Wissenschaft zur Schaffung einer wünschenswerten Welt

Anthropologe Alexandru Dincovici in Kronstadt zu Gast

Die dritte Auflage der Veranstaltungsreihe für Wissenschaft, Erziehung und Technologie SETBv, die seit dem 8. Oktober und noch bis zum 17. Dezember unter dem Motto Think in the Future (Denk in die Zukunft) in Kronstadt stattfindet, hat in diesem Jahr ein interessantes Programm.

Am 8. November fand im Apollonia-Kulturzentrum eine Diskussion zum Thema Wechselbeziehung zwischen Wörtern und Realität(en) - statt. Der Moderator Adrian Sandu, Vizepräsident des District Hub, Veranstalter der Reihe, hatte als Gast den Anthropologen Alexandru Dincovici. Der Titel des Dialogs lautete „Von der Beschreibung zur Schaffung der Welt“, wobei in über zwei Stunden interessante Ansätze der Sprachphilosophie, ontologische Prinzipien der Sozialwissenschaften, Studien der neueren und älteren Medizin, politische Kontroversen und umstrittene Wirtschaftsmodelle angesprochen wurden – alles mit dem Bestreben, die performative Kraft der Wissenschaft in Erwägung zu ziehen.

Von sprechenden Steinen und britischen Forschern
Ausgehend von der Tatsache, dass Wissenschaft die Welt erkundet und (mittels der Wörter) erklärt, begann das Gespräch mit einer Frage: „Sind Wissenschaft und Politik separat zu betrachten?“. Das Beobachten der Situationen, in denen Politik die Wissenschaft regelte, bringt laut Dincovici Einsicht in die Rolle der Wissenschaft als Autoritätsfaktor, um etwas durchzusetzen. Als erstes Beispiel nannte der Anthropologe die zur Meme gewordene und nun in Witzen verwendete einleitende Formel „die britischen Forscher haben entdeckt...“. Ideologie ist und bleibt, so Dincovci, eine wichtige, nicht übersehbare Ader der Wissenschaft und das Streben der Wissenschaft, ihre Autonomie zu wahren, sei mehr oder weniger idealistisch verankert – wenn man auch nur oberflächlich dem Geld folgt (follow the money-Prinzip): die Politik bestellt und finanziert die Studien bzw. – wie im Falle der USA während des Kalten Krieges - rechtfertigt sie überhaupt als notwendig. Ausgehend von einer Anekdote des Anthropologen Irving Goldman, wie der Anführer eines Eingeborenen-Stammes einer „pale-skin“ (Bleichgesicht) erklärte, dass Steine sprechen, beantwortete Dincovici die Frage, was Sprache bewegen kann. Sprache hat die Kraft uns als gegenwärtig anzumelden; Sprache beschreibt die Welt.

Wirtschaft ist eine der perfor-mativsten Welten, die es gibt
Die Finanzkrise Ende der 2000er wurde von Soziologen „das Versagen der Versprechen“ genannt. Die Pyramide der Derivate, die eigentlich eine Reihe von Versprechen sind, ist gestürzt. Wirtschaft schafft Welten, indem sie Beziehungen in Taten umsetzt und somit Sachverhältnisse verwirklicht – siehe, so Dincovici, das Black-Scholes-Modell. Die Wirtschaft leitet ihre Kraft auch von der starken Bindung zur Politik und verändert die Welt. Hier besprach Dincovici das Konzept „finanzielle Erziehung“ und die ihr eigenen Modelle, die ein spezifisches Instrumentar benutzen. Als Beispiel nannte er die Möglichkeiten, sich ein Haus zu kaufen: die „erzogene Gesellschaft“ hat Ersparnisse oder Bankkredite, „setzt das Geld in Bewegung“, wobei die „unerzogene Gesellschaft“ Hochzeiten mit 400 Gästen feiert und von einem reicheren Verwandten Geld borgt.

Der Anthropologe brachte die interessante Ausführung bis zu Themen wie chronische Zustände und Leiden, Nachhaltigkeit und künstliche Intelligenz, Andrew Pickerings Analogie zwischen quantischer Physik und dem Schamanismus, Bindungstheorie und die Studie über das rumänische Wort dor. Er schlussfolgerte mit einer Hinführung auf Adrian Marino und auf eine ontologische Politik im Gegensatz zur politischen Ontologie: wenn alles in gewisser Hinsicht performativ ist, sollte man sich vornehmen, die Wissenschaft absichtlich und bewusst zur Beschreibung und Schaffung der wünschenswerten Welt, in der man dann auch leben wird, zu nutzen.

SETBv wird von dem Verein District Hub und dem Apollonia-Kulturzentrum aus Privatfonds von Sponsoren organisiert und bietet dem Publikum kulturelle Anregung in Form von Gesprächs-, Seminar- und Workshop-Runden, Konferenzen, Ausstellungen und Filmvorführungen, die kostenlos besucht werden können. Vollständiges Programm und Anmeldungen bei setbv2024.districthub.ro/program.