Zuletzt kommen Spachtel und Pinsel zum Einsatz

Zweite Auflage des archäologischen Sommercamps in der Petersberger Kirchenburg

Sebastian Dobrotă, Dr. Daniela Marcu Istrate, Dr. Annamaria Diana und Pfarrer Dr. Peter Klein (von links) am Tag der offenen Tür des archäologischen Sommercamps.

Rund eineinhalb Meter tief ist die Grube, in der gegraben wurde. Fotos: der Verfasser

Haider und Jay schütteln die schwarze Erde durchs Sieb. Übrig bleibt ab und zu ein Knochen, ein kleiner Stein, Scherben, vielleicht ein Nagel. Beide sind hier in Petersberg bei einem Praktikum, das einen Monat dauert. Er ist Student im US-Staat Michigan; seine Kollegin kommt aus Vermont. In Rumänien sind sie zum ersten Mal. Was sie da tun und lernen finden sie spannend. Keine Langweile, freundliche Leute, schöne Landschaften. Untergebracht sind sie und ihre elf Kommilitonen (alle aus den USA) in einer Pension im nahen Tartlau. Von dort geht es dann jeden Wochentag (außer mittwochs) in der Früh Richtung Petersberg los, wo dann, von acht bis vier Uhr nachmittags, im äußeren Hof der Petersberger Kirchenburg, die theoretische und praktische Ausbildung in Sachen archäologische Grabungen erfolgt.

Auf dem Plakat, wie auch auf den bordeauxroten Trikots mit der Petersberger Skyline, die die meisten Studenten und ihre Ausbilder tragen, ist folgende Aufschrift in Englisch zu lesen: „Sânpetru Bioarchaeology Field School“. Was aber ist Bioarchäologie? Auskunft darüber gibt Dr. Annamaria Diana, die zusammen mit Dr. Daniela Marcu Istrate dieses Archäologie-Praktikum betreut. In der Bioarchäologie geht es um Untersuchungen von menschlichen Überreste, die ausgegraben werden und die in Zusammenhang mit ihrem historischen Kontext gestellt werden. So kann man hoffen, Schlussfolgerungen z.B. über Lebensweise, Krankheiten, Wohnungsverhältnisse jener Zeiten ziehen zu können. Es ist eine Vernetzung der Archäologie mit der Anthropologie – eine neue Disziplin, die vor allem in den Vereinigten Staaten an Bedeutung gewinnt. Annamaria Diana arbeitet im Bereich Feldforschung in Irland und Rumänien und kommt vom Verein „Terra Ultra Silvam“ aus Gherla, der das Lager in Petersberg logistisch betreut. Auftraggeber ist das Institut for Field Research aus den USA, das weltweit solche Praktika-Ausbildungsmöglichkeiten anbieten.
Dr. Daniela Marcu Istrate dürfte vielen KR-Lesern bereits bekannt sein. Sie leitete die archäologischen Grabungen am Honterushof rund um die Schwarze Kirche, die vor zehn Jahren erfolgten und die neue, interessante Erkenntnisse über die Entstehungsgeschichte Kronstadts in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts brachten. Mit Petersberg verbindet sie eine langjährige Tätigkeit, die 1994 begann und mit Unterbrechungen bis heute fortgeführt wurde. Da ist die Wahl der Petersberger Kirchenburg als Standort für archäologische Grabungen nicht überraschend, da auch Pfarrer Peter Klein als Nutznießer und als Gastgeber dieser Zusammenarbeit ohne Bedenken oder Vorbehalte zugesagt hatte. Diese Grabungen, die im Vorjahr als IFR-Ausgrabungslager begannen, erfolgen selbstverständlich mit Genehmigung des Kulturministeriums und mit Unterstützung des Archäologie-Instituts Vasile Pârvan in Bukarest, wo Frau Marcu Istrate unterrichtet. Weitere Partner dieser Initiative sind das Geschichtsmuseum des Kreises Kronstadt und die Petersberger evangelische Kirchengemeinde.

Die Grabungen sollen neue Erkenntnisse bringen über die Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen, über die Entstehungsgeschichte der Ortschaft und der ersten Kirche. Noch gibt es einige Fragen in Zusammenhang mit Kirche und Kirchenburg zu beantworten. Denn bevor Wehrmauern aufgezogen wurden, gab es mehrere Bauten. Es geht nicht nur um die Kirche, sondern auch um Gebäude, Zwinger, Wehrtürme – eine komplexe historische Stätte. Bestätigt sich die Annahme, dass es vor der ersten Kirche ein Kloster  gegeben hat? Und was ist wahr an der Sage um einen unterirdischen Gang als Fluchtvariante aus einer belagerten Kirchenburg? Eine freigelegte Mauer, ein Abstieg ließen zunächst mehrere Möglichkeiten offen, bis dann offensichtlich wurde, dass es sich nicht um einen ersten Teil eines Fluchttunnels handelt, sondern um einen alten Eingang zu den Kellerräumlichkeiten.

Der äußere Hof der Kirchenburg erweist sich als ein ergiebiger Fundort. Da kommt nach den ersten tieferen Spatenstichen vieles ans Tageslicht. Keramikscherben, Nägel, Knochen, Holzstücke sammeln sich an. Die Studenten lernen hier, wie die Grabungsflächen bestimmt werden, wie dann Fundstücke sorgfältig mit der Spachtel freigelegt werden, wie die Fundstelle gekennzeichnet wird, der freigelegte Gegenstand gereinigt, fotografiert oder gezeichnet und zugeordnet wird. Es wird sorgfältig mit jedem Stück umgegangen, auch wenn zunächst alles noch verschmutzt ist und wortwörtlich als Kleinigkeit gelten könnte. Aber umso größer ist die Freude und der Stolz, wenn sich der Fund als kleine Kostbarkeit entpuppt. Zwei Beispiele: eine kleine Nadel mit Öhr aus Knochen und eine Nadel mit der wahrscheinlich vor Jahrhunderten ein Schal gebunden wurde und dessen oberes Ende wie eine Knospe verdickt ist, woraus man schließen könnte, dass dieses unscheinbare Objekt außer seinem Gebrauchswert auch einen gewissen künstlerischen Wert aufweist. Die endgültige Auswertung erfolgt später, wenn die Funde in Bukarest beim archäologischen Institut Vasile Pârvan genauer untersucht, datiert und bestimmt werden, wenn z.B. bei den Menschenknochen Geschlecht, Alter, eventuelle Krankheitszeichen festgelegt werden.

In Petersberg lernen die Studierenden aus den USA in Theorie und Praxis wie archäologische Ausgrabungen vorgenommen werden. Ihr Einsatz wird auch wissenschaftlich ausgewertet, so dass es gleich einen zweifachen Nutzen gibt: Studenten lernen und bekommen ihre Kreditpunkte; Archäologen leiten Ausgrabungen, zu denen es ansonsten (wenn überhaupt)  später und teurer gekommen wäre.

Die Ausgrabungen im Rahmen der IFR-Sommerschule sollen, so Dr. Marcu, nächstes Jahr fortgesetzt werden. Denn so lange in der Erde Spuren menschlicher Aktivitäten nachweisbar sind, sollte weiter gegraben werden. Damit nicht nur die unmittelbar Beteiligten erfahren, worum es bei dieser Feldforschung geht, wurde wie im Vorjahr ein Tag der offenen Tür des Ausgrabungslagers organisiert . Es wäre schade, wenn die Leute nicht wissen, was Wertvolles sich in und um die Petersberger evangelische Kirche verbirgt, sagt Frau Istrate.

Wer weiß, was noch in dem Kirchenburghof entdeckt werden kann? US-Studenten, hiesige Archäologen, das Entgegenkommen der Petersberger Kirchengemeinde versuchen diese Frage zu beantworten und so ein Stück Heimatkunde zu bereichern.