„Wo kein Motiv ist, da ist auch keine Tat“, denkt sich Niklas mittlerweile. Enttäuscht von seinen Eltern zieht sich der Jugendliche in sein Zimmer zurück. Seine Eltern glauben ihm zunächst nicht und bezichtigen ihn der Lüge. „Nicht, dass ich ihn besonders sympathisch fände, aber warum um Himmels willen hätte er das denn tun sollen? Kannst du mir einen Grund nennen, einen einzigen?“, fragte ihn seine Mutter.
Es geht um Niklas neuen Mitschüler Karl. Ein kalter, aber auch unhöflicher Junge. Er scheint ein klassischer Einzelgänger zu sein. Da auch Niklas eher schüchtern ist, kaum Freunde hat und Karl an seinen Ort gezogen ist, lässt ihre Lehrerin die beiden für ein Referat zusammenarbeiten. Zuerst verstehen sich die Jugendlichen. Karl verhilft Niklas zu seiner ersten Zwei im Fach Geschichte. Doch der Neue wird mit der Zeit immer dreister. Er beginnt, von Niklas zu stehlen, der sich nicht zu widersetzen weiß. Die Eskalationsspirale wird immer größer. Irgendwann beginnt Karl, auch physische Gewalt anzuwenden. Seine Taten vertuscht Karl, indem er seine Eltern anlügt und die Mitläufer zu Falschaussagen überredet.
Doch mit der Zeit glauben Niklas Eltern seinen Schilderungen. Zusammen versuchen sie, mit Hilfe der Polizei den Terror zu stoppen. Doch der sind die Hände gebunden. „Es geht hier nicht darum, was ich glaube“, sagt der Polizist offen. „Und vor Gericht wird es auch nicht darum gehen, was der Richter glaubt. Recht hat nichts mit Glauben zu tun, nur mit Beweisen.“ Beweise, die die Familie nicht vorlegen kann. So verlieren sie auch langsam den Glauben an den Rechtsstaat. Während der Terror weiter geht und kein Ende in Sicht scheint, denkt Niklas mittlerweile nur noch an Rache: „Karl soll tot sein.“
Das Buch „Nicht Chicago, nicht hier“ von Kirsten Boie erschien im Jahr 1999. Seitdem nutzen es viele Schulen als Maßnahme für Mobbingprävention, da es das Innenleben der Opfer, ihre Gedanken und Gefühle, aufzeigt. Zudem veranschaulicht es, was Mobbing innerhalb der Familie anrichten kann.
Da das Buch sich an Schüler aus den unteren Klassen richtet, ist es in einer recht einfachen Sprache verfasst. Dennoch schafft es Boie, durch ihre Erzählweise auch erwachsene Leser zu fesseln. Das Buch ist abwechselnd in einen vergangenen und einen gegenwärtigen Handlungsstrang eingeteilt. Im-mer wieder werden in dem einen Ereignisse angedeutet, die sich im anderen Handlungsstrang auflösen. Auch das Fehlen von klassischen Kapiteln animiert zum Weiterlesen. „Nicht Chicago, nicht hier“ ist eine thematisch schwere, dennoch schnelle Lektüre für einen Leseabend, die zur weiteren Diskussion anregt.
Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen.