Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Vormittag im Juni 2006, als ich im überfüllten Victoria-Kino in Klausenburg auf dem Boden sitzen musste, um mir die Premiere des Films „A fost sau n-a fost?“ von Corneliu Porumboiu anzuschauen. Ich erinnere mich noch, wie atemlos ich den Figuren folgte, die sich im Fernsehstudio einer Kleinstadt in der Moldau darüber unterhielten, ob es in dieser Stadt eine Revolution gegeben hat oder nicht. Im Herbst desselben Jahres kam „Hârtia va fi albastră“ (Das Papier wird blau sein) von Radu Muntean in die Kinos. Und gleich danach „Cum mi-am petrecut sfârșitul lumii“ (Wie ich das Ende der Welt erlebte) von Cătălin Mitulescu. Der letzte ist einer meiner Lieblingsfilme. Vielleicht deshalb, weil ich zum Zeitpunkt der Revolution etwa im selben Alter war wie der kleine Lalalilu, die Hauptfigur des Films. Alle drei Filme setzten sich auf ganz verschiedene Weise mit den Ereignissen im Dezember 1989 auseinander. Im nächsten Jahr gewann „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ von Cristian Mungiu, ein weiterer Film, der im Kommunismus spielt, die Goldene Palme in Cannes.
„Schon wieder ein Film über den Kommunismus“, klagten die unzufriedenen Rumänen und die Kinosäle blieben halb leer, während die rumänischen Filme einen Preis nach dem anderen auf allen wichtigen Festivals im Ausland gewannen. Nicht einmal der Omnibus-Film „Amintiri din Epoca de Aur“ (die DVD schenkte ich allen meinen Bekannten aus dem Ausland), der mittels fünf kurzen Geschichten verschiedene urbane Legenden aus dem Kommunismus thematisiert, erntete den Publikumserfolg, den er eigentlich verdient hätte. Die Leute waren satt „das Elend aus den kommunistischen Jahren“ und „die schmutzigen Küchen in den Wohnblock-Appartments“ zu sehen, in denen Ciorb˛ gegessen wird. „Wir wollen nicht mehr an diese Zeiten erinnert werden. Warum macht niemand so einen wirklich schönen Film, wie in Hollywood?“ Das typisch rumänische Verdrängen.
2018, genau zwölf Jahre nach „A fost sau n-a fost“ wurde beim TIFF-Filmfestival ein Kurzfilm ausgestrahlt. Dabei ging es wieder um die Revolution, betrachtet durch die Augen eines Kindes, so wie im Weltende-Film von Mitulescu. „Cadoul de Crăciun“ (das Weihnachtsgeschenk) von Bogdan Mureșanu setzte sich auf humorvolle Weise mit einem dunklen Kapitel in der rumänischen Geschichte auseinander. Es ist Dezember 1989, in Temeswar haben sich die Demostrationen für den Sturz der Ceau{escu-Diktatur in einen blutigen Kampf verwandelt, die Stimmung in Bukarest ist auf dem Siedepunkt. Der kleine Marius bemerkt nichts davon. Er hat seinen Wunschzettel für den Weihnachtsmann bereits in den Briefkasten eingeworfen. Das Kind wünscht sich Spielzeug für sich, eine neue Handtasche für seine Mutter und für seinen Vater das, was dieser im Privaten stets als Wunsch formulierte. Doch die regimekritische Äußerung, niedergeschrieben durch seinen eigenen Sohn, könnte für den Mann zum Verhängnis werden, und er muss dringend etwas tun, um nicht im Gefängnis zu landen.
Wie beeinflußen die politischen Geschehnisse das Privatleben, wie ändern sie die Beziehungen innerhalb einer Familie? Bogdan Mureșanu nähert sich diesen Fragen mit viel Humor, und das machte den Kurzfilm zum absoluten Publikumsliebling.
Als ich sechs Jahre später die Nachricht las, dass „Das Weihnachtsgeschenk“ in einen 130-minütigen Spielfilm integriert wurde, der aus mehreren ineinander verschachtelten Geschichten besteht, die sich alle am 21.Dezember 1989 in Bukarest abspielen, konnte ich den Kinostart kaum erwarten. Als der Film dann in Venedig mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde, war die Erwartung noch größer. „Anul nou care n-a fost“ (deutsch: Das neue Jahr, das nicht war) ist die dritte Produktion in einer neuen Welle von rumänischen Kommunismus- und Revolutionsfilmen. Letztes Jahr kamen „Libertate“ von Tudor Giurgiu und „Metronom“ von Alexandru Belc in die Kinos.
Der Regisseur Bogdan Mure-{anu erzählte in einem Radio-Interview, dass ihm die Idee für den Film kam, als er von einer Fernsehsendung mit Oden an den Diktator hörte, die im November 1989 für das Silvesterprogramm gedreht wurde und dann nie mehr ausgestrahlt wurde. Der Titel, so Mure{anu, wurde ausgewählt, weil viele Rumänen im Jahr 1990, nach dem Sturz der Diktatur dachten, dass sich die Dinge ändern würden.
Erstaunlich viele Leute waren am letzten Sonntag im Kinosaal der Kronstädter AFI-Mall. Am ersten Wochenende haben sich 20.000 Zuschauer landesweit den Film angesehen – das ist ein Box-Office Erfolg, mit dem sich wenige rumänische Filme rühmen können.
Schon während der ersten halben Stunde merkt man, dass sich das Team um Mure{anu angestrengt hat: „Anul nou care n-a fost“ soll sowohl dem Publikum als auch der Kritik gefallen, er soll sozusagen ein populärer Kunstfilm sein. Es spielen über 40 bekannte Schauspieler mit, an viele von ihnen erinnert man sich aus den oben erwähnten älteren Filmen über die Revolution. Die vielen Geschichten fügen sich am Ende zu einem riesigen Gesellschaftspuzzle zusammen. Es sieht so aus, als ob der Regisseur alle Themen des Kommunismus nimmt und in einen Topf wirft – das Vernichten des Uranus-Viertels für den Bau des „Haus des Volkes“, die Zensur im Theater und im Fernsehen, die illegalen Fluchten über die jugoslawische Grenze, die Securitate-Spitzel aus der eigenen Familie, häusliche Gewalt, die als normal betrachtet wird, alles garniert mit Anekdoten, urbanen Legenden, Humor und rumänischen Schlagern. Das trägt dazu bei, dass fast keine Authentizität empfunden wird.
130 Minuten lang hatte ich das Gefühl, etwas sehr Künstliches auf der Leinwand zu sehen. Und manchen Figuren, zum Beispiel der alten Frau, die früher überzeugte Kommunistin war und nun ihr Haus im Uranus-Viertel verlassen muss, glaubt man keine Sekunde lang.
Doch ein Grund, um sich den Film trotzdem anzuschauen, ist die Geschichte mit der Fernsehsendung, von der man ausgegangen ist. Da die Fernsehmoderatorin, die eine Ode an den Diktator aufsagt, inzwischen aus dem Land geflohen ist, muss eine Schauspielerin gefunden werden, die ihr ähnelt und sie ersetzen kann. So muss Florina Miu (wunderbar gespielt von Nicoleta Hâncu) einspringen. Doch die überzeugte Antikom-munistin will das auf keinen Fall machen. Sie weiß, dass eine Absage ihre Karriere zerstören wird und sucht nach kreativen und ausgefallenen Ideen, um zu vermeiden, in der Sendung zu erscheinen. Der Fernseh-Regisseur, gespielt von Mihai C˛lin, der sich ebenfalls in einer heiklen Situation befindet (entweder er wird Spitzel oder das Leben seines Sohnes wird zerstört), wird zu einem unerwarteten Verbündeten.
Und genau an diese zwei Figuren denkt man während der (etwas pathetischen) Schluss-Szene. Dass die Revolution eben deshalb passiert ist, weil es diese Menschen gab, die nie gegen ihre Überzeugungen handeln wollten. Von ihrem Widerstand, von ihren kleinen Heldentaten wird man vielleicht nie in der Zeitung lesen. Doch alle ihre kleinen Gesten zusammen haben vielleicht etwas bewirkt. Und für diese Erkenntnis ist der Film sehenswert, trotz seiner Makel.
Die Revolution ist ein Kapitel der rumänischen Geschichte, das noch nicht richtig verarbeitet wurde. Dass die Kunst sich mit diesem Thema auseinandersetzt, ist nach wie vor wichtig. Man muss seine Vergangenheit kennen und verstehen, um in die Zukunft blicken zu können. Nein, es gibt nicht genug Filme über die rumänische Revolution.
„Anul nou care n-a fost“ läuft zurzeit in den beiden Malls: AFI und Coresi