Statt Computerspielen Eier aus dem Stall holen 

Ein Niederländer und eine Szeklerin leben im Einklang mit der Natur

Trotz der harten Arbeit im Haus, Garten, Hof und Stall sind die beiden Filmemacher glücklich mit ihrer Entscheidung, auf dem Land zu leben. Nähere Informationen zu Orsolyas und Ralph Veraarts Filmen, Projekten und Arbeit sind auf transylvanianfarm.org erhältlich

Ralph Veraart hat sich vor über 20 Jahren für ein Leben in Rumänien entschieden, seit rund fünf Jahren führt er mit seiner Frau eine kleinbäuerliche Landwirtschaft in Cehe]el, einem Dorf mit etwa 100 Einwohnern. Fotos: Laura Căpățână Juller

Es ist kurz vor acht Uhr morgens. Wir sind auf dem Weg nach Cehețel (ungarisch Csehétfalva), einem Dörfchen im Szeklerland, etwa 20 Kilometer von Odorhellen entfernt. Hier erwarten uns um 10 Uhr Orsolya und Ralph Veraart mit ihren beiden Kindern, acht und zwei Jahre alt. Wir sollen Fotos im Hof und im Garten machen, bevor der zu Mittag angekündigte Sturm beginnt. 

Wir sind schon sehr gespannt auf die beiden visuellen Anthropologen, die ihren Traum zur Wirklichkeit machten: im Einklang mit der Natur zu leben, wie einst Orsolyas Vorfahren. 

Die Familie betreibt in Cehețel eine kleinbäuerliche Landwirtschaft und führt ein regeneratives Leben, das sie mit den Grundelementen des Lebens verbindet: Erde, Luft und Wasser. Die Augen der Eltern strahlen regelrecht, wenn sie ihre Kinder im Hof mit Ton, Ziegen oder Pflanzen spielen sehen. Auf dem Land haben ihre zwei Söhne nicht nur gesundes Essen und reine Luft, sie lernen auch, ihre Nahrung und Kleidung selbst zu produzieren und dabei auf die Umwelt zu achten.

Eine Liebesgeschichte und ein gemeinsamer Plan 

Pünktlich parken wir vor dem blauen Holztor mit Hirsch-Motiven. Ein fröhliches Augenpaar blickt durch den Zaun zu uns, eine Kinderstimme ruft auf Englisch: „They are here!“ (Sie sind hier!) Sven ist acht Jahre alt und läuft barfuß durch den Hof, um seine Eltern herbeizuholen. Sein Vater, Ralph, stammt aus den Niederlanden. Er lebt aber seit über 20 Jahren in Rumänien, dessen Landschaft und Landleben ihn faszinieren. Anfangs war der ausgebildete Ingenieur für ländliche Entwicklung in der nachhaltigen Abfallwirtschaft und dem Umweltschutz in der Maramuresch tätig, danach arbeitete er in Klausenburg als Umweltingenieur. Dann traf er Orsolya, die damals Englisch und Literatur sowie ungarische Ethnografie und Anthropologie studierte. „Als klar war, dass wir unser Leben zusammen verbringen möchten, haben wir geheiratet und sind nach Tromsř, Norwegen gezogen, um gemeinsam visuelle Anthropologie zu studieren”, erklärt sie. Sie waren beide daran interessiert, Menschen und deren Geschichten, aber auch Handwerke mit der Videokamera festzuhalten. Mit ihren Dokumentationen sind sie durch ganz Europa gereist. Es begann eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Verband für Nordischen Anthropologischen Film (NAFA). Orsolya war für die Auswahl der Filme für das NAFA-Festival zuständig, Ralph ist mittlerweile stellvertretender Generalsekretär. Er leitet oder koordiniert auch weitere Organisationen zur Förderung des anthropologischen Films.

Ein Leben ohne Chemikalien 

Nach Svens Geburt in Norwegen schauten sie sich nach einem alten, traditionellen Haus in Siebenbürgen um, damit das Kind auf dem Dorf aufwachsen kann. „Ich habe immer gewusst, dass ich nach Hause, nach Siebenbürgen, zurückkehren werde. Ich kann mir nicht vorstellen, anderswo zu leben“, sagt Orsolya. Das Haus im kleinen Dorf, das von Feldern und Wäldern umgeben ist, eignete sich perfekt für die kleine Familie: das rund hundertjährige Gebäude war in relativ gutem Zustand, die Scheune stand, der Garten reichte für die kleine Landwirtschaft, die sie sich wünschten. Seit fünf Jahren leben sie nun im ungarischen Dorf. Ihr Lebensstil ist zeitaufwendig, teils auch weil sie keine Chemikalien im Garten anwenden. Orsolya erzählt, wie Ralph in einem Jahr hunderte Nacktschnecken, in einem anderen Jahr Koloradokäfer mit der Hand eingesammelt hat, um die Ernte zu retten. 

Von den Problemen kriegt der Erstgeborene nicht viel mit. Er jubelt, wenn er reife Gurken sieht oder die größte Zucchini erntet und stolz auf beiden Armen trägt. Die Zucchini wird zum Eintopf. Wir sind zum Mittagessen eingeladen, kochen zusammen mit Ralph in der Sommerküche, während Orsolya den Tisch vorbereitet und nach dem kleinen Iván schaut, der sich gerade unter dem Webstuhl versteckt und lacht. Der Wind bläst immer stärker, eine Tür knallt gegen die Wand. Die Mutter schließt alle Fenster. Die weißen Vorhänge in der Veranda wirbeln im Wind, es sieht so aus, als würde das Haus bald losfliegen. Der Familienvater geht schnell in den Hof, räumt ihn leer, schließt das Scheunentor. Es regnet in Strömen, während wir essen. Der Tisch sieht aus wie in einer Werbung für gesundes Essen. Vieles stammt aus der eigenen Produktion: der Eintopf mit Pasta, die eingemachten Zucchini, die Sakuska und der Auberginensalat. Der Weißkäse und das Brot sind von Bauern aus dem Dorf. Kürbiskerne und Schwarz-Kümmel-Öl stehen auch bereit. Alles ist ökologisch und sehr lecker. 

Auf Hühner aufzupassen ist spannend 

 „Es ist nicht leicht für eine moderne Frau, so zu leben, aber es liegt in mir, in meinen Genen, ich muss so leben – für mich und für meine Kinder“, meint Orsolya. Ihr Programm richtet das Paar nach den Kindern, nach den Tieren und nach dem Wetter. Hinzu kommt die Computerarbeit, die finanzielle Stabilität sichert. Ralph gestaltet und schneidet Dokumentarfilme, schafft Webseiten und leitet die Projekte im Dorf Cehe]el. Beide erledigen ihre Arbeit immer nach den augenblicklichen Prioritäten. Es bleibt nicht viel Zeit für Ausfahrten zu Kulturveranstaltungen, die sie sehr vermissen oder für Reisen zur Nordsee. Doch der gesunde Lebensstil, den sie auf dem Dorf führen, ist ihnen wichtiger. Und ihre Kinder sollen auf dem Dorf aufwachsen, das sichert ihnen mentale und körperliche Gesundheit. „In der Schule lernen Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen. Ralph und ich lehren sie die grundlegenden Elemente des Lebens: was Wasser, Erde und Luft bedeuten und woher das Essen kommt“. Es sei ein großer Verlust des modernen Lebens, dass die Menschen all das nicht mehr wissen. Sven hilft schon beim Säen mit, wundert sich über die ersten Stängel, die aus den Samen wachsen, über die Blätter und schließlich über jede Gurke, Zucchini oder Kartoffel, für die er gearbeitet hat. Er verfolgt den ganzen Prozess mit, auch beispielsweise das Pflücken der Früchte, das Kochen und Konservieren für den Winter. Er ist stolz, wenn er die Eier aus dem Stall holt, würde seine Verantwortung, auf die Hühner aufzupassen, mit nichts tauschen. Computerspiele und Fernseher kennen er und sein kleiner Bruder Iván nicht.

Kleidung aus Pflanzen

Auch lernt der Achtjährige, selber Kleidungsstücke zu entwerfen. Orsolya ist professionelle Weberin, zertifiziert in Kreislaufmode, und trainiert den älteren Sohn in ihrem regenerativen Textilatelier. Sie webt einzigartige Tücher, Westen und Jacken aus Garn und Fasern, die sie aus Pflanzen herstellt, die sie teils selbst gezogen hat. Wenn die Kinder älter sind, will sie diese Arbeit, die sie von ihrer Großmutter gelernt hat, auch wieder für kommerzielle Zwecke aufnehmen. 

Ihr Können teilen die Veraarts gerne mit anderen. Am Tag nach unserer Begegnung organisieren sie einen Workshop zum Färben der Wolle, an dem viele Eltern aus benachbarten Gemeinden teilnehmen. Das Endprodukt spenden sie der Waldorfschule, wo ihre Kinder lernen. „Der Staat hat die Grundfläche und das ehemalige Schulgebäude bereitgestellt, zahlt die Nebenkosten und die Angestellten, um alles andere kümmern wir uns“, erklären die beiden. Als Gemeinschaft setzen sich die Eltern ein und bauen neue Schulkörper, statten sie aus, bereiten natürliche Materialien für den Unterricht vor. Manche haben sich sogar in der Waldorfpädagogik ausbilden lassen, um unterrichten zu dürfen. Die Nachfrage wächst, sodass immer mehr Land, Gebäude und Lehrkräfte nötig sind. 

„Ich widme jetzt zehn Jahre meines Lebens hauptsächlich den Kindern, weil sie mich jetzt brauchen“, sagt Orsolya. Für die Zukunft nimmt sie sich vor, Kreatives zu tun – Gedichte schreiben, Filme machen, weben. Vielleicht auch das Projekt eines internationalen anthropologisches Filmfestivals weiterzuführen, das sie vor zwei Jahren mit Unterstützung der Dorfbewohner organisiert haben. Ihr Ehemann würde genau das, was er gerade macht, auch weiterhin machen, hätte er alle Zeit der Welt. Dazu auch noch im Wald wandern, studieren und sich ausruhen. Wir verabschieden uns mit dem Versprechen, uns unbedingt wiederzusehen. Das letzte Bild, das wir aus dem Auto sehen, ist von zwei Jungen, die fröhlich in einer Pfütze herumspringen und dann mit ihren Eltern auf der Dorfstraße spazieren gehen.