„Steine reden…“

Ist es verfehlt, das diesjährige Bartholomäusfest im Zeichen einer 800-Jahrfeier zu begehen?

Das diesjährige Bartholomäusfest steht kurz bevor. An diesem Wochenende soll es groß gefeiert werden. Angekündigt wurde es als 800-Jahrfeier des Bestehens der Bartholomäer Kirchengemeinde. Gegen dieses angedachte Jubiläum gab es deutlichen Einspruch seitens der Historikergilde, mit der im Prinzip stimmigen Begründung, dass keine dokumentarischen Belege vorliegen, die im Jahr 2024 ein 800-jähriges Jubiläum von Kirche und Kirchengemeinde in Kronstadt-Bartholomae rechtfertigen. Trotzdem sei die Frage erlaubt, ob es eventuell doch angebracht ist, das diesjährige Bartholomäusfest im Zeichen von 800 Jahren des Bestehens der Bartholomäuskirche und damit der dazugehörigen Kirchengemeinde zu feiern.
Wie kam es zum Vorhaben der Evangelischen Kirchengemeinde A.B. Bartholomae (Kronstadt), das diesjährige Bartholomäusfest als 800-Jahrfeier zu gestalten? Erinnert sei daran, dass vor 100 Jahren, anlässlich des Bartholomäusfestes im Jahr 1924, in Anwesenheit von Bischof Friedrich Teutsch 700 Jahre seit dem Errichten der Bartholomäer Kirche in beeindruckender Weise gefeiert wurden. In ihrem Bericht über dieses Fest schrieb damals die „Kronstädter Zeitung“ (am 28. August 1924): „Steine reden: von allen Kunstkennern wird die Entstehung der Kirche nach ihrem Stil mit zwingender Notwendigkeit in das erste Viertel des 13. Jahrhunderts verlegt, ja sie muß auch bald vollendet worden sein, denn auch das Gewölbe spricht eine frühe Sprache. Dazu kommen historische Gründe: der geistliche Marien-orden der deutschen Ritter ist 1225 nicht aus dem Burzenlande nach Preußen gezogen, ohne wenig-stens an den Hauptstätten seiner Wirksamkeit das Gotteshaus gegründet zu haben.“

Kunsthistorische Argumente
Man sieht: Die Argumente für die Begründung und Berechtigung einer 700-Jahrfeier waren damals, im Jahre des Herrn 1924, zunächst mal kunsthistorischer Natur. Aber auch in dem seither verstrichenen Jahrhundert kamen die Kunsthistoriker und kunsthistorisch Beflissenen, die sich mit der Bartholomäuskirche befassten, zu ähnlichen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Errichtung dieses ältesten Sakralbaus in Kronstadt. Angeführt seien einige Beispiele:

- „Die Gründung der Bartholomaeuskirche fällt also zweifellos in das 2. Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. Doch kann der Bau der heute dastehenden Kirche nicht vor 1223 begonnen worden sein.“ (Eduard Morres im Kronstadt-Band der Burzenland-Monographie, Kronstadt 1928)
- „Die im dritten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts begonnene Basilika gehört zu den größten siebenbürgischen Kirchenbauten dieser Zeit. Mit einer Gesamtlänge von 59 m und einer Breite des Querschiffs von 30,2 m (…) hat sie vergleichbare Maße mit Großschenk und Kerz.“ (Hermann Fabini: Atlas der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen und Dorfkirchen, 3. Aufl., Hermannstadt 2002)
- „Im Schutz dieser Burg (gemeint ist die Fluchtburg auf dem Gesprengberg) und von einer eigenen Wehrmauer umgeben, entstand nordöstlich des Berges als ältester Sakralbau und wohl früheste Pfarrkirche der Stadt die Bartholomäuskirche nach 1223 als romanische Basilika im gebundenen System mit Querhaus und polygonalem Chor.“ (Arne Franke: Kronstadt/Bra{ov. Ein kunstgeschichtlicher Rundgang durch die Stadt unter der Zinne. Mit einer historischen Einführung von Harald Roth, Regensburg 2008)
- „Die Bartholomäuskirche entstand um oder bald nach 1200 als wohl früheste Pfarrkirche der Stadt und ist der älteste Sakralbau Kronstadts.“ (Silvia Popa: Kirche St. Bartholomä, Kronstadt/Bra{ov/Brassó, Heft 3 der Reihe „Kleine Kunstführer in der Potsdamer Bibliothek östliches Europa“, Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2014)

Aus all diesen Zitaten kann man schlussfolgern, dass der Baubeginn der Bartholomäuskirche im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts (und nicht später) angenommen werden muss. Die früheste Datierung über den Baubeginn ist die rezenteste, jene von Silvia Popa. Vermutlich spielen dabei bereits die neusten Erkenntnisse über die frühe Geschichte Kronstadts, aufgrund der Schlussfolgerungen aus den archäologischen Grabungen, die vor rund zehn Jahren rund um die Schwarze Kirche vorgenommen wurden, eine Rolle. Doch auch Silvia Popas Angaben können dem ersten Viertel des 13. Jahrhunderts subsumiert werden. Und dieses erste Viertel, in Jahreszahlen ausgedrückt, dauerte von 1201 bis 1225. Insofern und in Ermangelung konkreter Anhaltspunkte ist es unseres Erachtens nicht falsch, sozusagen virtuell die Anfänge der Bartholomäuskirche vor das Ende des ersten Viertels des 13. Jahrhunderts zu platzieren und folglich berechtigterweise – auch unter Berücksichtigung des Präzedenzfalls von 1924 - im Jahr 2024 an das 800-jährige Bestehen der Bartholomäuskirche zu erinnern.

200 Jahre älter als die Schwarze Kirche
Apropos Präzedenzfall: Es gibt Derartiges in der Erinnerungskultur der Siebenbürger Sachsen, wo aufgrund angenommener, aber faktisch nicht belegter Datierungen wichtiger historischer Ereignisse gedacht wurde. Beispielsweise organisierte die damalige Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e. V. (heute Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e. V.) im Herbst 1991 groß angelegte Gedenkveranstaltungen im Zeichen von 850 Jahren seit Beginn der Ansiedlung westlicher, vor allem deutscher Einwanderer in Siebenbürgen. Es gab damals eine zentrale Gedenkfeier in der Paulskirche in Frankfurt am Main sowie die Ausstellung „850 Jahre Siebenbürger Sachsen“ im Historischen Museum der Stadt Frankfurt am Main, von der auch heute noch ein schönes Begleitbuch Zeugnis ablegt. Als Orientierungspunkt für dieses 850-jährige Jubiläum galt das Jahr 1141, in dem der ungarische König Geisa II. (Géza II.) seine 21-jährige Regierungszeit (1141-1162) angetreten hatte. Unter König Geisa II. begann die Ansiedlung westlicher Hospites in Siebenbürgen. Als aber dieser Geisa II. gekrönt wurde, war er gerade mal 11 Jahre alt (geboren 1130), ergo noch zu jung, um die Regierungsgeschäfte selbst auszuüben. Es ist nicht anzunehmen, dass er bereits in seinem ersten Regierungsjahr deutsche Ansiedler nach Siebenbürgen berief. Genaueres darüber weiß man nicht. Trotzdem beeilte man sich, 1991 das 850-jährige Ansiedlungsjubiläum zu feiern.

Auch aus kulturpolitischen Gründen ist es unseres Erachtens nicht unwichtig, bei geeigneter Gelegenheit (so eine ist zweifellos das Bartholomäusfest) an das mindestens 800-jährige Bestehen der Bartholomäuskirche zu erinnern. Der bereits weiter oben erwähnte Kunsthistoriker Arne Franke schätzt sie als „einen der bedeutendsten Sakralbauten des Mittelalters in Südosteuropa“ ein. Trotzdem ist dieses wichtige Baudenkmal in der breiten Öffentlichkeit eher unbekannt. 1972 erschien im Bukarester Meridiane-Verlag das auf rund 450 Seiten üppig illustrierte Handbuch „România – monumente istorice {i de art˛“ (Rumänien – historische und Kunstdenkmäler). Kronstadt kommt in diesem Kunstführer mit sieben Baudenkmälern (altes Rathaus, Schwarze Kirche, St.-Nikolaus-Kirche, Katharinentor, rumänische Schule in der Oberen Vorstadt, Weißer Turm, Weberbastei) vor. Angaben zur Bartholomäuskirche sucht man hier aber vergebens. Schuld am Schattendasein dieses kunsthistorisch wertvollen Gotteshauses ist zweifellos vor allem dessen periphere Lage. Der große Touristenstrom, der die Innere Stadt, das historische Stadtzen-trum mit der Hauptattraktion Schwarze Kirche, quasi ununterbrochen heimsucht, nimmt die Bartholomäuskirche bestenfalls beim Vorbeifahren aus Bus oder Pkw wahr. Deshalb ist es unserer Meinung nach wichtig, die älteste Kirche Kronstadts (rund 200 Jahre älter als die Schwarze Kirche!) vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, diesmal auch durch ihre 800-Jahrfeier, die sicherlich nicht verfrüht, sondern eher mit etlichen Jahren Verspätung angesetzt ist.