Seit zwei Jahrzehnten in der Kronstädter Kulturlandschaft 

Interview mit Roxana Florescu, Leiterin des Deutschen Kulturzentrums in Kronstadt

 

Zwanzig Jahre nach seiner Gründung durch den rumänisch-deutschen Kulturverein (damals geleitet von Prof. Dr. Carmen Puchianu, heute unter der Leitung von Dr. Ioana Diaconu) ist das Deutsche Kulturzentrum Kronstadt eine lokal anerkannte und respektierte Einrichtung, die alle Dienstleistungen eines kleinen Kulturinstituts anbietet. Mit Unterstützung des Goethe-Instituts Bukarest und des Auswärtigen Amts führt das Kronstädter Kulturzentrum in Kooperation mit lokalen und deutschen Partnern Kulturveranstaltungen durch, bietet Sprachkurse und Prüfungen an, verfügt über eine Bibliothek und ein Lehrmittelzentrum und vermittelt aktuelle Informationen über Deutschland. 

Das Deutsche Kulturzentrum hat sich in der Kulturszene Kronstadts durch seine stets aktuellen Veranstaltungen, unkonventionellen Ausdrucksformen und durch die Einladung führender Vertreter der deutschen Kultur hervorgetan und wurde bereits dreimal bei der Gala der Kulturpreise des Jahres ausgezeichnet: 2014 gewann es mit dem " Schlagzeugkonzert des Halle Percussion Ensembles" den Preis für das Konzert des Jahres, 2017 mit "Perform(d)ance – Tage des zeitgenössischen Tanzes" den Debütpreis und 2021 mit "Distanz - Yui Kawaguchi und Amancio Gonzalez" den Preis für die Tanz-/Performance-Show des Jahres. Von 2004 bis heute bestand das Team des Deutschen Kulturzentrums aus Deutschlehrern, Kulturmanagern und anderen Fachleuten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die deutsche Sprache und Kultur zu fördern. 

Über die Bilanz der letzten 20 Jahre und die Perspektiven in einer sich dauernd wandelnden Kulturlandschaft sprach mit Roxana Florescu die KR-Redakteurin Elise Wilk.

Liebe Roxana, wie kam es, dass Du vor 20 Jahren zum Deutschen Kulturzentrum kamst? 

Wir kannten die damalige IFA-Kulturassistentin Daniela Boltres, mit der wir an einigen Projekten zusammengearbeitet haben. Ich war 2004 gerade aus Deutschland zurückgekehrt, wo ich ein Stipendium hatte. Daniela hatte gerade den Deutsch-Rumänischen Kulturverein gegründet und hat mir einfach ein Dossier in die Hand gedrückt und gesagt: „Geh damit zum Gericht“. Und ich bin dann mit den Papieren zum Gericht gegangen, es dauerte etwa ein Jahr bis alle Unterlagen fertig waren und der Verein offiziell eingetragen wurde. 
Dann blieb ich die Koktaktperson des deutschen Konsulats. Jedesmal wenn sie eine Ausstellung oder ein Konzert in Kronstadt planten, haben sie mich angerufen und gefragt, ob ich helfen will. Damals hatte Kronstadt noch kein eigenes Budget für Veranstaltungen.

Erinnerst du dich noch an die erste Kulturveranstaltung? 
Das erste Event war genau an diesem Ort, an dem wir uns jetzt unterhalten (Langgasse 31). Damals hatte das Zentrum noch keinen Sitz und wir hatten erfahren, dass dieser Saal leer steht. Und so wurde hier ein Konzert von einer deutschen Band organisiert, die „Ersatzkapelle“ hieß. 

Wie hat das Publikum davon erfahren? 
Die Fenster standen offen und die Leute kamen einfach herein. Denn es war komplett unerwartet, in einer Wohngegend plötzlich Livemusik zu hören. Dann hatten wir unseren ersten Sitz in der Langgasse Nr. 5, das war ein Gebäude der Universität. Die ersten Events haben wir in der Redoute oder in der Galerie KronArt organisiert. Es war ganz viel Energie am Anfang. Wir waren 1-2 Personen und organisierten Riesen-Events, Veranstaltungen, die sich über eine Woche erstreckten. Bei den Deutschen Kulturtagen gab es eine Woche lang Theater, Filme, Konzerte, Lesungen.  Und die Budgets waren extrem klein. Wenn ich mich erinnere, wie wenig Geld wir hatten und was für Events wir damit organisieren konnten scheint es mir heute unglaublich. Aber das war der Enthusiasmus des Anfangs. 

Damals gab es nicht sehr viele Kulturevents in Kronstadt. 
Nein, und wenn etwas stattfand, dann erregte es Aufmerksamkeit. Damals gab es noch die riesigen Werbeplakate, die es heute nicht mehr gibt. Es gab Stellwände auf der Purzengasse, dort waren die Plakate angebracht. Es gab Unternehmen, die sich damit beschäftigten: sie schnitten die Buchstaben mit der Schere aus und klebten sie nachher auf das Plakat. Es waren riesengroße Dinger. Inzwischen gibt es ganz andere Arten, Werbung zu machen. Wir haben von Anfang an Großevents organisiert – die Deutschen Kulturtage, EuroArt – wir wollten damit Aufmerksamkeit gewinnen. Oft arbeiteten wir bis 2-3 Uhr in der Nacht. 

An das EuroArt-Theaterfestival erinnern sich sicher viele Leser gerne. 
Ja, zwischen 2005 und 2012 war das Deutsche Kulturzentrum einer der Organisatoren des Internationalen Jugendtheaterfestivals EuroArt, einem Festival, das 2001 vom British Council  initiiert wurde und das wir zusammen mit der Alliance Française und dem Institut für Auslandsbeziehungen Stuttgart weitere acht Jahre lang organisierten. Das Festival brachte Theatergruppen von Schülern und Studenten aus dem ganzen Land auf die Bühne, die auf Englisch, Französisch, Deutsch und Rumänisch auftraten, sowie professionelles Theater aus Rumänien, Deutschland und Frankreich. Die Idee hinter dem Festival war, das Theater aus den klassischen Räumen herauszuholen und es dem jungen Publikum näher zu bringen. 

Warum habt Ihr Euch entschlossen, nach acht Jahren nicht mehr weiterzumachen? 
Es war schwer mit der Finanzierung. Das Geld kam viel zu spät und wir mussten viel im Voraus planen, doch das Budget kam oft nach dem Event. Damals gab es keine Vorschüsse. Es existierte immer das Risiko, das investierte Geld nicht mehr zurück zu bekommen. Und wenn man acht Jahre lang ein Festival unter diesen Bedingungen organisiert, ist es zu viel. 

EuroArt ist nicht das einzige Theaterprojekt. Es ist  zur Tradition geworden, dass jedes Jahr eine deutsche Theateraufführung für Kinder nach Kronstadt kommt. 
Genau. Fredrik Vahle, Ania Michaelis, Theater 3 Hasen oben, Der Kiepenkasper, Puppentheater Lothar Lempp, Christoph Buchfink, Figurentheater Die roten Finger und viele andere deutsche Künstler kamen auf unsere Einladung nach Kronstadt, um für Kindergarten- und Grundschulkinder auf Deutsch aufzutreten. Sie luden auch Deutschlehrer zu interaktiven Workshops ein, in denen diese ihr Wissen über Theaterpädagogik, Bühnenbewegung, die Kunst des Puppenbaus und den Umgang mit Puppen verbessern konnten. Außerdem konnten sie neue Techniken zur Vermittlung der deutschen Sprache mit Hilfe des Theaterspiels weitergeben. 

Ein anderer wichtiger Schwerpunkt Eures Programms war der zeitgenössische Tanz. 

Das war vielleicht die mutigste Initiative, die wir hatten. Als wir die erste Tanzperformance aus Deutschland nach Kronstadt brachten, war das etwas komplett Neues für Kronstadt. 

Ja, wir haben noch darüber gesprochen und du hattest gesagt, du warst verwundert, wie begeistert das Publikum war. 
Ja, die erste Auflage fand nach der letzten EuroArt-Edition statt, im Jahr 2012. Ich erinnere mich, in der Redoute roch es nach Erde, weil wir damals einen ganzen LKW voller Erde auf die Bühne gebracht haben. Die erste Tanzperformance war mit Erde auf der Bühne und diesen Geruch werde ich niemals vergessen. Und damals gab es auch eine Überraschung – von Anfang an hatten wir ganz viel Publikum. Das bedeutete: zeitgenössischer Tanz ist etwas, was der Stadt fehlt. Dann sind auch andere Vereine entstanden, die zeitgenössischen Tanz gefördert haben und wir haben uns zusammengetan um etwas Größeres zu organisieren, so entstand das Neoteric-Festival. Das sollte ein Festival für performative Kunst werden, aber wegen des Mangels an Finanzierung hat es nicht so gut geklappt und die anderen Vereine haben sich zurückgezogen. Dann haben wir im nächsten Jahr die erste Auflage von PerformDance organisiert, mit Unterstützung des Bürgermeisteramtes. Es gab drei Editionen: 2017, 2018 und 2019. Die Odyssee des deutschen zeitgenössischen Tanzes in Kronstadt endete mit der Pandemie im Jahr 2020, als Yui Kawaguchi ihre Performance DisTanz präsentierte, die bei der Gala Kulturpreise als Tanzperformance des Jahres ausgezeichnet wurde.

Und wollt ihr weitermachen? 
Das wäre sehr schön, aber wir brauchen mehr Personal, um solche Events organisieren zu können. PerformDance war das Event, das am schwersten zu organisieren war. 

Die Arbeit in der Kulturbranche ist herausfordernd. Denn man macht Sachen, von denen man anfangs keine Ahnung hat, dass man sie machen muss. Wie Eintrittskarten beim Finanzamt anmelden, Erlaubnisse für große LKWs beantragen, die mit einer tonnenschweren Ausstellung beladen sind und in die Stadt hinein fahren müssen, manchmal Nägel in die Wände schlagen und sich um die Künstler kümmern, dass sie auf keinen Fall in die Taxis vor dem Bahnhof steigen. 

Es gibt kein Event, bei dem nichts passiert. Dass der Strom ausfällt, dass sich ein Flugzeug verspätet, dass das Gepäck eines Künstlers verlorengeht, dass ein Instrument kaputtgeht.  Wer Adrenalin braucht, das ist der perfekte Job. Zurzeit sind wir auf der Suche nach Mitarbeitern. Wir wünschen uns Projekt-Mitarbeiter. Für eine Ausstellung zum Beispiel, dann macht man alles von A bis Z. Und dann sehen wir weiter. Das ist die Variante, die ich bevorzugen würde. 

Was für Veranstaltungen werden im Herbst 2024 stattfinden? 
Die Herbst-Saison wird mit einer Ausstellung beginnen. Anlässlich seines 100. Todestages wird Franz Kafka im Jahr 2024 mit einer Reihe von kulturellen Veranstaltungen rund um seine Werke geehrt. Dazu gehört auch das Comic-Buch „Komplett Kafka“, welches der österreichische Comiczeichner Nicolas Mahler im Kafka-Jubiläumsjahr im Suhrkamp Verlag veröffentlichte und das als Ausstellung durch die Welt tourt. Das Buch von Mahler ist eine Mischung aus Kafka-Biografie und kurzen Vorstellungen von Franz Kafkas wichtigsten Werken. Diese Comic-Plakatausstellung bringt jugendlichen Deutschlernenden Kafka und seine Werke sowie die Kunst von Nicolas Mahler näher, und holt zudem die von Kafka angesprochenen Themen in ihre heutige Lebenswelt. So gelingt es, Sprachenlernen anhand kultureller Themen zu fördern. Die Ausstellung kann vom 16. September bis zum 11.Oktober beim Sitz des Kulturzentrums in der Langgasse 31 besucht werden. Im Oktober folgt ein weiteres interessantes Event, und zwar ist Kronstadt eine Station der Lese-reise des in der Schweiz lebenden Schriftstellers C²t²lin Dorian Florescu (weitere Stopps sind Hermannstadt, Iassy und Bukarest). Es wird eine Lesung und eine Diskussion mit dem Publikum geben. 
Dann haben wir vor, ein neues Filmevent zu organisieren. Diesmal soll es eine Filmreihe für Kinder sein. Und ebenfalls planen wir die traditionelle Kindertheatervorstellung. Es wird ein Herbst voller Veranstaltungen sein. 

Welche Zielgruppen sprechen die Veranstaltungen des Deutschen Kulturzentrums an? Habt ihr schon ein Stammpublikum? 
Es kommt auf das Event an. Jede Veranstaltung hat ihr spezifisches Publikum. So gibt es ein Publikum, das zu den Musik-Veranstaltungen kommt, ein Publikum für Film oder Theater, eines für Kunstausstellungen oder für Workshops. 

Wir haben durch unsere Events Diversität geschaffen und damit sichergestellt, dass wir uns an ein sehr diverses Publikum richten. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um ein deutschsprechendes Publikum. Alle Veranstaltungen, die in deutscher Sprache stattfinden, werden übersetzt. Im Publikum sehe ich immer Gesichter, die ich schon seit 20 Jahren sehe. Aber auch neue Gesichter. Und ich bin froh, wenn ich junge Leute im Publikum sehe. Nach jeder Veranstaltung analysieren wir die Art und Weise, wie wir mit unserem Publikum kommuniziert haben. War die Werbekampagne effizient? Was können wir besser machen? Was können wir anders machen? Wir müssen uns dauernd an die neuen Medien anpassen. Es ist ein Prozess, der sich immer ändert. 

Wie hat sich die Kronstädter Kulturlandschaft  in den letzten 20 Jahren verändert?
Es gibt auf jeden Fall ein viel größeres Angebot als im Jahr 2004. 

Aber Quantität bedeutet nicht gleich Qualität. 
So ist es, eine größere Anzahl von Events bedeutet nicht unbedingt, dass die Qualität besser ist. 
Meiner Meinung nach wäre es wichtig, dass sich in der Stadt eine Kunstkritik entwickelt. Vorläufig gibt es nur Empfänger der kulturellen Veranstaltungen, keine professionellen Kritiker, die Rezensionen über diese Veranstaltungen veröffentlichen. Trotzdem ist es gut, dass die Kronstädter Kulturpreise ins Leben gerufen wurden. Es ist ein Qualitätsfilter für die Veranstaltungen, eine Plattform, die das Potential hat, die guten Events von den schlechteren zu unterscheiden, denn es gibt leider auch viel Amateurhaftigkeit in der Kronstädter Kulturlandschaft.
Es ist auch gut, dass das Bürgermeisteramt die Kultur in der Stadt besser finanziert. Doch leider sind die Prozeduren noch immer sehr bürokratisch und schwierig, besonders für die Kulturvereine, die wenig Personal haben und die ganze Dossiers für Finanzierung und Abrechnung erstellen müssen. 

Wie siehst du das Kulturzentrum in 10 Jahren? 
Der Enthusiasmus des Anfangs existiert nicht mehr, dafür gibt es die Erfahrung, die wir in diesen zwei Jahrzehnten gewonnen haben. Es wäre schön, mehr Personal zu haben, damit wir diese Energie und Begeisterung, mit der wir unsere Projekte durchgeführt haben, immer neu entfachen können. 

Heute hat das Zentrum Stabilität, es hat ein bewährtes Image. Aber was bedeutet Stabilität heutzutage? Wir leben in einer Zeit in der es am schwersten ist, langfristige Prognosen zu erstellen. Wer weiß, vielleicht werden wir Kulturmanager in 10 Jahren von Künstlicher Intelligenz ersetzt. 

Glaubst Du wirklich, dass die Künstliche Intelligenz dazu imstande sein wird, ein Kulturevent zu organisieren? 
Warum nicht? Bei der diesjährigen Gala der Kronstädter Kulturpreise wurde ein von KI erstelltes Plakat preisgekrönt. 

Wenn Du einen Wunsch frei hättest, egal wie viel es kostet, welchen deutschen Künstler/welche deutsche Künstlerin würdest Du nach Kronstadt bringen? 
Auf jeden Fall Sasha Waltz. 

Man weiß es nie. Vielleicht geht der Wunsch in Erfüllung. Vielen Dank für das Gespräch!