„Wir wollen eine Utopie aufbauen“

Pfarrerin Adriana Florea über ihre Tätigkeit als Direktorin des Ökumenischen Zentrums „Agape“ in Italien

Pfarrerin Adriana Florea (rechts) verkündigt das Wort Gottes in Italien an junge Leute. Ihre Mission als Direktorin des Ökumenischen Zentrums „Agape“ ist es auch, Dialoge über verschiedene Themen wie aktuelle politische und soziale Fragen, geschlechtsspezifische, spirituelle und theologische Themen sowie Ausbildung und Bildung mit den Teilnehmern der Camps zu führen.

Die junge Pfarrerin lebt in einer Gemeinde bei 1600 Metern Höhe, in der Nähe der Stadt Turin und der französischen Grenze. Fotos: privat

Pfingsten 2023 wurde Adriana Florea von ihrem Amt als Pfarrerin der Honterusgemeinde festlich verabschiedet. Nach rund neun Jahren in Kronstadt zog sie nach Italien. Dort leitet sie das ökumenische Zentrum „Agape“ (kommt aus dem Griechischen und bedeutet selbstlose, nicht sinnliche Liebe, die auf das Wohl anderer gerichtet ist, ohne eine Gegenleistung zu erwarten), ein Begegnungszentrum in den Alpen, wo Gläubige verschiedener Religionen und Konfessionen, sowie auch Nichtgläubige den Rahmen für Dialog und Wertschätzung der Unterschiede finden. Im September ist Adriana Florea nach Kronstadt gekommen, um zwei gute Freunde in der Schwarzen Kirche zu trauen. So konnte uns sie erzählen, wie es ihr in Prali, einer Gemeinde in der Nähe von Turin und der französischen Grenze, in der Region Piemont, geht.

Auf Facebook und Instagram postet die Pfarrerin manchmal Fotos von bezaubernden Sonnenuntergängen und von einer traumhaften Berglandschaft. Sie wohnt bei 1600 Metern Höhe und freut sich jeden Tag über die frische Luft und das Grün der Tannen. Manchmal sind in den sozialen Medien auch Bilder zu sehen, in denen sie, umgeben von jungen Leuten, bei Gruppenaktivitäten breit lächelt. Die Jugendlichen in den Bildern sind Freiwillige, mit denen sie im Zentrum wohnt, kocht und ihren Alltag verbringt und zahlreiche Bildungscamps und Workshops für Kinder, junge Leute und Familien, sowie für Feministinnen, für Mitglieder der LGBTQ-Gemeinschaft oder buddhistische Gruppen vorbereitet.

Menschenrechte und religiöse Toleranz im Mittelpunkt

Die zehn festen Freiwillige des Ökumenischen Zentrums sind unterschiedlicher internationaler Herkunft, sie kommen aus Deutschland, Uruguay, Argentinien, der Türkei und Albanien und bleiben ein oder zwei Jahre bei Agape, wo sie auf eine inklusive und nachhaltige Weise experimentieren, in einer Gemeinschaft zu leben und gleichzeitig in einen interkulturellen und interreligiösen Dialog einzutauchen. Ihre Erfahrung in der Jugendarbeit, die sie im Rahmen der Evangelischen Kirche in Rumänien sammelte, kann sie hier anwenden.

Das Agape-Begegnungszentrum wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Bedürfnis nach Versöhnung und Zusammengehörigkeit gegründet, das auf nationaler und internationaler Ebene empfunden wurde. Der Waldenserpfarrer Tullio Vinay ließ sich vom Wunsch nach Frieden und Wiederaufbau inspirieren und ließ das Zentrum errichten, das zu den Zentren und Organisationen der Waldenserkirche in Italien gehört. Dies ist eine protestantische Kirche, die als eine der ältesten evangelischen Bewegungen Europas gilt. Sie ging von Petrus Valdes aus, einem reichen Kaufmann aus Lyon, der im 12. Jahrhundert sein Vermögen verteilte und ein Leben in apostolischer Armut forderte. Die Bewegung schloss sich im 16. Jahrhundert der Reformation an und ist heutzutage vor allem in den norditalienischen Regionen Piemont und Toskana, sowie in einigen Ländern Südamerikas verbreitet. „Das Zentrum ist sehr, sehr offen“, erklärt Florea. Sie findet es sehr toll, dass man sich in dieser sozialen und ökumenischen Ausrichtung für Menschenrechte, Gerechtigkeit und religiöse Toleranz einsetzt und will ihren Beitrag dazu leisten. Das hat sie auch in ihrer Freiwilligenarbeit im Laufe der Zeit hier begeistert, als sie theologische Camps organisierte. Seither ist sie immer wieder als Freiwillige nach Prali zurückgekehrt und hat sich für die Werte, die ihr wichtig sind und hier vermittelt und gelebt werden, eingesetzt. Von 2018 bis 2020 war sie im Vorstand des Zentrums, nun ist sie Direktorin und wird dieses bis 2028 leiten.

Auch Nichtgläubige finden Zugang zur Spiritualität

So kann sie ihre Vision direkt einsetzen und durch die zahlreichen Bildungscamps, die sehr beliebt sind, verbreiten. Internationale Gruppen finden beim Ökumenischen Zentrum einen Raum für Diskussionen über verschiedene Themen wie aktuelle politische und soziale Fragen, geschlechtsspezifische, spirituelle und theologische Themen sowie Ausbildung und Bildung. „Es werden hier keine vorgefertigten Antworten gegeben, sondern vielmehr Denkanstöße und das nötige Werkzeug, um sich mit verschiedenen Themen kritisch auseinanderzusetzen“, sagt die Pfarrerin. „Es kommen viele Menschen zu uns, die ganz verschiedene Hintergründe haben, manche sind Atheisten oder haben keine Beziehung mehr zur Kirche. Und sie sagen uns, dass sie bei Agape einen anderen Zugang zur Spiritualität finden“. Das Team ist bemüht, Leute aus der ganzen Welt zu vereinen und ihnen die Möglichkeit zu bieten, miteinander durch Gespräch Toleranz zu üben.

Diesen Sommer erzählten Teilnehmer aus Palästina jungen Menschen aus Kuba und aus verschiedenen Ländern Europas bei Camps über den Krieg und den Kontext in ihrem Land, konnten aber auch den Frieden leben. „Unser Ziel ist es, ihnen eine neue Perspektive aus dem Gesichtspunkt des christlichen Glaubens zu bestimmten Themen zu geben“, erklärt die Direktorin des Zentrums. „Wir wollen eine Utopie aufbauen, indem wir die Leute zusammenbringen und eine Bühne schaffen, auf der sie durch Dialog Versöhnung erleben. Wir zeigen und (er)leben hier etwas, das sie dann außerhalb des Zentrums in die Welt tragen sollen, um eine bessere Welt zu schaffen.“ In diesem internationalen und offenen Kontext ist es eine Herausforderung, immer die richtigen Worte zu wählen. „Wir müssen schauen, was für Wörter wir benutzen, wie wir die Themen ansprechen, um niemanden zu beleidigen, gleichzeitig möchte ich mir und meinem Glauben treu bleiben. Es ist nicht sehr leicht, bei Agape zu verkündigen“, gibt die Pfarrerin, die in Italienisch, Spanisch und Englisch mit den Freiwilligen und Besuchern spricht, zu.

Eine Berufung auf Zeit

Umso stolzer ist sie auf die positiven Rückmeldungen der Teilnehmer, die sie und das Zentrum erhalten. Die Arbeit führt sie voller Begeisterung weiter, erzählt enthusiastisch über die Aktivitäten mit den Freiwilligen, über deren Fortschritte und Leistungen. „Es ist sehr toll, zu sehen, wie die jungen Menschen in einem Jahr hier wachsen und sich entwickeln, wie sie ihrer Verantwortung nachgehen und am Ende ihrer Freiwilligenzeit sehr vieles können.“ Zudem verbinden sie damit zahlreiche Erinnerungen, nicht nur an die thematischen Abendessen, die jeder abwechselnd vorbereitet, oder an das gemeinsame Singen und Reisen, sondern auch an den großen Schnee, wegen dem im vergangenen Winter die Straßen gesperrt wurden und sie allesamt im Tal übernachten mussten.

Freude bereiten Adriana Florea in ihrer temporären Heimat auch die Einladungen des Pfarrers im Dorf, ab und an Predigten in der Kirche zu halten. Das ist etwas, was sie von Zuhause sehr vermisst. „Auch die Seelsorge fehlt mir sehr und die Gemeinschaft“, sagt die Direktorin des Agape-Zentrums. „Ich bin nicht aus Rumänien weg, weil es mir hier nicht gefällt, sondern weil diese Möglichkeit aufkam“. Die Herausforderung, die Verkündigung auf eine neue Art und Weise zu machen, sieht sie als Berufung auf Zeit und stellt sich aber gut vor nach den fünf Jahren in der Piemont-Region wieder in einer Kirche tätig zu sein.

In ihrer wenigen Freizeit reist die junge Pfarrerin gerne mit den Freiwilligen oder mit Freunden, die sie besuchen. Nach Kronstadt kommt sie immer wieder gerne zu Besuch.