tourismus.

Am farbenfrohen Outfit der Masais kann man sich nicht sattsehen. Man erkennt sie von Weitem: die Masai-Frauen tragen am Körper einen karierten, meist roten Umhang (Shouka) und in den ausgeweiteten Ohrläppchen ihrer kahl geschorenen Köpfe lange, silberne oder selbst gemachte Perlenohrringe (el tanga). Um den Hals tragen sie schwere Halsketten (enkarewa) und um die Gelenke bunte Perlenbänder. Oftmals kommt ein Kopfschmuck hinzu, der ebenfalls aus silbernen Schmuckornamenten und bunten Perlen besteht. Aus dem Gummi alter LKW Reifen werden Sandalen  hergestellt, die sowohl von den männlichen als auch weiblichen Massai getragen werden.

Im Dorf angekommen führen Nalepo und andere jungen Männer den Tanz erneut auf. Neben der Sprung-Show bekommt man eine Demonstration, wie die Masai durch die Reibung zweier Hölzer Feuer machen. Es genügt nicht, dass man hoch springen kann. Um heiraten zu können, braucht ein Mann 20 Kühe. Dann kann er eine Frau bekommen.

„There is no love“
Für die Massai spielen Rinder und Ziegen in Religion, Nahrung, Medizin und Beziehungen eine große Rolle. Reichtum wird noch heute an der Zahl der Rinder gemessen. Dem Massai-Glauben nach leben sie durch den Verzehr der Viehprodukte im Einklang mit ihrem Gott. Die früheren Massai haben sich fast nur von Tierprodukten ernährt – meist von einer Mixtur aus Blut und Milch (saroi), zu besonderen Anlässen auch von Fleisch. Heute ergänzen Reis, Mais, Gemüse, Fladenbrot und Eier den Speiseplan. Wer zusätzliche 20 Kühe hat, kann sich auch eine zweite Frau leisten. Diese wird von der ersten Frau ausgewählt und wohnt in einem anderen Haus. Traditionell leben Masai polygam, üblicherweise ist ein Mann mit zwei Frauen verheiratet, mit jeder von ihnen hat er rund zehn Kinder. Der reichste Mann im Dorf hat 6 Frauen und kann sich nicht mehr erinnern, wie viele Kinder er hat. Nalepo selbst hat vorläufig eine einzige Ehefrau, Nalutuesha. Ihr Name bedeutet: das Mädchen, das während des Regens geboren wurde. Zusammen wohnen sie in einer stockdunklen, aus Kuhdung gekleisterten Hütte, die von Nalutuesha gebaut wurde. Denn bei den Masai bauen die Frauen die Häuser. „There is no love“, erklärt Nalepo. „Es gibt keine Liebe“. Heiraten und eine Ehe führen hat bei den Masai nichts mit Gefühlen zu tun. Nalepo erklärt, dass das Feuermachen eine der wenigen Aufgaben ist, bei denen die Männer im Dorf den Frauen helfen. Kochen und Kinderobhut ist reine Frauensache, auch für den Hausbau sind die Frauen zuständig. Zusätzlich basteln sie bunten Schmuck aus Plastikperlen, der an Touristen verkauft wird. Die Männer kümmern sich um das Vieh und engagieren sich als Touristenführer.

Ein ungutes Gefühl
Wir werfen einen Blick in die Häuser und Hütten und lernen, wie die Dörfer organisiert sind. Während die Frauen Häuser bauen, kochen, Schmuck herstellen und auf die Kinder aufpassen, ziehen die Männer mit den Rindern, Schafen oder Ziegen durch die endlosen Ebenen. Zum Schutz von Leoparden ist das Dorf von Dornbüschen umgeben, die Kühe und Ziegen übernachten in der Dorfmitte. Nachdem Nalepo über das Leben im Masai-Dorf erzählt und unsere Fragen beantwortet hat, werden wir auf den „Marktplatz“ geführt. Hier werden wir aufgefordert, Souvenirs zu kaufen. Je ein Masai begleitet uns durch den Markt. Auf den Ständen sind mit bunten Steinen bestickte Armbänder, Ledergürtel, Holzlöffel, Nashorn-, Zebra- und Giraffen-Statuetten aus Marmor, Decken, Ohrringe, Becherhalter – auf keinen von ihnen steht ein Preis. Merkt der Masai, das dir etwas gefällt, wirft er es einfach in eine bunte Decke. Am Ende der Shopping-Tour wird die Decke mit den Souvenirs vor dem Touristen auf den Boden gelegt und eine bizarre Handel-Aktion beginnt. Der zuständige Masai kritzt den Preis, den er für die Souvenirs verlangt, mit einem  Ast auf seinen Arm. Für einen Holzlöffel, einen Kühlschrankmagneten und ein buntes Armband will er nicht weniger als 80 Dollar. Ich muss meinen Preis daneben schreiben. Also nehme ich den Ast und kritzele die Zahl 15. Dann schreibt der Masai die Zahl 75 und es geht weiter, bis ich die drei Souvenirs für 25 Dollar haben kann. Inzwischen haben sich mehrere ältere Männer um uns herum versammelt, ich fühle mich umzingelt und sie drängen mich regelrecht, das Geld aus dem Portemonnaie herauszunehmen. Das passiert jedem von uns. Wir fühlen uns gezwungen, die Souvenirs zu kaufen.

Als wir am Ende der Dorfbesichtigung wieder in unseren Jeeps sind, haben wir ein ungutes Gefühl. Einerseits will man als Europäer helfen und das Dorf unterstützen, aber vielleicht wäre es besser gewesen, wenn wir gespendet hätten und wenn die Marktplatz-Geschichte, als wir bedrängt wurden, Souvenirs zu kaufen, nicht stattgefunden hätte. Man fühlt sich dabei wie ein Geldbeutel mit zwei Beinen, aus dem die Masai soviel Geld wie möglich herausholen wollen. Am Ende fragt man sich, ob diese Erfahrung authentisch war.

Wir verlassen das Dorf und kehren zu unserer Unterkunft zurück. Um 18 Uhr ist es schon dunkel und nach dem Abendessen werden wir von Masais mit Speeren zu unseren Lodges begleitet. Um 22 Uhr geht der Generator und damit das Licht aus. Wir fallen erschöpft in unsere Zeltbetten. Draußen hören wir noch die Schreie der Hyänen, bevor wir einschlafen.

Der Ort des Glanzes 
Der Besuch im Massai-Dorf hat uns nachdenklich gestimmt. Reisen und Erleben von fremden Kulturen ist bereichernd, aber eigentlich lernt man das Land, das man besucht, nur oberflächlich kennen. Auch wenn manche von uns vor der Reise recherchiert haben, auch wenn uns unser Fahrer Henri jede Zeit für Fragen über das Leben in Kenia zur Verfügung stellt, zeigt uns jede Erfahrung, wie wenig wir darüber wissen, wie man sich zu verhalten hat. 

Ein Paradies mit Sand und Palmen
Ein paar Tage und viele Game Drives später stecken wir mitten im Verkehr in Mombasa. Auf der Straße werden Melonen, rosafarbene Seife und T-Shirts mit Bob Marley verkauft.  Wir sind schon an mehreren Verkehrsschildern vorbeigefahren, auf denen „Achtung, Elefanten“ steht. Nach den anstrengenden Safari-Tagen, an denen wir täglich um 5 Uhr in der Früh aufstehen mussten, erwartet uns ein Strandurlaub in Diani Beach, ein Erholungsort an der Küste des Indischen Ozeans. Unser Flug nach Ukunda, dem am nächsten gelegene Flughafen, wurde gestrichen, also sind wir nach Mombasa geflogen. Die 30 Kilometer zwischen Mombasa und Diani legen wir in fünf Stunden zurück. Wir sitzen im Verkehr, weil der Präsident Kenias gerade einen offiziellen Besuch hier abstattet.

Nur einen Monat zuvor löste seine Entscheidung, einige Steuern zu erhöhen, große Unzufriedenheit in der Bevölkerung aus. Tausende Menschen protestierten dagegen in Nairobi und drangen teils auf das Parlamentsgelände vor. Die Polizei reagierte mit Schüssen, mehrere Menschen wurden getötet. Die Lage ist weiterhin angespannt. Doch nach mehreren Stunden wird der Verkehr endlich freigegeben und als wir im Hotel in Diani ankommen, vergessen wir alles. Vor uns erstreckt sich das Paradies: eine Küstenlinie mit unglaublich weißem Sand, Palmen, in denen Affen turnen und ein Meer mit unzähligen blau-türkisen Farbtönen. Auf einer der Hotelterrassen wird gerade der Nachmittagstee serviert. Hier in diesem Küstenparadies werden wir uns den Safari-Staub aus der Savanne im warmen, türkisfarbenen Wasser des Indischen Ozeans abwaschen. 

Gemischte Gefühle 
Es ist wie ein Traum. Aus dem man ab und zu geweckt wird. Wie zum Beispiel an dem Tag, an dem wir während eines Schnorchel-Ausflugs die Insel Wasini im Indischen Ozean erkunden und einem ähnlichen Ritual wie im Massai-Dorf folgen. Nach einem Restaurantbesuch, bei dem uns frische Meeresfrüchte serviert werden, bringt uns unser Reiseleiter ins Dorf. Wir gehen auf schmalen, staubigen Gassen, vorbei an winzigen Häusern mit eingeschlagenen Fenstern und an Höfen, wo Wäsche in der Sonne trocknet. Am Hauptplatz sehen wir unter dem Schatten eines riesigen Baumes ein Gebäude mit bröckelnder Fassade. Auf den Wänden stehen die Namen von wichtigen europäischen Fußballclubs wie FC Liverpool oder Real Madrid. Es ist ein Gebäude, wo Männer sich abends treffen, um Fußballspiele zu schauen und sich über Gott und die Welt zu unterhalten. Ein paar Straßen weiter spielen mehrere Kinder in Schuluniform im Freien. 

Das Schulgebäude, in das wir eintreten, ist klein und hat außer einem schmutzigen Flur nur ein einziges Zimmer. Plötzlich sind wir von Grundschulkindern umringt. Sie beginnen zu tanzen und zu singen. Darunter das bekannte Lied „Jambo Bwana“, das wir überall auf unserer Reise gehört haben. Dann zählen sie auf Englisch bis 20. Am Ende der Vorstellung, die sie für uns vorbereitet haben, bittet uns die Lehrerin, für die Schule zu spenden. Die Grundschule in Kenia ist kostenlos, aber die Familien müssen für die weiterführende Schule sowie für Lehrbücher, Uniformen und Lehrergehälter bezahlen. Die Kosten für den Besuch einer weiterführenden Schule betragen durchschnittlich 1,30 Dollar pro Tag – das ist für viele Familien mehr, als sie verdienen. Nicht alle Kinder haben Schulbänke, es gibt nur zwei Bücher und die Tafel müsste dringend ersetzt werden. Auch die Decke sieht so aus, als würde sie im nächsten Moment über unseren Köpfen einstürzen. Wir werfen Geldscheine in einen Pappkarton-Dollar und kenianische Schilling. Eine Frau fragt, ob sie sich mit den Kindern fotografieren darf. Sie ist Lehrerin in Rumänien. „Hakuna matata, no problem”, antwortet der Reiseleiter. Die Kinder scharen sich um sie. Später wird sie das Foto auf Facebook hochladen, „damit meine Schüler sehen, unter welchen Bedingungen afrikanische Kinder lernen. Vielleicht legen sie dann mehr Wert auf den Unterricht”. Wir schauen der Frau zu und haben wieder das ungute Gefühl aus dem Massai-Dorf. 

Von der Gefahr der unvollständigen Geschichten 
Die Schule auf der winzigen Insel im Indischen Ozean besuchen sicherlich hunderte  Touristen pro Monat. Sie tun  dasselbe wie wir – verschenken wahllos Dinge, fotografieren Slums, Häuser aus Kuhfladen und niedliche afrikanische Kinder und posten sie auf Social Media.Doch mit jedem Foto, das im Netz veröffentlicht wird, fördern sie klischeehafte Vorstellungen von Afrika. Es kursieren fast immer dieselben Fotos: armselig gekleidete Kinder, Frauen die Essen auf offenem Feuer kochen, Männer mit Speeren.

Nur wenige weisen auf die Dinge, die fortschrittlich sind: die modernen Shopping-Malls in Nairobi, die eleganten Männer mit Trenchcoat und Hut auf den Straßen Mombasas, das lokale Modelabel, das wir auf dem Flughafen entdeckt haben und das nachhaltige Kleidung und kreative Accessoires produziert, das Engagement Kenias für den Erhalt seines Naturerbes und die Förderung eines nachhaltigen Tourismus. Man sollte nur noch Fotos von Dingen posten, die positiv und fortschrittlich sind, heißt es in einem Artikel, den ich später auf dem Boot lese. Ich erinnere mich dabei  an die Wut, die ich immer empfinde, wenn deutsche Zeitungsartikel über Rumänien mit einem Pferdewagen illustriert sind. Es ist natürlich nicht dasselbe, aber man kann das Problem anhand dieses Vergleichs besser verstehen.

Denn genau diese unvollständigen Darstellungen eines Landes bieten eine fruchtbare Basis für Vorurteile. Wir alle handeln aus Unwissenheit und eigentlich wünschen wir uns nur, zu helfen. Weißes Privileg geht oft Hand in Hand mit weißer Überlegenheit: wir sind weiß und reich und gebildet und müssen den Armen helfen –dadurch entsteht noch mehr Ungleichheit. Wir kaufen Souvenirs ein, spenden für die Schule, fotografieren uns mit den Kindern. Und dann setzen wir uns in einen Jeep, der uns zum Luxus-Resort fährt, wo wir den Sonnenuntergang mit einem Cocktail in der Hand verbringen und dabei seufzen: „Welch eine Armut!“ Und dann fühlen wir uns gut, weil wir den „armen Leuten“ geholfen haben. Doch dabei versuchen wir nicht, uns in sie hineinzuversetzen. Was macht es mit dir als Mensch, wenn du als rettungsbedürftige Seele abgestempelt wirst? Wenn Fremde, die deine Kultur überhaupt nicht kennen, in dein Dorf spazieren und dir sagen, wie du dein Leben leben sollst? Wirst du dann noch ermutigt, für eine bessere Zukunft zu kämpfen?

Es geht hier nicht nur um Armut, Hunger und Not. Denn es gibt so viele Sachen, die in Kenia viel schöner sind als anderswo auf der Welt. Viele von ihnen werden wir immer in Erinnerung behalten. Der Geruch der Blumen in der Savanne. Der Löwe, der uns bei Tagesanbruch über den Weg läuft. Das Lied, das eine Souvenirverkäuferin am Strand singt. Am Tag vor unserer Heimreise musste ich an die Worte von Ernest Hemmingway denken: „Ich wollte nur zurück nach Afrika. Wir hatten es noch nicht verlassen, aber wenn ich in der Nacht aufwachte, lag ich da und lauschte und hatte bereits Heimweh danach.“

Zum letzten Mal sahen wir den Sonnenuntergang. Alles ist in orangefarbenes Licht getaucht und glitzert. Der Name „Kenia“ bedeutet „Ort des Glanzes“. Die Sonne strahlt hier viel schöner. 

 

Zu empfehlen, bevor man nach Kenia reist

• Der Instagram-Account „Barbie Savior“ kritisiert den Auftritt vieler weißer Europäer und Amerikaner in Entwicklungsländern sowie die dahintersteckenden Stereotype– und das auf satirische Art und Weise.

• Der TED-Talk der Schriftstellerin Chiamamanda Adichie (auf Google suchen, es gibt auch deutsche Untertitel), die von der „Gefahr einer einzigen Geschichte“ spricht, wenn nur ein einseitiges Bild von Afrika vermittelt wird

• Paradies: Liebe ist ein Film des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl aus dem Jahr 2012. Er erzählt die Geschichte einer 50-jährigen Wienerin, die als Sextouristin nach Kenia reist. Im „Urlaubsparadies“ angekommen, sucht sie den Kontakt zu den Beach Boys, die am Strand auf Europäerinnen warten, um ihre Dienste anzubieten. Am Ende einer Reihe von Enttäuschungen muss sie erkennen, dass sie am Strand von Kenia nur sexuelle Handlungen, nicht aber Liebe und Zuneigung kaufen kann.

•   Afrika – kreuz und quer durch einen bunten Kontinent von Kim Chakanetsa und  Mayowa Alabi ist ein Kinderbuch, das aber auch für Erwachsene zu empfehlen ist. Beim Lesen erfährt man von der pulsierenden Musikszene Nordafrikas über die „Wiege der Menschheit“ im Osten, von Modetrends im Westen bis zu den „Big Five“ der Tierwelt im südlichen Afrika. Man begegnet berühmten Personen aus Kultur, Sport und Politik, erlebt lebendige Traditionen und entdeckt beeindruckende Landschaften.