Unter dem Titel „Die Verweigerung der Negativität. Gespräch über Hiob und Apollon“ ist im Berliner Verlag Noack & Block vor Kurzem ein Buch erschienen, das aus unmittelbarer Nähe Einblick in die Gedankenwelt und Freundschaft zweier Schriftsteller mit südosteuropäischen Wurzeln gewährt. Das „Gespräch über Hiob und Apollon“ führten im Herbst 2011 der aus der Bukowina stammende, vor zwei Jahren verstorbene Lyriker, Übersetzer und Bildhauer Manfred Winkler und der in Siebenbürgen geborene Erzähler und Essayist Hans Bergel.
Sie lernten sich in den fünfziger Jahren in Bukarest kennen und sahen sich erst 1995 wieder – ihre Freundschaft blieb jedoch über Jahrzehnte bestehen. Hiob und Apollon gehören nicht nur zu ihren zahlreichen Gesprächsthemen – sie symbolisieren unterschiedliche Weltsichten: auf der einen Seite alttestamentarische, jüdische Prägung, auf der anderen hellenistisch-abendländisches Denken. Auch die Persönlichkeiten divergieren: Winkler beschreibt sich mit der Formel der „fruchtbaren Passivität“ (S. 28), Bergel stellt bei sich „angeborene Provokation“ fest (S. 29). Die „Seelenverwandtschaft“, wie Winkler und Bergel ihre Freundschaft nennen, überbrückt jedoch diese Differenzen, denn beide Schriftsteller fühlen sich zuallererst dem Menschlichen jenseits von Trennlinien verbunden und sehen sich literarisch stets zu dessen Sichtbarmachung verpflichtet (S. 109).
In ihrem Gespräch geht es um Politik, Religion, Kunst, Gesellschaft, Kirche, Natur – um „Fragen und Antworten zweier Männer, die von ihrem Freundschaftsverhältnis und ihrem fortgeschrittenen Alter her nichts voreinander zu verbergen haben“ (S. 14). In gewisser Weise ist dieses Buch somit eine Weiterführung des 2011 erschienenen „Wir setzen das Gespräch fort. Briefwechsel eines Juden aus der Bukowina mit einem Deutschen aus Siebenbürgen“ – mit dem Unterschied, dass es sich diesmal um ein informelles Nachtgespräch handelt, das von Gedankensprüngen, Zwischenbemerkungen und großer Direktheit gekennzeichnet ist.
Ein Verdienst des Buchs liegt darin, dass die Autoren aus eigener Erfahrung (und mit literarischer Ausdruckskraft) über eine Welt berichten, die sonst nur noch in Geschichtsbüchern und Archiven konserviert wird. Sie unterhalten sich auf Augenhöhe, was zwischen Zeitzeugen und Spätergeborenen in dieser unmittelbaren, knappen Form und ohne erklärende Fußnoten nicht möglich wäre. Manfred Winkler, geboren 1922 in Putilla, und Hans Bergel, geboren 1925 in Rosenau/Râşnov, erlebten die Höhen und vor allem die Tiefen des 20. Jahrhundert: „Verlust und Zerstörung der heimatlichen Welt, Deportationen, Tod, Emigration, Familienzerreißung, Flucht“ und „vielfache Rückbindung an durchlaufene Stationen wie an Menschen“ (S. 94). Trotzdem – oder gerade deshalb – reflektieren sie über die Gegenwart mit einem tiefen Verständnis für die Triebkräfte der Geschichte und mit einem jugendlichen Elan, der imponiert. Darüber hinaus denken sie zutiefst europäisch und „kulturenverbindend“ (S. 18) – nicht, weil dies heute politisch das einzig Vernünftige ist, sondern weil es für sie als geborene Südosteuropäer vollkommen selbstverständlich ist. Eine Selbstverständlichkeit, die zunehmend zur Rarität wird.
Bemerkenswert ist die Offenheit des Dialogs: die Aussagen entrüsten manchmal und sind weit entfernt von den blassen, heute inflationären Binsenwahrheiten, die sich als ‚political correctness‘ tarnen. Die Kritik will hier wachrütteln und mahnen. So fragt Manfred Winkler in Bezug auf Europa: „Denken eure Leute im Ernst, bloß weil sie sich für ‚modern‘ halten, sei die Welt von Antriebsmotiven und Entwicklungen frei, die anders verlaufen, als sie es sich in ihren fortschrittlichen Vernebelungen ausmalen?“ (S. 51). Und Hans Bergel bemängelt die falsch verstandene Wiedergutmachung, die in Wirklichkeit freiwilliger Identitätsverlust ist – etwa wenn sich „die Intellektuellenschicht“ in Deutschland aus dem „ihr … zugewachsenen Deutschsein hinausstiehlt“, um vermeintlich mit dem Versagen von 1933-1945 „auf ehrenhafte Art fertig zu werden“ (S. 19).
Ein weiterer Vorzug des Buchs besteht darin, dass der Leser unkompliziert Zugang zum Gedankenkosmos der zwei Autoren erhält – denn nicht wenige der hier angerissenen Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch das Oeuvre der Schriftsteller. „Die Freiheit, sich im Sinne der Humanitas zu entscheiden. Ich lasse sie mir nicht ausreden“, sagt Hans Bergel auf Seite 85; wer seine Bücher kennt, entdeckt in diesem Satz eine Schlüsselaussage.
Ergänzt ist das Buch von Gedichten und Illustrationen sowie von einigen Texten, die wechselseitig Werk und Autor beleuchten, etwa „Die Liebe zur deutschen Sprache. Skepsis und Melancholie in Manfred Winklers Lyrik“ von Hans Bergel oder „Alles Suchen der Ruhe ist ein Suchen des Todes. Die Präsenz des Lyrischen in Hans Bergels Prosa“ von Manfred Winkler. Auch werden erstmals zwei Essays aus dem Privatarchiv Hans Bergel veröffentlicht: „Palamelas wunderbar heimliches Lachen. Frauengestalten in Hans Bergels Erzählungen und Novellen“ und „Über die Philosophie des Erzählens. Gedanken zu Hans Bergels Essay ‚Der Tod des Hirten‘“ – beide Texte hat Manfred Winkler verfasst. Das Schöne dabei: die Literaturkritiker sind in diesem Fall nicht nur gute Kenner der Materie, sondern vor allem selber künstlerische Schöpfer – deshalb ist ihnen die Trockenheit einer literaturwissenschaftlichen Analyse völlig fremd. Im Gegenteil, die lebendige Sprache des Anderen, des Freundes, wird aus der Perspektive der eigenen lebendigen Sprache wahrgenommen, mit Feingefühl und Gespür fürs literarisch Wesentliche. „Wir haben viel miteinander philosophiert – so wie andere miteinander musizieren“ (S. 169), bringt es Manfred Winkler auf den Punkt.