Bischof Georg Daniel Teutsch (1817-1893) schreibt in seiner Gesamtkirchenvisitation in Siebenbürgen von 1870 bis 1888 „(...) die untergegangene Gemeinde Bethlen, auf dem linken Altufer, wohl nie ein organisches Glied der sächsischen Nation gewesen. Der letzte Pfarrer Gebel verließ 1831 die Gemeinde, die ihm keine Stätte zu Arbeit und Leben mehr bot. Die alten Kirchenregister gehen bis 1665 zurück; eine Glocke trägt die Jahreszahl 1584, auch Sachs von Harteneck, für ihren sowie für Fogaraschs Bestand tätig, hatte der Gemeinde eine Glocke geschenkt. Das Kirchenvermögen ist zum Teil nach Fogarasch übergegangen“, so Teutsch.
Etwa drei Kilometer westlich von der Stadt Fogarasch, an der Hauptstraße zwischen Kronstadt und Hermannstadt gelegen, befindet sich die rumänische Gemeinde Beclean, die zu deutsch Betlen, sächsisch Bodlinen heißt und über Jahrhunderte hindurch von Sachsen bewohnt war. Nach der Reformation wurden diese sächsischen Bewohner evangelisch und besaßen bis 1831 ihre eigene evangelische Kirche mit eigenem evangelischem Pfarrer.
Betlen wird 1235 erstmals als Betlen in einer päpstlichen Zehntliste als katholische Siedlung erwähnt, und befindet sich in der terra Blacorum, Name des damaligen Fogarascher Gebietes, welches schon 1222 in einer Urkunde Andreas II. von Ungarn erwähnt wird. Betlen befand sich nicht auf dem ursprünglichen Ansiedlungsgebiet der Sachsen, und gehörte im 13. Jahrhundert kirchlich zum Bistum Kumanien, welches sich in Siebenbürgen südlich und östlich des Altflusses, (Kerzer- bzw. Fogarascher Land) erstreckte, im Osten ans Burzenland grenzte und sich bis südlich der Südkarpaten und Süden der Moldau ausdehnte. 1228 wurde das Bistum der Kumanen (Bistum Milkow) durch Papst Gregor IX. in der Walachei gegründet, welches er dem Erzbischof von Gran (heute Esztergom) unterstellte, Gebiet, welches unter ungarischer Oberhoheit stand. Ein Jahr davor hatte Robert, Bischof von Gran, 15.000 Kumanen mit ihrem Fürsten zum Christentum bekehrt. Der aus dem Bistum Lüttich stammende Dominikaner Theoderich wurde zu deren Bischof ernannt. Ab 1233 trug der ungarische König Bela IV. auch den Titel rex Cumaniae, König Kumaniens.
Interessant ist, dass in diesem Gebiet des viel späteren Milkower Bistums, am Milkowfluss, Sabas der Gote 372 n. Chr. wegen seines christlichen Glaubens vom arianischen Stammesgenossen, vom Gotenführer Atharid im Fluss Musäus (heute Buz²u) ertränkt wird. Er wurde zum Märtyrer der katholischen und orthodoxen Kirche erklärt und trägt im Rumänischen den Heiligennamen Sfântul Sava de la Buzău, oder Sava Gotul (Sabas der Gote). Im sogenannten Caucaland, siedelten die Goten von 376 bis 395 n. Chr.
1509 wird der Ort als „Bethlen“ urkundlich erwähnt. Im 17. Jahrhundert wird das Dorf als oppidum (= Marktflecken) erwähnt. Später erhält dieses Gebiet, nach dem Gebietsvorort Fogarasch, der sich nach und nach dazu entwickelt hatte, den Namen Fogarascher Land. Vom 13. bis ins 18. Jahrhundert hinein, hieß dieses Gebiet mit deutschem Namen Cherzzerland (= Kerzer Land), nach dem Dorf Kerz und seiner dort sich befindenden Kerzer Abtei benannt. Vom 14. bis zum 17. Jahrhundert wechselten ständig die Herrscher dieses Gebietes.
Die Sachsen und Rumänen lebten hier in ständiger Feindschaft. Aus diesem Grunde hatte der walachische (rumänische) Fürst Vlad der Pfähler (geb. um 1431, gest. 1476/77) einen Teil von ihnen im August 1460 vernichtet, als er aus der Walachei ins Fogarascher Gebiet eindrang. Im selben Jahr noch verordnete der ungarische König Matthias Corvinus den Kronstädtern u.a. auch Betlen neu zu besiedeln. 1766 gelangt das Fogarascher Dominium an die Sächsische Nationsuniversität, die die politische Vertretung der Sachsen war, wohin das Dorf bis zu dessen Auflösung 1831, gehörte. Im Jahre 1839 war das Dorf nur von Walachen (=Rumänen) bewohnt und diese waren Untertänige der Kastellane von Fogarasch.
Aus historischen Quellen wissen wir, dass im Laufe der Zeit die Sachsen und die Rumänen abwechselnd den Dorfvorsteher, den Hann im Dorf stellten, so dass mal ein Sachse, mal ein Rumäne, oder sogar beide gleichzeitig den Dorfvorstand der politischen Gemeinde inne hatten. Im Jahre 1632 waren z.B. der Sachse Fazakas Mihaly (= Michael Depner) und der Rumäne Koman Frunk gleichzeitig judex, also Hannen-Vorsteher der jeweils völlig unterschiedlichen Dorfgemeinschaften. In jenem Jahr gab es 60 rumänische und 20 sächsische Familien im Dorf, die allesamt Hörige des Fogarascher Kastellans waren. Ihre deutschen Namen wurden in ungarischer Schreibweise geführt, da sie von Fogarascher Ungarn in Evidenz genommen wurden. 1810 gab es z.B. 3 Richter (=Hannen), 2 Sachsen und 1 Rumänen.
Während der Reformation treten die Sachsen vom katholischen zum evangelischen Glauben über. Bis Anfang des 18. Jahrhunderts gehörte die evangelische Kirchengemeinde dem Schenker Kapitel an, und wurde dann von der ungarisch-reformierten Superintendentur in Fogarasch unter ihre Jurisdiktion gezogen, deren ein reformierter Dechant vorstand. In inneren geistlichen Angelegenheiten unterstanden sie aber dem evangelischen Bischof in Birthälm. Außerdem gab es noch eine griechisch nicht-unierte Kirche im Dorf, die den griechisch-orthodoxen Rumänen gehörte.
Im Jahre 1665 kommt die evangelische Kirchengemeinde in Betlen zum ungarisch-reformierten Konsistorium in Fogarasch. Dadurch bestanden zwischen 1666 und 1700 enge konfessionelle Beziehungen zwischen den Betlener und Fogarascher evangelischen Gläubigen, da in dieser Zeitspanne in Fogarasch keine evangelische Kirchengemeinde mehr existierte. 1666 erlosch in Fogarasch die evangelische Gemeinde, nachdem der letzte evangelische Pfarrer Martin Dietrich nach Roseln berufen wurde. Die ihrem Glaubensbekenntnis und ihrer Sprache getreuen Sachsen von Fogarasch wanderten zu den Gottesdiensten in diese Nachbargemeinde, wogegen der evangelische Pfarrer nach Fogarasch kam, hier die evangelischen Kinder taufte, den Kranken das heilige Abendmahl reichte und abwechselnd mit dem reformierten Pfarrer von Fogarasch den Trauernden an den Gräbern der ihrigen Trost sprach. Dann wurde ihm in Fogarasch jegliche Seelsorge auf das Strengste untersagt und die glaubens- und volkstreuen Sachsen mussten die mannigfaltigen Drangsalen ausstehen. So wurden einige Sachsen ins Gefängnis geworfen, weil sie den Fürsten Michael Apafi den Älteren gebeten hatten, er möge dem Betlener Pfarrer erlauben, die Kinder evangelischer Eltern in Fogarasch zu taufen und den Kranken und Altersschwachen das heilige Abendmahl zu reichen, indem für diese die Reise nach dem benachbarten Betlen zu beschwerlich sei. So wurden die Sachsen von ihrem evangelischen Glauben geschreckt und bedrängt.
1700 schenkt Sachs von Harteneck (1664-1703), Graf der sächsischen Nation und Königsrichter von Hermannstadt und eifriger Förderer der evangelischen Sache, den Betlener Sachsen eine Glocke. Folgende evangelisch-sächsische Pfarrer von Betlen sind uns aus schriftlichen Quellen namentlich bekannt: Johann Kraus (1605), Johann Fabri Petrimontanus (=Petersberger), (1616), Michael Gürtsch (1665), Mathias Angjert (1709), Johann Ongyert (1728), Michael Gross (1758), Andreas Zaum (1806). Um 1810 ist hier ein gewisser Andreas Schuster, aus Scharosch/Alt gebürtig, als Kantor der evangelischen Gemeinde tätig, und dessen Frau Katharina Hebamme im Dorf. Ein Teil der Familie geht später nach Kleinschenk, ein Teil der Nachkommen geht nach Fogarasch. Als nun in Fogarasch die evangelische Kirche ihr Fundament als Kirchengemeinde gesichert hatte, sahen die Betlener Sachsen ein, dass ihre Kirchengemeinde zu klein war, ihre Bedeutung für die nahe gelegene Stadt verloren, und so entstand ein Einwohneraustausch, und zwar übersiedelten die Betlener Sachsen von Betlen nach Fogarasch und vergrößerten dort die Anzahl der evangelischen Gemeindemitglieder. Die Rumänen aus Fogarasch besetzten dagegen in Betlen ihre Höfe und Äcker. 1831 verlässt der letzte evangelische Pfarrer Gebel die Gemeinde. Die Sachsen ziehen ins nahe gelegene Fogarasch um, wo sie sich ihren Landsleuten und Glaubensbrüdern anschließen.
Die Betlener waren im Laufe der Jahrhunderte Bauern und Handwerker gewesen, die zur Walachei Handelsbeziehungen pflegten. Somit gab es hier einst die üblichen Gewerbenamen, wie Schuster, Schneider, Weber, Wagner u.a. Im Jahre 1636, unter der Herrschaft des siebenbürgischen Fürsten Georg Rakoczy I. (1593-1648), waren diese verpflichtet, drei Tage die Woche bei der Renovierung der Fogarascher Burg, ohne Lohn, zu arbeiten. Bevor die letzten Sachsen Betlen verlassen hatten, erlernten die hiesigen Rumänen viele Handwerksberufe von ihnen, wie z.B. das des Tischlers und des Gerbers. Sie waren in „ţechuri“, deutsch Zünfte, sächsisch Zechen organisiert, und gehörten der Fogarascher Gerberzunft an, wo sie in deren Statuten erwähnt werden, die ihnen Georg Rakoczy I. am 28. März 1643 bestätigt. Bis in die heutige Zeit hinein ist bei den dortigen Rumänen das sächsische Nachbarschaftswesen übriggeblieben, welches dort „vecinătăţi“ heißt, und wortwörtlich aus dem Sächsischen ins Rumänische übersetzt wurde.
Vom ursprünglichen Betlen (1235), über Betlean, Beklean (1839) nach Bethleanu (1876), vom rumänisch-mundartlichen Betlean zum heutigen Beclean, hat sich die urkundliche Schreibweise ständig gewandelt. Die sächsische Ortsbezeichnung Bodlinen für Betlen, war in Schirkanyer Mundart bis 1990 bekannt, und war vor allem in der Bezeichnung, der Hauptstraße vom Fogarascher Stadtzentrum in Richtung Hermannstadt, Bodlinen/ Beclean zu, als Bodliner Goss (Badliner Gasse bzw. Straße) geläufig. Auch den heutigen Becleaner Rumänen ist das einstige Dasein der Sachsen im kollektiven Gedächtnis wach geblieben. Man erinnert sich gerne der einstigen comunitate săsească, der sächsischen Gemeinschaft, und steht somit zu der von Sachsen einst bewohnten Ortsgeschichte.
Manch alteingesessene Fogarascher sächsische Familie wird ihre Wurzeln in Betlen haben. Die archivalische Unterlagen der evangelischen Kirchengemeinde zu Fogarasch, wie auch die der einstigen evangelischen Kirchengemeinde zu Betlen, die im ungarisch-reformierten Konsistorium zu Fogarasch aufbewahrt wurden und sich heute im Archiv der Reformierten Kirche in Rumänien in Klausenburg, am Hauptsitz dieser Kirche für Siebenbürgen, befinden, können Auskunft über diese Zeit geben.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Betlener Sachsen, trotz auf Komitatsboden wohnend und trotzdem sie als Hörige Frondienste für die Kastellane in Fogarasch leisten mussten, die Entwicklungen der restlichen Sachsen Siebenbürgens mitmachten und somit ihre sächsische Identität und ihren evangelischen Glauben sehr lange bewahren konnten. Interessant wäre zu erfahren, welche wirtschaftlichen Beziehungen sie zu den Sachsen in der Walachei, in Langenau (Câmpulung) und Terwis (Târgovişte) pflegten. Interessant wäre auch zu erfahren, welche Familiengeschichten es bei den Nachkommen dieser treuen Sachsen heute noch gibt.
Hans-Günther Kessler,
Eisenach