ADZ-Reihe: Das wertvolle Jugendbuch - Das liebe Mädchen  und der böse Wolf

„Rotkäppchen muss weinen“ Beate Teresa Hanika Fischer Verlag ausgeliehen in der Bibliothek des Goethe-Instituts Bukarest, Calea Dorobanți 32/Pavilion, www.goethe.de/bukarest

Im Märchen ist immer alles klar: Wer sind die Guten, wer die Bösen? Im wirklichen Leben ist es viel, viel schwieriger, muss Malvina am eigenen Leib erfahren. Sie soll „lieb“ sein und nicht egoistisch und in ihren Ferien dem alten, kranken Großvater die Einsamkeit zerstreuen, ihm täglich das Essen bringen... finden der Papa, die Mama, der Bruder, die Schwester - vor allem aber der Opa, der „sein Malvinchen“ doch „von allen am liebsten hat“. Es macht niemanden hellhörig, als die Dreizehnjährige erzählt, wie der Opa sie auf den Mund küsst. Oder, dass sie die Besuche bei ihrem Großvater eigentlich hasst... Dass ihre beste Freundin Lizzy sie unbedingt immer begleiten muss, denn nur dann ist alles in Ordnung, die beiden machen ihre Hausaufgaben und der Opa ist nett zu den Mädchen, bis der Papa kommt, oder die große Schwester Anne, oder der Bruder Paul, und Malvina abholt. Nur, dass Lizzy jetzt eine Woche in Urlaub ist...  

Und so fährt Malvina alleine mit dem Fahrrad los, vorne den Korb, in dem sich Wein und Essen befinden – und der Junge, der ihr folgt, der ihren Namen nicht weiß, der sie nur aus der alten, verlassenen Villa kennt, wo sowohl die beiden Mädchen als auch er und seine Freunde gerne herumstromern und schon so manchen Zwist über ihre „Besitzerrechte“ ausgetragen haben, denkt: genau wie Rotkäppchen. 

Rotkäppchen, das den Korb zur Großmutter bringen soll, nein, zum Großvater, wie er bald erfährt, nein, zum bösen Wolf wohl, denn irgend etwas kann da nicht stimmen! Hat er doch den Alten mit eigenen Augen vom Einkauf kommen sehen, lebhaft einherschreitend und sichtlich putzmunter - wieso muss man ihm täglich das Essen bringen?

Der Junge sieht hin und nicht weg, wie all die anderen. Obwohl er sich noch keinen Reim machen kann. Und auch nicht „die Bitschek“, die junge Polin mit den vielen Kindern, die im selben Haus wie der Großvater wohnt, der sie deshalb nicht ausstehen kann und Malvina ständig vor ihr warnt. Denn die Bitschek hat ein Gefühl für Menschen mit dem gewissen Blick. So, wie der Großvater immer aus dem Fenster schaut... und streut täglich Salz auf seine Fußmatte, „um das Böse abzuwenden“, wie sie sagt. Denn die Bitschek muss, wenn sie Malvina sieht, immer an ihre Kindheitsfreundin denken. An Katja, die nach dem Tod ihrer Mutter auf einmal nicht mehr mit ihr reden durfte, kaum noch das Haus verließ, immer blasser und verschlossener wurde. An Katja, die sich eines Tages mit ihrer kleinen Schwester von einem Felsen in den Tod stürzte, nachdem sie den Vater aus deren Zimmer hatte kommen sehen... „Ach, Katjuschka!“

Und dann war da noch Malvinas verstorbene Oma, schmerzlich abwesend und doch irgendwie omnipräsent. Der Krebs hatte sie von innen aufgefressen. Die Oma, die Malvina zwar liebte, doch scheinbar immer plötzlich zum Einkaufen gehen musste, wenn der Opa heimkam und „sein Malvinchen“ suchte... 

In diesem Märchen sind die Guten auch die Bösen und leider ist es auch kein Märchen. Rotkäppchen muss weinen, spätestens, als die Bitschek ihr „ganz zufällig“ die Geschichte von Katja erzählt. Und als der fremde Junge von ihr wissen will, warum sie denn tagein, tagaus zum gar nicht kranken Großvater muss, wird Malvina auf einmal klar, dass sie endlich, endlich mit jemandem reden muss! Um auch wieder schreien zu können.


Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen.