„Infrastruktur: Die Menschen entschieden sich nicht für die aus Politikerversprechen allseits bekannte fiktive Zukunftsstadt, sondern wünschen sich realistische und notwendige Lösungen für die Probleme von heute: saubere Luft, Ruhe und Rücksichtnahme.“ Das Zitat stammt aus der Ausstellung und steht im Zusammenhang mit dem Teil-Projekt „Bukarest-Süd – Baue deine eigene Stadt“, die Raluca Voinea und Ştefan Ghenciulescu, Chefredakteur des Magazins „Zeppelin“, zusammen kuratiert haben. Ghenciulescu hat zusammen mit Dr. Evelin Hust, der Leiterin des Goethe-Instituts Bukarest, die beiden Ausstellungen im Kulturzentrum Arcub und im Goethe-Institut am 5. und 6. April 2017 eröffnet. Während auf hochrangigen Konferenzen zur Zukunft unserer Städte meist von „smart cities“, globalem Wettbewerb und optimierten „shopping villages“ die Rede ist, widmet sich „Actopolis – Die Kunst zu Handeln“, das Regionalprojekt des Goethe-Instituts in Kooperation mit Urbane Künste Ruhr, der anderen Seite städtebaulicher Entwicklung, die mehr die Partizipation des Bürgers, die Graswurzelbewegungen von Urbanisten und Aktivisten in das Zentrum der Betrachtung rückt. Das Projekt, das seit zwei Jahren Kunstschaffende, Architekten und Aktivisten aus Städten von den Grenzen der Türkei über den Balkan bis ins Ruhrgebiet miteinander verbindet (wir berichteten, ADZ, 13. März 2016), kann nun eine erste Zwischenbilanz ziehen.
In dem gemeinsamen Bemühen, den soziologischen und politischen Herausforderungen in ihren Städten mit allen Mitteln, vor allem aber denen der Kunst zu begegnen, wurden von rund 60 Kunstschaffenden und Kuratoren über 45 Projekte angeregt. Außer Bukarest standen Grenzstädte wie Mardin im äußersten Südosten der Türkei an der Grenze zu Syrien, aber auch die Hauptstädte Ankara, Athen, Belgrad, Sarajevo oder Zagreb und eben Oberhausen im Zentrum des Interesses. Städtebauliche und soziologische Unterschiede und Gemeinsamkeiten wurden oft auch im persönlichen Austausch beleuchtet und untersucht. Die Ergebnisse, aber auch die Methoden und Themen, die sich aus diesen unterschiedlichsten Kooperationen und Projekten ergaben, werden nun in einer Wanderausstellung präsentiert, die zunächst in Oberhausen und jetzt im Arcub in Bukarest noch bis zum 26. April gezeigt wird. Parallel dazu gibt es die Dokumentation des speziell auf Bukarest fokussierten Teil-Projekts „Bukarest-Süd – Baue deine eigene Stadt“ im Goethe-Institut zu sehen.
Auf den ersten Blick scheint Städte wie Zagreb, Oberhausen oder Mardin nichts zu verbinden, aber recht bald wird deutlich, dass viele Herausforderungen seit der Flüchtlingskrise, die plötzlich sowohl türkische als auch serbische Städte zu Grenzstädten werden ließ, durchaus vergleichbar sind. Ob postkommunistisch oder postindustriell, die Verödung der Innenstädte durch die Verlagerung in die Peripherie hin zu Gewerbegebieten samt Megamalls ist ein Schicksal, das viele Städte in Ost und West teilen. Aber auch den Auswirkungen der Wirtschaftskrisen, die zur Vernachlässigung ganzer Stadtteile führten, kann nicht durch von oben verantworteten städtebaulichen Kahlschlag oder die willkürliche Implementierung von Neubausiedlungen begegnet werden. Die Sichtbarmachung von Graswurzel-Initiativen, die sich gerade dort ansiedeln und Zentren der Veränderung sein könnten, ohne Gefahr zu laufen, selbst wieder Kern einer schleichenden Gentrifizierung zu werden, dies ist eines der Anliegen, die hier durch Foto- und Filmdokumentationen oder Statements erreicht werden sollen.
Auf der Website symbolisiert ein Piktogramm jedes Projekt, das Teil eines Themenbereichs sein kann oder, je nachdem, einer Stadt oder auch Methode zugeordnet werden konnte. Inhaltlich sind die verschiedenen konkav/konvex gebogenen Schautafeln ähnlich gegliedert. Außen geben die Tafeln grafisch einen übergeordneten Rahmen wieder, bisweilen auch Skizzen der Konferenzsituation. Innen – im konvexen Teil – werden die einzelnen Themen wie kulturelles Erbe, Migration oder Segregation, auch sozialer Kampf und Nationalismus definiert. Unter Methoden fallen Begriffe wie Sammeln, Recherche, Reden, Teilen oder auch Spielen. Dem zugeordnet sind die Projektnamen wie „Baue eine neue Stadt“ oder „Baue deine Stadt“, „City Guerilla“, „Wie organisiere ich eine Organisation“, Sarajevo-Cloud oder auch schlicht „Bucharest-Süd“. Aber man kann auch nachvollziehen, welche Projekte in welcher Stadt durchgeführt wurden, so das „Parzelle 1“ aus Oberhausen, wo mitten in der Fußgängerzone eine Schrebergartenzeile angelegt wurde. In kurzen Videoclips werden die Kuratoren und Kuratorinnen der einzelnen Städte, sowie diese selbst mit Fragen wie „Was magst Du an deiner Stadt“ vorgestellt. Auch das Projekt in Bukarest ist hier mit dem Titel „Bürgermeister für 10 Minuten“ u. a. durch den Film von Vlad Petri repräsentiert.
Bukarest-Süd im Goethe-Institut
Ausführlicher kann man sich den Projekten, die alle unter dem Oberbegriff „Bukarest-Süd – Baue deine eigene Stadt“ laufen, im Goethe-Institut selbst widmen. Das Bürgermeisterbüro wurde eigens für die Ausstellung in Kartonage neu entworfen, und wer will, kann sich gemäß dem Motto „die Kunst zu Handeln“ hier betätigen, was einige der Vernissage-Besucher auch bereits bereitwillig unternahmen. Die Schärpe und das Siegel des Bürgermeisters finden ansonsten prominent in einer Vitrine Platz. Platziert wurde der ursprüngliche Bürgermeister-Pavillon an drei verschiedenen Tagen an unterschiedlichen Plätzen im Süden Bukarests. Alle immerhin über 80 Teilnehmer/Bürgermeister der früheren Aktionen wurden im Foto festgehalten, und auch die Fragebögen, die die „Bürgermeister für 10 Minuten“ zu bearbeiten hatten, können eingesehen werden. Sicher sind dies keine wissenschaftlich korrekten Erhebungen, die zu konkreten politischen Maßnahmen führen könnten, dennoch können gewisse, zum Teil sogar erstaunliche Erkenntnisse, aus dieser Aktion zur Bürgerbeteiligung gewonnen werden, und Ghenciulescu möchte diese Ergebnisse auch noch weiter auswerten. Bisher scheint sein Eindruck dahin zu gehen, dass die Leute, die sich zu dieser Aufgabe bereit erklärten, ein erstaunliches kollektives Bewusstsein demonstrierten.
Viele bemühten sich ernsthaft, etwas für sie Allgemeinheit zu tun, die befürchteten nationalistisch/rassistischen Töne blieben weitestgehend aus und sehr wenige Leute mochten etwas ihres geringen Budgets – es waren ca. 500 Lei, die fiktiv zu verteilen waren – für religiöse Zwecke ausgeben. Gesundheit, Schule, gepflegte Parks oder Infrastruktur waren den meisten weitaus wichtiger. Die Bauteile des mobilen Bürgermeister-Pavillons finden jetzt ihre Wiederverwendung im Park Cătălina Ioniţă im Dorf Belciugatele, Kreis Călăraşi, wo sie der örtlichen Jugend zur Verfügung stehen – ein eigenes Projekt, dessen Dokumentation ebenfalls hier ausliegt. Der „Süden“ – generell ein Themenpunkt der Ausstellung im Arcub, aber hier das Thema des Bukarest-Projektes – interessiert auch literarisch. Die Geschichten des Architekten und Autors Mihai Duţescu über die Viertel Ferentari, Berceni und Rahova, hier in eine Fotodokumentation inkludiert, zeigen bei aller Kritik auch die Verbundenheit der Anwohner zu ihren oft als unzumutbar eingestuften Vierteln und suchen so Vorurteile zu konterkarieren. So ist auch der von Cosima Goagea neu entworfene Stadtplan „der guten Orte“ zu verstehen, der die alternativen Zentren für kulturelle Belange, Bürger- und Umweltinitiativen oder Projekte mit sozialem Charakter kartiert. Somit bietet die Ausstellung einen guten Anlass, sich dieser im öffentlichen Diskurs weitgehend vernachlässigten Stadthälfte anzunähern. Weitere Informationen auf der Website: https://www.goethe.de/ins/ro/de/ver.cfm
Der Eintritt ist frei.