Die Leistungen des im Jahre 1880 in Hermannstadt gegründeten Siebenbürgischen Karpatenvereins (SKV) wurden anlässlich verschiedener Gelegenheiten gewürdigt. Eine ganz besondere Leistung erbrachte die Sektion Hermannstadt des SKV durch die Errichtung des Höhenluftkurortes Hohe Rinne im Zibinsgebirge, gelegen auf 1420 m über d. M. Und dieser außerordentlichen Leistung hat sich der rumänische Arzt, Elektronik-Ingenieur, Jurist, Historiker und passionierte Philatelist Dr. Mircea Dragoteanu angenommen und darüber ein ganz besonderes Buch geschrieben.
Das hier besprochene Buch ist die zweite, erweiterte Ausgabe eines Buches, erschienen im Jahre 2014. Es umfasst im A4-Format 550 Seiten statt der 240 Seiten der ersten Auflage. Das Buch gründet auf einer wahren Flut von gedruckten Zeitzeugnissen sowie auf einer Vielzahl von Aussagen von Nachkommen der Akteure des ausgehenden 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, wiedergegeben in einer drucktechnisch einwandfreien Qualität.
In einem Vorwort von Univ.-Prof. Dr. Ernst Albert wird dem Leser der Autor des Buches vorgestellt. In einem eigenen Vorwort schlägt der Autor einen Bogen von seinem ersten Hohe-Rinne-Buch zu dem nun vorliegenden. Er dankt der großen Anzahl von Helfern in Sachen Dokumentation und Übersetzungen, mussten doch alle zeitgenössischen Dokumente in die rumänische Sprache übersetzt werden. Ganz besonders dankt er Konrad Klein für seine Zusammenarbeit.
Ausschlaggebend für den Ton des gesamten Buches sind die Aussagen des Autors in seinem Vorwort, dass durch die Arbeit an diesem Buch: „….mein Respekt für die sächsische Zivilisation, für die deutsche Mentalität und Kultur noch mehr gewachsen“ ist (…) sowie „mein Verständnis der sächsischen Zivilisation aus ihrem Inneren heraus“.
Zu Beginn wird der SKV vorgestellt, seine Sektion Hermannstadt, samt einem Einschub betreffend die Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Das Buch ist gegliedert in Abschnitte in chronologischer Reihenfolge der Jahre: die Zeitspanne 1885 – 1891, die Zeit der Grundstücksuche und Beschaffung der ersten finanziellen Mittel, am Stück, danach jedes Jahr mit seinen Bestrebungen, Ereignissen und den Ergebnissen außerordentlicher Kraftanstrengungen, bis zum Jahre 1918.
Begonnen hat die Geschichte der Hohen Rinne mit einem Vortrag mit dem Titel „Anregungen für die Gründung eines Kurhauses im Höhen-Klima in unseren Karpaten“ des Regimentsarztes Dr. Julius Pildner von Steinburg (1837 – 1917), gehalten am 27. März 1885 im Garten Hermann in Hermannstadt und am 31. März beim Sitz der Sektion Hermannstadt des SKV. Der Vortrag stieß auf großes Interesse und die Sektion Hermannstadt des SKV beschloss, eine derartige Anlage zu errichten. Das Echo in der sächsischen Gesellschaft war durchwegs positiv und von überraschendem Ausmaß. Es trafen sehr bald die ersten Spenden für so ein Bauvorhaben ein. Noch im selben Jahr spendete Kaiser Franz Josef und der Kronprinz Franz Ferdinand für diesen Zweck 300 Gulden. Doch bis das passende Grundstück gefunden wurde und mit dem Eigentümer – der Gemeinde Großau – der notwendige Vertrag geschlossen wurde, vergingen gute 6 Jahre: Baubeginn war im Frühjahr 1892, die feierliche Eröffnung – nach Überwindung mancher unvorhersehbaren Widrigkeiten, auf die akribisch eingegangen wird - am 10. Juni 1894. Aus diesem Anlass wurde ein Telegramm an den Kaiser Franz Josef gesandt, dessen Empfang nach 2,5 Stunden vom Hof bestätigt wurde!
Der Leser erfährt von den vielseitigen Aktivitäten zur Beschaffung der notwendigen finanziellen Mittel: die von der Sektion Hermannstadt jährlich zu Beginn des Monats Februar organisierten Bauernbälle, die Angebote für kostenlose Leistungen verschiedener Handwerksbetriebe oder die Benefizveranstaltungen Hermannstädter oder internationaler Künstler wie der Einsatz von Baronin Melanie Freifrau von Pach, geborene Gräfin Csáky, berühmte Schauspielerin und Sängerin der Zeit. Unter ihrer Schirmherrschaft fanden in Hermannstadt wiederholt Theater- und Ballettvorstellungen zu Gunsten des Kurhauses statt. Ausschlaggebend waren die regelmäßigen erheblichen Zuwendungen seitens der Hermannstädter Allgemeinen Sparkasse (Direktor Dr. Carl Wolff) und der Bodenkreditanstalt. Auch rumänische Finanzinstitute, wie die Banca Albina, spendeten. Über all die Jahre war das „Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt“ (unter der Leitung von Dr. Carl Wolff) ein ständiger, treuer Begleiter der Sektion Hermannstadt des SKV und ihres Hauptprojektes, des Kurhauses auf der Hohen Rinne. Im Buch sind unzählige Annoncen und Beiträge aus dieser Zeitung – in der es „von unserem Karpatenverein“ hieß – wiedergegeben.
Einmal eröffnet, war es das Bestreben der Sektion und der rührigen Baukommission des Kurhauses der Sektion Hermannstadt, aus der Notwendigkeit heraus die Aufenthaltsbedingungen zu verbessern, um dem immer steigenden Zustrom von Gästen gerecht zu werden. Mit viel Wohlwollen und Sympathie werden die Hausmütter Friedericke Michaelis und Berta Ziegler und das Faktotum Misch (Michael Zeck), der dem Kurhaus ein halbes Jahrhundert treu geblieben ist, lobend erwähnt. Die Verbesserung der Ausstattung der Räume, die Wasserzufuhr, die Zufahrtsstraße von R²{inari, die Spazier- und Wanderwege, die Stallungen für die Vierergespanne der „Omnibusse“, 1898 das Gesellschaftshaus (auch Maroco-Pavillon genannt), u. a. m. waren alles Maßnahmen, die erhebliche finanzielle Mittel benötigten, auf deren Beschaffung der Autor immer wieder mit viel Mitgefühl eingeht. 1895 wurde das Touristenhaus zur Unterbringung von 40 Wanderern der Bestimmung übergeben. Im Jahre 1898 nahmen das Militär-Kurhaus „Franz Joseph“ auf der Hohen Rinne und das Ärzteheim ihren Betrieb auf.
Wiederholt unterstreicht der Autor anerkennend, mit welcher „deutschen“ Genauigkeit, Ernsthaftigkeit und Akkuratesse die Sektion Hermannstadt in allem, das Kurhaus auf der Hohen Rinne betreffend, vorging, alles immer „typisch sächsisch“.
Quasi als zur Hohen Rinne gehörend lernt der Leser die Persönlichkeiten Hauptmann Andreas Berger (1850 – 1919) und August Roland Spieß von Braccioforte zu Portner und Höflein (1864 – 1953) kennen, die durch ihre Tätigkeit zum Bekanntheitsgrad des Kurhauses auf der Hohen Rinne maßgeblich beigetragen haben.
Dem Autor des Buches war viel gelegen an der Wiedergabe der im Kurbetrieb herrschenden gehobenen Atmosphäre, ihrer Eleganz, der Welt des Anstandes, der gemeinsamen Freude, dem gegenseitigen Respekt der Kurgäste sowie der Liebe für die Berge. „Es gibt keinen Beweis irgendeines Konfliktes nationalen oder kirchlichen Ursprungs“. … „Die Sachsen waren das ausgleichende Element in der Gesellschaft in diesem Teil Siebenbürgens. Die sächsische Gesellschaft gründete auf starken Regeln und Prinzipien, und der wirtschaftliche Erfolg der Zeit des 19.-20. Jahrhunderts war das Ergebnis ihres Fleißes, des gegenseitigen Respektes und ihrer Ernsthaftigkeit.“
Lesenswert sind die zahlreichen im Buch übernommenen Erinnerungen von Zeitzeugen, Veröffentlichungen aus dem „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt“ sowie Skizzen, Novellen und verschiedene Beiträge.
Mit großer Wertschätzung werden siebenbürgisch-sächsische Persönlichkeiten vorgestellt und ihre Leistungen hervorgehoben, wie z. B. RA Dr. Albert Arz von Straussenburg, Bischof Friedrich Müller, RA Carl Conradt (der 1899 vom Posten des Vorsitzenden des SKV zurücktrat, um sich ganz dem Kurhaus auf der Hohen Rinne widmen zu können), Robert Gutt, Emil Sigerus, Adolf Schullerus, über den es im Buch heißt: „... er ist in die Geschichte Rumäniens als ein Symbol der Ehrlichkeit und Würde eingegangen, der Freundschaft und des Respektes, mit dem die Sachsen ihre rumänischen Mitbürger geehrt haben“, oder der rumänische Zimmerer/Baumeister aus Răşinari, namens Şerban Cruciat, der über Jahre hinaus alle Gebäude des Kurortes Hohe Rinne errichtet hat, und viele andere mehr.
Der Autor erwähnt und bewertet auch Ereignisse, Gegebenheiten und Leistungen, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Kurhaus auf der Hohen Rinne standen: das Siebenbürgische Museum des SKV, die neue fällige Wasserversorgung Hermannstadts, die Schutzhütten des SKV, die zu der Zeit entstanden, die Auswanderung von 10.000 Siebenbürger Sachsen nach Amerika (und die sechsmonatige Reise von Pfarrer Oskar Wittstock nach Amerika, um dort die ausgewanderten Sachsen zu besuchen), wie der rumänische Kulturminister Take Ionescu Gründungsmitglied des SKV wurde, die Christbescherungen (Darurile Domnului), die die Sektion Hermannstadt für die mittellosen Bauernkinder der umliegenden rumänischen Dörfer veranstaltete, die vehemente Magyarisierungspolitik Budapests u. a. m.
Etwas ganz Besonderes des Buches ist die Listung aller Kurgäste ab der ersten Saison Juni 1894, je zwei Listen pro Jahr. Schon nur wegen der Erkenntnisse aus diesen Listen sollte man dies Buch zur Hand nehmen: Sachsen, Rumänen, Juden, Ungarn u. a. m., Absolventen des Gymnasiums, Witwen von Angestellten, über Bischöfe bis hin zu Feldmarschällen sind alle Nationen und Stände vertreten. Da kommen „Fräuleins aus Istambul“ vor, genau so wie Schneidermeistergattinnen, Sekretäre, Barone, ja da wimmelt es manchmal förmlich von Generälen. Und die Kurgäste kommen nicht bloß aus der k.u.k.-Monarchie, sondern z. B. auch aus Deutschland, dem Königreich Rumänien, England oder der Türkei. Man erfährt so manches aus diesen Listen, wie z. B., dass Bischof Friedrich Teutsch hier durchgehend von 1901 bis 1914 zu Gast war, manchmal auch vier Wochen, über die Klaviervirtuosin Luise Gmeiner (1885-1951) aus Kronstadt / Berlin oder, dass der rumänische Dichter Octavian Goga etliche Male da zur Kur war und wer die Muse zu George Coşbucs Liebesgedicht „Numai una“ (Nur Eine) war.
Schon beim ersten Durchblättern des Buches fällt die überaus reiche und fesselnde Illustration des Buches auf: zeitgenössische Postkarten, Fotografien, Prospekte, Einladungen zu den jährlichen Bauernbällen der Sektion Hermannstadt des SKV usw. Der Leser wird durch diese grafische Bereicherung des Buches so richtig in die Zeit der Handlung zurückversetzt.
Der wiederholt beschriebenen idyllischen Atmosphäre folgte wie ein Paukenschlag der Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Wieder kommen Zeitzeugen zu Wort. Mit Eintritt Rumäniens in den Krieg Ende August 1916 bekommt das Kurhaus auf der Hohen Rinne die Auswirkungen des Krieges voll zu spüren. Die Schäden und Folgen des Vandalismus werden immer wieder durch großen Aufwand behoben, sodass sowohl 1917 wie auch 1918 der Kurbetrieb stattfinden konnte. Doch mit dem Zusammenbruch der k. u. k. Monarchie am 2. November 1918 setzten wieder die Unordnung und die Plünderungen ein.
Es folgte der bekannte Ablauf der Geschichte: der historische 1. Dez.1918 mit der großen rumänischen Nationalversammlung in Karlsburg/Alba Iulia und am 8. Januar 1919 unter dem Vorsitz von Dr. Adolf Schullerus, Stadtpfarrer von Hermannstadt, die Nationalversammlung der Siebenbürger Sachsen in Mediasch mit dem Beschluss des Anschlusses an Großrumänien. Der vom Autor des Buches so hoch geschätzte Adolf Schullerus sollte auch die Abordnung anführen, die am 30. Januar 1919 die Anschlusserklärung der Siebenbürger Sachsen König Ferdinand in Bukarest überbrachte.
„Mit diesem Januar 1919, beseelt von Hoffnungen und Ungewissheiten, beginnt für Transilvanien, für die Gemeinschaft der Sachsen, für Hermannstadt und für die Hohe Rinne eine neue Epoche ...“
Nachdem der Autor des Buches ein begeisterter Philatelist ist, wird ausgiebig auf die eigene Marke des Kurhauses auf der Hohen Rinne eingegangen. Die erste Marke wurde am 1.06.1895 he-rausgegeben. Inzwischen sind gewisse Ausgaben Raritäten und von Markensammlern hoch begehrt. Am Ende des Buches ist ein 40-seitiges Kapitel diesen Marken gewidmet, gefolgt von einem Anhang von 14 interessanten Anlagen, beginnend mit zwei Beiträgen zur Wahl des Standortes des geplanten Kurhauses bis hin zu Wanderwegen in der Umgebung des Kurhauses, ein ins Rumänische übersetzter Wanderführer der Zeit, ein Prospekt das Kurhaus betreffend sowie eine Aufstellung aller SKV-Schutzhütten.