50 Jahre Germanistik in Hermannstadt

Internationale Jubiläumstagung an der Lucian-Blaga-Universität

Prof. Dr. Maria Sass war Initiatorin und Koordinatorin der Jubiläumstagung.

Prof. Dr. Gerhard Konnerth ist ein Hermannstädter Germanist der ersten Stunde. Fotos: Michael Mundt

Aus Anlass der 50. Wiederkehr des Gründungstages des Hermannstädter Lehrstuhls für Germanistik an der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt/Sibiu waren Germanistinnen und Germanisten aus Deutschland und Österreich am vergangenen Wochenende in die geschichtsträchtige Stadt am Zibin gekommen, um gemeinsam mit germanistischen Fachvertretern aus mehreren Universitätsstädten Rumäniens unter dem Rahmenthema „Literatur und Sprache im südosteuropäischen Raum“ eine internationale Tagung abzuhalten und damit das Jubiläum der Hermannstädter Germanistik wissenschaftlich zu begehen.

Die Hermannstädter Germanistikprofessorin Maria Sass, Initiatorin und Koordinatorin dieser Jubiläumsveranstaltung, eröffnete am vergangenen Freitag in der frisch renovierten Avram-Iancu-Aula der Fakultät für Philologie und Bühnenkünste der Universitas Cibiniensis die internationale Tagung, deren Arbeitssitzungen durch diverse Grußworte präludiert wurden. Prorektor Claudiu Kifor, Dekan Andrei Terian und Departmentsdirektor Ovidiu Matiu hoben als Vertreter der Lucian-Blaga-Universität die Bedeutung der Hermannstädter Germanistik hervor: ihre Funktion als Säule der Universität, die Modellhaftigkeit ihrer Aktivitäten, die Kontinuität ihrer Arbeit, wie sie sich etwa in den seit 2006 jährlich abgehaltenen Tagungen – die Tagung aus Anlass des Jubiläums war die vierzehnte Abteilungstagung in ununterbrochener Folge! – oder in der seit 1993 erscheinenden und mittlerweile bei Band 44 angelangten germanistischen Fachzeitschrift „Germanistische Beiträge“ beispielhaft zeigt. Der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen Hermannstadt, Zeno Karl Pinter, ergänzte das Loblied der genannten Universitätsvertreter auf die Bedeutung des Deutschen als Fremdsprache um den Aspekt des Deutschen als Muttersprache, als Sprache der deutschen Minderheit in Rumänien, deren Pflege ebenso große Beachtung verdient.

Drei sich daran schließende Plenarvorträge beleuchteten die Geschichte der Hermannstädter Germanistik von der Gründung des Lehrstuhls im Jahre 1969 bis zur aktuellen Gegenwart. Der emeritierte Professor Gerhard Konnerth, ein Hermannstädter Germanist der ersten Stunde und langjähriger Leiter des Lehrstuhls, hob die kulturelle und wissenschaftliche Bedeutung des Faches hervor, ohne dabei die schwierigen Zeiten des politischen Drucks und der Auswanderung zahlreicher Germanistikdozenten zu verschweigen. Seine Kollegin Sunhild Galter führte den geschichtlichen Überblick bis in die Gegenwart weiter und erwähnte dabei verschiedene institutionelle Neuerungen wie die Umsetzung des Bologna-Prozesses und die Einrichtung von Masterstudiengängen sowie die Internationalisierung des Faches durch ERASMUS-Programme, DAAD-Lektorate und internationale Partnerschaften (u. a. Marburg, Flensburg, Krakau). Eugen Christ, der langjährige Geschäftsführer der Donau-schwäbischen Kulturstiftung des Landes Baden-Württemberg, die neben der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens und anderen Institutionen als Partner und Förderer der Jubiläumstagung in Erscheinung trat, hob im Anschluss an diesen geschichtlichen Überblick die große Bedeutung der Deutschlehrerausbildung in Rumänien hervor.

Zwei weitere Plenarvorträge stellten die Hermannstädter germanistischen Bestrebungen in den größeren geschichtlichen Rahmen des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die in Hermannstadt geborene und heute in Berlin lebende Politikwissenschaftlerin Anneli-Ute Gabanyi beschäftigte sich unter der Überschrift „Universitätsstadt ohne eigene Universität“ mit den Jahren 1940 bis 1945, in denen Hermannstadt nicht nur als Folge des Zweiten Wiener Schiedsspruchs die Klausenburger rumänische Universität „König Ferdinand I.“ in ihren Mauern beherbergte, sondern in denen zugleich auch der neu gegründete Hermannstädter Literaturkreis („Cercul Literar de la Sibiu“) um Lucian Blaga und Radu Stanca die moderne rumänische Literatur in den europäischen Kontext rückte. Der 1990 nach Deutschland ausgewanderte Hermannstädter Germanist Stefan Sienerth befasste sich mit wichtigen Vertretern der Geschichte des Faches, seien sie nun Mundartforscher, Linguisten oder Literaturwissenschaftler, angefangen mit Adolf Schullerus, Andreas Gottlieb Scheiner und Oskar Wittstock über Richard Csaki und Karl Kurt Klein bis zu Harald Krasser oder Herman Roth. Eine besondere Überraschung bereitete Stefan Sienerth dem Auditorium, als er im Rahmen seines Vortrags zwei Festschriften für Hermannstädter Germanisten präsentierte, die beide zu den Teilnehmern der Jubiläumstagung zählten: die soeben erschienene Festschrift für Maria Sass und die dem-nächst erscheinende Festschrift für den Schriftsteller und Gelehrten Joachim Wittstock. Über beide Ehrungen in Buchform wird die ADZ in nächster Zeit berichten.

Den Abschluss der Plenarvorträge der Jubiläumstagung bildete ein anschaulicher und materialreicher Vortrag von Olivia Spiridon aus Tübingen, die über literarische Darstellungen der unteren Donau referierte und dabei insbesondere den Mündungsbereich dieses europäischen Stromes in seiner Dialektik von Öffnungs- und Rückzugsraum reflektierte. Die Vorstellung des Reiseberichts „Rheintochters Donaufahrt“ (1904) von Carmen Sylva (Pseudonym der Königin Elisabeth von Rumänien) ergänzte die Referentin durch Ausschnitte aus einem 1911 erstmals gezeigten Dokumentarfilm mit historischen Aufnahmen von der damaligen Donaufahrt des rumänischen Herrscherpaares.

Die Tagungsarbeiten setzten sich dann am selben sowie am darauf folgenden Tag in mehreren Sektionen fort. Es gab zwei literaturwissenschaftliche Sektionen, eine „Varia“ überschriebene Sektion, eine Sektion zum Thema „Germanistik im europäischen Hochschulraum“, ein Doktoranden-Forum sowie eine Zukunftswerkstatt Deutsch zur Fragestellung „Lehrerfortbildung in Rumänien – wohin?“, die allesamt parallel und simultan veranstaltet wurden, was eine Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Berichterstattung durch einen einzelnen Kongressbeobachter von Vornherein unmöglich macht. Gleichwohl sollen im Folgenden einige wenige Vorträge exemplarisch he-rausgehoben werden.

Besondere Beachtung fanden die Diskussionen um die Erzählung „Hades“ (2002) von Joachim Wittstock, nicht nur weil der Verfasser selbst zu ihnen beitrug, sondern auch weil am Vorabend der Jubiläumstagung im Hermannstädter Gong-Theater eine kombinierte Lesung und Bühnenfassung dieses Werks zu sehen war, unter Spielleitung von Carmen Elisabeth Puchianu und unter Beteiligung des musikalischen Duos Elena und PaulCristian, des studentischen Theaterensembles DIE GRUPPE sowie des Verfassers der Erzählung selbst. Eine weitere Erzählung Joachim Wittstocks mit dem Titel „Forstbetrieb Feltrinelli“ (2018) wurde von Maria Sass auf das Verhältnis von Autobiografie und Mythos hin untersucht. Grazziella Predoiu (Temeswar) beschäftigte sich in einem vieldiskutierten Vortrag mit den experimentellen Texten Oskar Pastiors und ihren möglichen autobiografischen und politischen Implikationen, während Matthias Bauer (Flensburg) seinen Vortrag der stilistischen Technik der hyperbolischen Affirmation im erzählerischen Werk des 1930 in Hermannstadt geborenen und 2004 in Berlin verstorbenen Schriftstellers Paul Schuster widmete. Zwei weitere Germanisten aus Flensburg kamen ebenfalls auf der Jubiläumstagung zu Wort: Iulia-Karin Patrut hielt einen theoretischen Vortrag über Ähnlichkeitsrelationen in der Lyrik und Nadjib Sadikou sprach über Identitätsräume im Roman „Leuchtende Schatten“ (2015) aus der Feder der 1977 in Hermannstadt geborenen Iris Wolff.

Ioana Cr˛ciun-Fischer (Bukarest) befasste sich mit der deutschlandbezogenen Gelegenheitsdichtung des rumänischen Mathematikers und Schriftstellers Ion Barbu, während Laura Cheie (Temeswar) in ihrem Vortrag das am 5. November 1967 entstandene Gedicht „Allmählich clowngesichtig“ von Paul Celan untersuchte. Die Bedeutung von Kronstadt/Bra{ov/Brassó im Sinne einer transnationalen Perspektivierung deutscher, rumänischer und ungarischer Kultur wurde in zwei Vorträgen bedacht, und zwar von Enikö Dácz (München) und von Réka Jakabházi (Klausenburg). Walter Engel (Düsseldorf) erinnerte an den Hermannstadt-Besuch von Günter Grass vor 50 Jahren, während sich Sigrid Haldenwang mit der Hebamme und ihren Benennungen in den siebenbürgisch-sächsischen Mundarten beschäftigte. Die ebenfalls in Hermannstadt wirkende Germanistin Doris Sava, die gemeinsam mit Sunhild Galter die Organisation der Jubiläumstagung meisterte, sprach über Wissenschaft im Wandel unter dem Motto „Fehler sind etwas für Anfänger. Könner produzieren Katastrophen“, während zahlreiche an dieser Stelle leider ungenannt bleibende Germanisten die Arbeit in den einzelnen Tagungssektionen durch ihre Beiträge bereicherten.

Der literarische Höhepunkt der Jubiläumstagung war eine Autorenlesung in deutscher und in rumänischer Sprache, die am Abend des ersten Kongresstages in der Avram-Iancu-Aula stattfand. Joachim Wittstock las einen Text, den er 1982 anlässlich von Goethes 150. Todestag verfasst hatte und der in seiner historischen Differenziertheit Fragen der Gegenwart aufscheinen ließ; der in Reps/Rupea geborene und heute in Schwaben lebende Hellmut Seiler trug kurze Prosastücke vor, die immer wieder Anlass zum Nachdenken gaben, so etwa der kurze Text, der die Bedeutung des deutschen Wortes Angst mit dem identisch klingenden Namen der bekannten rumänischen Supermarktkette spielerisch in Verbindung bringt; und der rumänische Dichter Radu Vancu rezitierte zum Abschluss mehrere seiner Gedichte, die von der Übersetzerin Nora Căpățână konsekutiv auf Deutsch vorgetragen wurden. Moderiert wurde die drei Schriftstellergenerationen umgreifende Lesung von Stefan Sie-nerth, der nicht nur drei bedeutende Autoren der Gegenwart, sondern zu-gleich drei Hermannstädter Dichterfreunde vorstellte und damit der Hermannstädter Jubiläumstagung eine besondere persönliche Note verlieh.