Auf den Spuren zeitgenössischer Bildhauer

Cetate - Entwicklungsstationen rumänischer Künstler

Cristian Răduţă (links), Ştefan Radu Creţu (Mitte) und Simon Iurino (rechts) arbeiten zusammen am letzten Werk im Rahmen von Cetate Arts Danube.

Joana Grevers, deutsch-rumänische Direktorin der 418 Contemporary Art Gallery in Bukarest, fördert junge Talente, an die sie glaubt.

Das Bojarenhaus Barbu Druga, wo die Künstler untergebracht wurden.

Ist es ein Kriechtier aus Metall, das Ştefan Radu Creţu hier präsentiert?

Das diesjährige Kunstwerk von Cristian Răduţă: ein Metallbaum
Fotos: Aida Ivan

Kleine, dichte Regentropfen fallen auf seinen unbedeckten Kopf. Das herbstlich anmutende Wetter ist drückend, trotzdem unternimmt er einen Spaziergang entlang der Donau. Ruhig guckt er nach unten, beobachtet alles um sich herum, während seine Schuhe sich tief im Lehm versenken. Er ist beeindruckt von den Texturen, analysiert ihre Zusammensetzung und Farben. Als er die Spur einer Hundepfote im Sand entdeckt, die teilweise vom Wasser gelöscht wurde, findet er sie schön und vergleicht sie mit dem Abdruck auf einem Backstein aus dem Altertum - die Spur einer Katze, die vor Tausenden von Jahren gelebt hat.

Der Bildhauer Cristian Răduţă befindet sich seit drei Wochen auf dem Anwesen der deutsch-rumänischen Kuratorin Joana Grevers im Kreis Dolj. Es ist das achte Mal, dass er sich am jährlich stattfindenden Künstlerprogramm in Cetate beteiligt. Dementsprechend werden auch die von ihm auf dem Gelände hinterlassenen Spuren immer zahlreicher: Abgesehen von der Säule mit Schmetterlingen im Hinterhof des Bojarenhauses Barbu Druga, der Zementplattform mit einem Blattmodell neben der Scheune und den zahlreichen Nashörnern aus Glasfaser, ist dieses Jahr ein neues Kunstwerk im Garten entstanden: Ein von der Umgebung inspirierter Metallbaum, dessen Früchte durch bunte Plastikgläser dargestellt werden.

Auf dem Rückweg: Einsam mäandert die menschenleere Straße durch die Felder. Cetate liegt darin als eine kleine, verschlafene Ortschaft am Ufer der Donau an der Grenze zu Bulgarien. Völlig isoliert von der Hetze der Welt hat man hier nur eines: sich selbst. Keine Ablenkungen, nur andere, gleich gesinnte Kunstschaffende, mit denen man sich austauschen kann. Genau das ist das Ziel des Programms - Joanna Grevers lädt Künstler ein, damit diese in Cetate Kunstwerke schaffen. Die achte Folge von Cetate Arts Danube fand Ende des Sommers statt und wurde zum ersten Mal ausschließlich der Bildhauerei gewidmet. Am Programm haben vier Künstler teilgenommen: Ştefan Radu Creţu (Hermannstadt/Sibiu), Cristian Răduţă (Bukarest), Napoleon Tiron (Bukarest) und Simon Iurino (Wien).

Eines haben alle diese Bildhauer gemeinsam: Sie tragen dazu bei, dass die Individualität des Ortes, an dem sie sich aufhalten, von Tag zu Tag stärker wird. Eine ganz einzigartige Ausstrahlung nimmt durch die Vielzahl an Werken Gestalt an und wächst organisch. Nicht weit entfernt von Răduţăs Metallbaum liegt eine überdimensionierte Holzrose des Künstlers Napoleon Tiron. Den Namen des Abwesenden, Napoleon Tiron, sprechen die anderen voller Respekt aus - er ist eine Legende der älteren Generation. Nicht weit entfernt von Tirons Rose wird noch im Hinterhof des Bojarenhauses Barbu Druga intensiv gearbeitet. Der Künstleraufenthalt geht in zwei Tagen zu Ende.

Simon Iurino

Răduţă und Creţu sind fertig mit ihren Werken und helfen gerade Simon Iurino, der sein Werk montieren will. Sie gehen noch schnell in den einzigen Laden des Dorfes, wo Baumaterialien erhältich sind. Dann kommen sie zurück und stellen die Holzinstallation zusammen, die im Schnittpunkt zwischen Architektur und Kunst liegt. Dabei will der in Wien lebende Iurino mit dem Raum, Perspektiven, oder besser gesagt mit dem Betrachter spielen. Seine Absicht kann man schnell erkennen:  Geht man um das Werk herum, so sieht die Installation immer anders aus. Diese minimalistische Kunst ist für Iurino existenziell. Das Werk ist eine Collage aus alten und neuen Materialien und könnte als Überlappung von Design und Architektur definiert werden. Simon Iurino hat nur Materialien benutzt, die er hier gefunden hat. Das Kunstwerk ist mit der Umgebung eng verbunden und besteht teilweise aus Holzbalken vom alten Weinhaus auf dem Gelände. „Als ich hier angekommen bin, wollte ich mit dem Kontext arbeiten, mit der Geschichte des Ortes“, sagt der Künstler, indem er weiter im Regen hantiert. Er spricht von zwei Strukturen, die ineinander kollabieren und einen Dialog führen sollen. Verbunden werden diese durch Metall und verschmelzen so zu einem einzigen Stück. „Ich will den Menschen nicht sagen, wie sie die Welt sehen sollten, aber etwas passiert,wenn man die Skulptur umrundet. Ist man drinnen, so wird diese zu einer Art Umgebung“, meint der Künstler. 

Ştefan Radu Creţu

Ştefan Radu Creţu ist eher gesprächig, sehr gerne schmiedet er intellektuelle Rätsel aus Metall. Gelassen führt er den Rundgang durch das, was als Ausstellung gelten könnte. Ein hochgewachsener Mann mit fuchsroten, unordentlichen Locken und tiefer Stimme erweckt kinetische Objekte mit lateinischen Namen zum Leben. In der Nähe der Kapelle auf dem Anwesen hat Creţu sein neuestes Werk positioniert, es scheint eine Wiederspiegelung der Kapellenarchitektur zu sein – eine Metallstruktur, deren Formen nicht abgedeckt sind.

Dabei lässt er sich von Vögeln, Kriech- und Meerestieren, Insekten inspirieren und belebt hybride Tierarten mit Hilfe von zeitgenössischen Materialien. So öffnet er ein kleines Fenster zu einer virtuellen Welt, wo die Mischung mit künstlichen Elementen, die an das Industrielle erinnern, möglich ist. Creţus Wesen haben Räder, Krane, Sensoren, Spieluhren oder Dias. Der Künstler stellt eine Fusion zwischen dem Organischen und Mechanischen dar. Entstanden sind auch zahlreiche kinetische Zeichnungen und 3D-Graffiti.

Während er sich in Cetate aufhält, sind seine Werke in Hermannstadt auf einem Kunstfestival vertreten. Ştefan Radu Creţu spricht gerne über sein „ernstes Spiel“ und über die Art und Weise, wie es sich entwickelt hat. In Cetate gibt es Werke aus verschiedenen Etappen seiner künstlerischen Entwicklung: Von den fliegenden Steinen mit durchsichtigen Flügeln zu den von Meerestieren inspirierten Hybriden. Die Geschichte, die Cre]u erzählt, kann in der Vergangenheit oder in der Zukunft gedacht werden. „Es ist eine Art Lebensgeschichte“, lächelt er.

Vertretung der  Künstler im Ausland

Das Programm Cetate Arts Danube zielt darauf ab, die rumänische künstlerische Bewegung zu stärken und diese in einem internationalen Kontext zu positionieren, den kulturellen Dialog zwischen den Künstlern zu fördern und das Publikum für zeitgenössische Kunst zu sensibilisieren. Kuratorin Joana Grevers zeigt Werke rumänischer Künstler  durch Ausstellungen in der ganzen Welt. Doch wie kann man die inländischen Kunstschaffenden mit der internationalen Szene besser verbinden? Auf der Kunstmesse Berliner Liste waren die Bildhauer durch die vor sieben Jahren gegründete 418 Contemporary Art Gallery vertreten.


-------------------------------------------------------

Die Künstler

Cristian Răduţă lernte bei  Mircea Spătaru, einem der einflussreichsten Bildhauer hierzulande. Studiert hat der junge Künstler in der Hauptstadt; nach zwei Jahren in Rom unterrichtet er an der Bukarester Kunstuniversität. Seine Werke befinden sich in der Sammlung des Bukarester Museums für zeitgenössische Kunst, sowie in anderen privaten und öffentlichen Sammlungen im Ausland.

Simon Iurino wurde in Italien geboren und hat sein Studium an der Wiener Akademie der Künste unter Heimo Zobernig abgeschlossen. Studiert hat er auch in Großbritannien. Der Weg vom Kunsthandwerker zum Künstler dauerte für Iurino eine Weile - begonnen hat er mit Raku, einer speziellen Keramik-Brenntechnik, die in Japan entwickelt wurde.

Ştefan Radu Creţu hat an der Kunstuniversität in Klausenburg/Cluj-Napoca studiert. Nach einem Stipendium in Polen hat er das Masterstudium für Bildhauerei in Bukarest absolviert und will an derselben Universität promovieren. Seine Werke befinden sich in der Sammlung des Museums Beelden aan Zee in den Niederlanden. Er lebt und arbeitet in Hermannstadt. An dem Künstlerprogramm in Cetate nimmt er seit 2011 teil.